Interview

Polen-Beauftragter Nietan verurteilt „aggressive antideutsche Politik“

Lars Haferkamp25. August 2022
Komplizierte deutsch-polnische Beziehungen: Bundeskanzler Olaf Scholz (l.) bei seinem Antrittsbesuch in Polen am 12.12.2021 mit dem polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki.
Komplizierte deutsch-polnische Beziehungen: Bundeskanzler Olaf Scholz (l.) bei seinem Antrittsbesuch in Polen am 12.12.2021 mit dem polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki.
Dietmar Nietan, der Polen-Beauftragte der Bundesregierung, wirft der polnischen Regierungspartei PiS antideutsche Propaganda vor – etwa täglich im Staatsfernsehen. Er ist Bundeskanzler Scholz „sehr dankbar“, dass dieser sich nicht provozieren lasse.

Dietmar Nietan, immer wieder sorgen die deutsch-polnischen Beziehungen für Negativschlagzeilen. Aktuell beim Fischsterben in der Oder. Es heißt, hier funktioniere nicht einmal mehr der Informationsaustausch auf Beamt*innenebene. Sind die Beziehungen wirklich so schlecht?

Die Beziehungen sind leider zur Zeit in keinem guten Zustand. Die Informationspolitik der polnischen Seite zum Fischsterben in der Oder war für mich aber kein bewusster politischer Akt. Wenn die polnische Umweltministerin in einem Tweet von Fake News aus Deutschland spricht, ist das eine andere Sache. Auf der anderen Seite hat mich mein polnischer Koordinatorenkollege Bartosz Grodecki letzte Woche persönlich informiert und versichert, dass man die Zusammenarbeit mit Deutschland an der Oder fortsetzen will.

Dietmar Nietan: Schatzmeister der SPD und Polen-Beauftragter der Bundesregierung
Dietmar Nietan: Schatzmeister der SPD und Polen-Beauftragter der Bundesregierung

Vor kurzem gab es aus Polen heftige Vorwürfe an die Bundesregierung. Es hieß, Warschau habe Waffen an die Ukraine geliefert und sei dann beim Austausch durch Lieferungen aus Deutschland im Zuge des Ringtausches getäuscht und im Stich gelassen worden. Treffen diese Vorwürfe zu?

Die treffen absolut nicht zu. Polen hat lobenswerterweise sehr früh über 200 Panzer in die Ukraine geliefert – als noch gar nicht klar war, ob es einen Ringtausch geben würde. Erst danach hat man sich an Berlin gewandt. Polen will nun neueste deutsche Leopard II-Panzer. Die können wir aber nicht liefern, weil die wenigen Leopard II der Bundeswehr für unsere Verteidigungsfähigkeit und Bündnisverpflichtungen in der NATO gebraucht werden. Die fortdauernde öffentliche Kritik der polnischen Regierung ist leider politisch motiviert.

Um die schlechte Ausstattung der Bundeswehr – auch mit Panzern – zu verbessern, hat Bundeskanzler Scholz das Sondervermögen der Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro initiiert und durchgesetzt. Wird das in Polen wertgeschätzt?

Viele meiner polnischen Freunde sind erleichtert und loben Olaf Scholz‘ Zeitenwende. Dennoch gibt es bei allen auch die tiefe Enttäuschung, dass die jahrelangen Warnungen aller polnischen Regierungen – egal von welcher Partei – vor den wahren Absichten Putins in Deutschland nicht gehört wurden. Die historischen Erfahrungen der Polen mit Russland haben wir zu wenig wertgeschätzt.

Was kann Deutschland überhaupt tun, um die Beziehungen zu verbessern, wenn es das Ziel der aktuellen polnischen Regierung ist, sich bewusst gegen Deutschland zu positionieren, um damit innenpolitisch zu punkten, etwa im Wahlkampf?

Das ist in der Tat ein großes Problem. Die aggressive antideutsche Politik der PiS wird sich nicht ändern, aber wir sollten ihr nicht noch die Steilvorlagen liefern. Deshalb darf es keinen Anlass für Zweifel an unserer Solidarität mit der Ukraine und den anderen mittel-und osteuropäischen Staaten geben. Wir sollten die Menschen in Polen, die immer noch auf uns als Partner setzen, nicht weiter enttäuschen.

Inwieweit treffen die antideutschen Ressentiments der Warschauer Regierung auf Zustimmung in der polnischen Bevölkerung?

Auch wenn die Enttäuschung über Deutschland zur Zeit sehr groß ist, wünschen sich die meisten Polen eine gute Zusammenarbeit mit Deutschland und eine konstruktive EU Mitgliedschaft Polens. Ebenso wünschen sie sich völlig zu recht eine größere deutsche Wertschätzung für Polen, seine Geschichte und seine Leistungen für ein freies Europa. Aber es gilt auch: Wer seine Informationen vorwiegend aus dem staatlich kontrollierten polnischen Fernsehen bezieht, ist sicherlich stärker geprägt von antideutschen Ressentiments.

