Biden vs. Trump

Präsidentschaftswahl: „Diese Situation ist ein Stresstest für die amerikanische Demokratie.“

Kai Doering04. November 2020
Enges Rennen in den USA: Die Mobilisierungsfähigkeit von Donald Trump unterschätzt, meint Außen-Staatsminister Niels Annen.
Enges Rennen in den USA: Die Mobilisierungsfähigkeit von Donald Trump unterschätzt, meint Außen-Staatsminister Niels Annen.
Es ist ein enges Rennen um die Präsidentschaft in den USA zwischen Joe Biden und Donald Trump. Doch egal wer gewinnt: Die Zusammenarbeit zwischen den USA und Europa muss sich verändern, ist Außen-Staatsminister Niels Annen sicher.

Joe Biden und Donald Trump liefern sich ein enges Rennen um die US-Präsidentschaft. Haben Sie mit einem so knappen Ausgang der Wahl gerechnet?

Wetten auf den Wahlausgang habe ich zumindest nicht abgeschlossen. Aber Spaß beiseite: Ich habe schon mit einem stärkeren Abschneiden der Demokraten gerechnet. Einen Grundskepsis konnte ich allerdings die ganze Zeit nicht unterdrücken. Auch wenn die Meinungsforschungsinstitute gesagt haben, dass sie die Fehler von der Wahl 2016 aufgearbeitet hätten, habe ich meine Zweifel gehabt, ob es tatsächlich einen so klaren Ausgang gibt wie von ihnen seit Wochen vorhergesagt wurde.

Joe Biden wurde eigentlich von allen als klarer Sieger gesehen. Ist Donald Trump unterschätzt worden?

Ohne jetzt schon genauere Daten zu kennen, kann ich mir vorstellen, dass der Einfluss der Corona-Pandemie auf diese Wahl überschätzt worden ist. Ganz offensichtlich wurde auch die Mobilisierungsfähigkeit von Donald Trump unterschätzt. Die sehr verantwortungsbewusste Art und Weise, wie die demokratische Partei mit der Corona-Situation umgeht, könnte auch Auswirkungen auf die Mobilisierung ihrer eigenen Wähler gehabt haben. Hinzu kommt auch, dass die meisten Analysten – auch in Deutschland – davon ausgegangen sind, dass eine hohe Wahlbeteiligung gut für die Demokraten ist. Dabei wurde offenbar übersehen, dass es den Republikanern durch Polarisierung gelungen ist, ihre Wähler in großer Zahl an die Wahlurnen zu bringen.

Niels Annen

Donald Trump hat sich bereits zum Wahlsieger erklärt und verlangt, die Auszählung der Stimmen zu stoppen. Wie bewerten Sie das?

Ich vertraue in die Demokratie und die demokratischen Institutionen in den Vereinigten Staaten. Deshalb sollten wir uns hüten, von oben herab auf die lange demokratische Tradition in den USA zu blicken. Trotzdem muss man festhalten, dass Donald Trump eine disruptive, regelverletzende Präsidentschaft geführt hat. Das reichte vom Einsatz von sogenannten Alternativen Fakten, Fake News bis hin zur Einschüchterung von Wählerinnen und Wählern durch Trump Unterstützer. Da passt es ins Bild, jetzt die Auszählung der Wahlstimmen infrage zu stellen. Das ist ein Schritt, der mir allergrößte Sorgen bereitet und ein Szenario, vor dem wir alle Angst gehabt haben. Diese Situation ist ein Stresstest für die amerikanische Demokratie. Jetzt wird es darauf ankommen, dass sich alle verantwortungsvoll verhalten.

Wenn Trump nach Bekanntgabe des Ergebnisses wie von ihm angekündigt das oberste Gericht anruft, könnte das zu einem wochenlangen Machtvakuum in den USA führen. Könnte das das ohnehin stark polarisierte Land ins Chaos stürzen?

Da sollten wir nichts herbeireden. Wir haben gesehen, dass unter den Bedingungen einer außer Kontrolle geratenen Corona-Situation eine Rekordzahl von Menschen in den USA gewählt hat. Das ist ein sehr gutes Zeichen für die Demokratie. Auch in der Vergangenheit wurden schon häufiger die Gerichte eingeschaltet, wenn es um Wahlentscheidungen ging. Denken wir nur an die Präsidentschaftswahl im Jahr 2000. Etwas Geduld zu haben, schadet also nicht. Allerdings müssen wir auch feststellen, dass in einzelnen Bundesstaaten verstärkt versucht wurde, Wählerinnen und Wähler von der Wahl abzuhalten. Das zeigt, dass in der demokratischen Kultur der USA etwas kaputt gegangen ist. Erst die kommenden Tage werden zeigen, ob es am Ende ein von allen akzeptiertes Wahlergebnis geben wird oder ob die tiefe Polarisierung der USA das Land weiter spalten wird.

Als Donald Trump die Wahl 2016 gewonnen hat, war neben der Überraschung auch die Ratlosigkeit in der deutschen Politik groß, weil es kaum Kontakte in sein Umfeld gab. Was würden vier weitere Jahre mit ihm als Präsident für Deutschland und Europa bedeuten?