Warum?

Weil die PiS das staatliche Fernsehen zu ihrer Propagandamaschine umfunktioniert hat. Auf den staatlichen Sendern vergeht kein Tag ohne antideutsche Propaganda. Und das zeigt nach Jahren sicher auch Wirkung.

Wir erleben immer wieder, dass die Bundesregierung aus dem Lager der polnischen Regierung frontal attackiert wird. Gehört auf einen groben Klotz nicht manchmal auch ein grober Keil, wie Helmut Schmidt es einmal ausdrückte?

Wie sagte es Michelle Obama so schön: „When they go low, we go high.“ Wir brauchen Polen und Polen braucht uns – in der EU, in der NATO und darüber hinaus. Die Mehrheit der Menschen in Deutschland und Polen wollen in Frieden und Freiheit leben. Das sollten wir nie vergessen. Auch wenn die PiS immer wieder Öl ins Feuer gießt: Wir sollten das nicht tun. Deshalb bin ich sehr dankbar, dass sich Bundeskanzler Scholz nicht provozieren lässt und besonnen bleibt.

Die nächste Provokation aus Warschau ist schon angekündigt: In Kürze will die PiS Forderungen nach Reparationen an Deutschland konkretisieren, es geht um hunderte Milliarden Euro. Die werden – fast 80 Jahre danach – mit dem Zweiten Weltkrieg gerechtfertigt. Legt die Forderung nach Reparationen nicht im Grunde die Axt an die deutsch-polnischen Beziehungen?

Die PiS weiß, dass es nicht zu Reparationszahlungen kommen wird, egal wer in Deutschland regiert. Vor keinem Gericht der Welt hätte eine Klage auf Reparationen Erfolg. Wir sollten jetzt den Spieß umdrehen: Wir sollten proaktiv politisch mit dem Thema umgehen.

Das heißt…

…wir verstecken uns nicht hinter juristischen Fragen, sondern schlagen selbst einem Zukunftsfonds vor, der in beiden Ländern junge Menschen über die gemeinsame wechselvolle Geschichte aufklärt sowie zivilgesellschaftliche Projekte zur Stärkung des gegenseitigen besseren Verstehens fördert. Dafür sollten wir auch Bundesmittel in die Hand nehmen. Beispielsweise für eine Stiftung. Ein solcher Zukunftsfonds wäre eine kluge Investition in eine bessere Zukunft der deutsch-polnischen Beziehungen.

Dietmar Nietan

ist seit 2022 Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-polnische zwischengesellschaftliche und grenznahe Zusammenarbeit. Er ist Vorsitzender der Deutsch-Polnischen-Gesellschaft Bundesverband. Seit 2014 ist Nietan Schatzmeister der SPD und damit Mitglied in Parteivorstand und Präsidium. Dem Bundestag gehört er seit 1998 an, mit einer Unterbrechung von 2005 bis 2009.

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Kommentare

Zukunftsfond

Hallo, die Idee des Zukunftfonds ist gut, aber weshalb kann es nicht an schon bestehende Projekte angebunden werden, wie z.B. Stiftung Kreisau, die seit Jahren genau das tut: die deutsch-polnischen Verständigungsprozesse fördern?

aggressive antideutsche Politik

von Polen, aber selbst munter alle rechtsstaatlichen Grundsätze über den Haufen werden,

dabei einerseits laufend gegen die Charta der EU, deren Einhaltung maßgeblich für einen EU-Beitritt ist, verstoßen,

andererseits Gelder aus den Beiträgen der übrigen Mitgliedsländer kassieren.

endlich sagt mal jemand, was Sache ist

da wird in Sonntagsreden immer von der Freundschaft und dergleichen fabuliert, und nun das . Eindeutig erklärte, antideutsche Politik. Das ist mal ein Wort, das erklärt, warum trotz der verkündeten Freundschaft immer wieder Hasstiraden gegen Deutschland geschleudert werden.Ich glaube nicht, dass sich daran mit noch mehr Geld etwas ändern lässt, das liegt in der polnischen DNA. Wir tun weiterhin gut daran, unsere Interessen mit Russland abzustimmen

Wie wäre es wenn Deutschland

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Lobenswert ?

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War nicht explizit die stärkere Zusammenarbeit mit Polen

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Transfers für Autokraten

Wir müssen auf alle Fälle ein Lösung finden für das Problem, dass wir mit unseren Transfers die Demontage des poln. Rechtsstaats und die angestrebte Autokratie der PIS auch noch finanziell fördern.