Nach vier Jahren Präsident Trump kennen wir inzwischen sehr viele Leute – vor allem, weil sie häufig nicht lange geblieben sind. Das hat die Zusammenarbeit deutlich erschwert. Über weitere vier Jahre Trump will ich aber nicht spekulieren. Wir müssen erstmal abwarten bis wir ein endgültiges Wahlergebnis haben. Klar ist aber, dass vier Jahre Donald Trump die transatlantischen Beziehungen insbesondere zwischen den USA und Deutschland auf eine beispiellose Probe gestellt haben. Eine enge Zusammenarbeit mit dem Vereinigten Staaten ist weiterhin unser ureigenes Interesse. Aber egal, wer jetzt gewinnt, ob Joe Biden oder Donald Trump, die deutsche und die europäische Politik muss souveräner werden.

Wie soll das konkret aussehen?

Wir müssen zum Beispiel Instrumente schaffen, die deutsche und europäische Unternehmen vor dem Druck und der Einmischung der USA zu schützen. Denken Sie etwa an das Vorgehen der USA beim Pipeline-Projekt Nord Stream 2. Dabei müssen wir auch zur Kenntnis nehmen, dass sich die Sichtweise in Washington auf die Welt schon unter Präsident Obama verändert hat. Die Prioritäten sind von Europa in Richtung Asien verlagert worden. Deshalb müssen wir unsere gemeinsame europäische Außenpolitik handlungsfähiger machen und auch in der Verteidigungspolitik unabhängiger von den USA werden. Diese Aufgabe stellt sich, egal, wer am Ende ins Weiße Haus einzieht.

Der Gesprächspartner

Niels Annen ist Staatsminister im Auswärtigen Amt und Vorsitzender der „Kommission Internationale Politik“ der SPD.

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Kommentare

Ich halte es für

erforderlich, die Meinungsbildung via Umfrageergebnisse mal generell in Frage zu stellen. Ist es nicht so, dass Meinungsumfragen heute im ergbnis hierzulande nahezu dieselbe Funktion haben, wie Volskabstimmungen bspw. in der Schweiz. Sie kommen mit dem Moment der "unmittelbaren Demokratie" daher, werden zumindest so behandelt. Dass dies nicht ansatzweise gerechtfertigt ist, wird hier herausragend deutlich. Für mich jedenfalls sind die inflationär veröffentlichten Umfrageergebnisse belanglos, sieht man einmal ab von der Frage, wer welche Umfrage initiiert hat, welches Interesse also dem Veröffentlichten Ergebnis zugrunde lag. Fast wäre ich geneigt, hier einen bzw "den" TrumpSlogan zu zitieren- das lass ich mal lieber.

Enttäuschung

Nun liegt der Wunschkandidat der EUler doch nicht so weit vorne. Mit Tips und Tricks und einem Obersten Gerichtshof ....... das ging schon einmal. Da mag der Herr Annen ja in die USAmerikanische Demokratie vertrauen, aber mit direkter Wahl hat dieses Wahlsystem wohl wenig zu tun.
Gut die Gründerväter der USA, durchweg alles aristokratische Sklavenhalter, dachten dass so ein electoral College zwischen Volk und Präsident geschoben, sie doch vor dem unberechenbaren Volk schützen könne. Wahlberechtigt waren damals sowieso nur grundbesitzende weiße Männer. Mein Vertrauen in die so, und mit viel Konzerngeld, gewählten Eliten der USA in Sachen Demokratie ist nicht allzu groß und auch wenn wir alle gerne diesen Rumpelfuß D. Trump los wären, so kann ich doch nur auf gut angelsächsisch sagen: Auch Josef Biden is not the Yellow from the Egg (Zwinkersmiley)

Falsche Berichterstattung ist Problem, nicht Umfragen selbst

Die Behauptung, die Institute hätten einen klaren Sieg der Demokraten vorher gesagt, ist schlicht falsch. Gerade in den letzten Tagen vor der Wahl haben viele Umfragen auf ein engeres Rennen, gerade in den entscheidenden Staaten, hingewiesen. Wenn etwas wahrscheinlich ist, muss es außerdem trotzdem nicht eintreffen.

Stand der Dinge liegen die Institute außerdem nicht unbedingt daneben. Die bisherigen Ergebnisse decken sich durchaus mit den Analysen vor der Wahl. "Sabatos crystall ball" bpsw. hat in seiner letzten Vorhersage vom Montag Florida, Iowa und Ohio in der Tendenz dem Präsidenten zugeschlagen, wie es auch gekommen ist.

Das Problem sehe ich eher darin, dass Medien die Tendenz haben, handwerklich falsch über Umfragen zu berichten. Die Fehlertoleranz wird meistens nur in einem Nebensatz erwähnt, wenn überhaupt. Und der Konjunktiv scheint sowieso generell unbekannt zu sein, stattdessen wird allzu gerne der Indikativ für Dinge benutzt, die lediglich möglich sind.

ich stimme Ihnen zu

die Medien berichten, was Ihnen genehm ist, und lassen solche Dinge weg, die nicht genehm sind. Dies haben Studien gerade in Deutschland eindrucksvoll unter Beweis gestellt, ein Umstand, der beim ausschließlichen Konsum nationaler Medien daher verborgen bleiben muss. Ein Blick über die Grenzen (Diverse Berichte in der NZZ) offenbart dieses Dilemma, aus dem sich nach meiner Einschätzung ein Desaster für die Medien ergibt. Sie sind dem Tode geweiht, wenn sie es nicht schaffen, zur ungefärbten Berichterstattung zurückzukommen. Ich vermute, dazu ist es schon zu spät, aber warten wirs mal ab.
Weiteres hier:

https://www.otto-brenner-stiftung.de/wissenschaftsportal/informationssei...

https://www.nzz.ch/feuilleton/medien/studie-zur-fluechtlingskrise-deutsc...