Ostdeutsche Zukunft: Warum Tesla wichtig ist, Respekt aber auch
Benedikt Dittrich / vorwärts
Dagmar Ziegler, Sie waren seit dem Frühling in Ostdeutschland unterwegs. Wie wurden sie als Bundestagsvizepräsidentin von den Menschen empfangen?
Wir haben seit März über 60 Besuche gemacht, wir waren in allen neuen Bundesländern unterwegs. Es war erstaunlich, mit wie viel Freude wir empfangen worden sind. Ich habe gar keine negativen Eindrücke bekommen, im Gegenteil: Man war erfreut, dass neben den Bundestagsabgeordneten auch die Bundestagsvizepräsidentin sich die Zeit genommen hat, Projekte, Unternehmen, Initiativen anzusehen.
Immer wieder wurde uns gesagt: Es ist wunderbar, dass wir gesehen werden. Da kam auch ein wahnsinniger Stolz rüber. Ohne überheblich zu wirken, sondern Stolz auf das Geleistete der vergangenen Jahrzehnte. Die Menschen tragen das nicht vor sich her, egal ob es bürgerliches Engagement ist, Initiativen gegen Ausländerfeindlichkeit oder Arbeit in den Unternehmen. Sie machen es einfach, ohne Show.
Warum ist das für Sie besonders?
Ich glaube, das unterscheidet die Menschen hier von denen in der anderen Hälfte von Deutschland. Dort ist man vielleicht darauf aus, mehr Öffentlichkeit für so ein Engagement zu haben. Das ist im Osten gar nicht so sehr verbreitet, die Medienlandschaft ist auch eine andere.
Umso wichtiger finde ich es für die Zukunft, dass nicht nur die Bundestagsabgeordneten zu den Menschen gehen und ihnen zuhören. Dass nicht nur Bürgersprechstunden abgehalten, wie wir das immer gemacht haben, sondern dass sich viel mehr Zeit genommen wird. Es sollte deutlich werden: „Wir als Parlamentarier sehen euch, wir sehen eure Probleme“ Aber was noch viel wichtiger ist im Osten: Leistung anerkennen und wertschätzen. Wertschätzung ist enorm wichtig.
Zuletzt unterstellte selbst der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Mirko Wanderwitz (CDU), den Ostdeutschen eine Skepsis oder negative Einstellungen gegenüber der Demokratie. Wie kommt sowas dann vor Ort an?
Der Ostbeauftragte ist in Ostdeutschland weitgehend unbekannt, habe ich festgestellt. Darüber sollte sich der Ostbeauftragte mal Gedanken machen, anstatt über das Demokratieverständnis der Menschen, die dort leben. Eigentlich ist das, was ich gemacht habe, seine eigentliche Aufgabe.
Trotzdem greift er damit eine Perspektive auf, die weit verbreitet ist: Die Menschen in Ostdeutschland hätten noch etwas aufzuholen.
Demokratie kann man ja nicht lernen, indem man ein Buch liest. Demokratie findet statt zwischen Menschen, bei Aktionen, in Vereinen, im Zusammenspiel zwischen Politik und Verwaltung. Im Miteinander. Ja, das Vereinswesen war in der DDR nicht so ausgeprägt, aber das ist inzwischen schon eine Weile her. Natürlich haben wir inzwischen ein ausgeprägtes Vereinsleben, viele Menschen sind im Ehrenamt aktiv. Da besteht kein Nachholbedarf.
Vielleicht aber, wie man sich in politische Entscheidungen einmischt, Entwicklungen beeinflussen kann. Da ist die Kommunalpolitik gefragt, aber auch die Bürgerinnen und Bürger. Dort die Schnittstelle zu finden, ist ein wesentlicher Punkt. Als Abgeordnete habe ich immer wieder gemerkt, dass Menschen oft nicht wissen, dass sie ja doch etwas erreichen können, wenn sie sich melden. Sie wissen nicht, was sie für eine Gestaltungsmacht haben, wenn sie sich mit anderen zusammentun, Initiativen gründen, in den Gemeinderat gehen.
Deswegen ist es ganz wichtig, schon junge Menschen da heranzuführen. Man muss in der Demokratie Mehrheiten finden, um Unterstützung kämpfen – das gilt im Osten wie im Westen.
Was muss sich denn dann ändern, wenn das nur ein Vorurteil ist, das sich immer noch hält?
Ich finde es herausragend, was Olaf Scholz gerade mit dem Thema „Respekt“ macht im Wahlkampf. Respekt vor der Lebensleistung, Wertschätzung, was gerade geleistet wird. Wenn das in einer Regierung immer und immer wieder und in alle Himmelsrichtungen betont wird, dann haben wir eine sehr gute gesellschaftliche Entwicklung vor uns. Das ist auch die Aufgabe des Bundeskanzlers und da setze ich große Hoffnungen in Olaf Scholz, aber auch in die gesamte künftige Bundesregierung. Dass man eben nicht nur Highlights wie die Tesla-Fabrik in Brandenburg nennt, sondern dass man auch Sorgen und Nöte derjenigen Menschen ernst nimmt, die davon betroffen sind – auch in der Lausitz.
Man muss nicht nur Milliarden zur Verfügung stellen, sondern auch die Lebensqualität der Menschen im Blick haben und in den Diskurs mit ihnen gehen, man muss bürokratische Hürden für ehrenamtliches Engagement abräumen, Gestaltungsräume schaffen.
In Ihrer Antwort steckt viel Hoffnung – aber ist da nicht auch Angst, dass das alles nicht klappt? Dass die Menschen durch die Auswirkungen des Strukturwandels wieder enttäuscht werden, wie es nach der Wende der Fall war?
Es kommt immer darauf an, ob sich die individuelle Lebenssituation für die Menschen verbessert. Damals haben viele ihre Arbeit verloren, waren jahrelang arbeitslos. Dann hatten sie wieder Arbeit in der Braunkohle im geringeren Umfang, jetzt sind sie vom Strukturwandel betroffen. Das sind alles persönliche Herausforderungen.
Vertrauen in die Politik kann man nur zurückgewinnen, wenn man die Situation der Menschen verbessert. Investitionen in Beton, Wege und Straßen sind wichtig, aber es kommt darauf an, dass die Menschen in ihrer Situation eine wirkliche Verbesserung wahrnehmen. Dass sie Arbeit haben, Kultur wahrnehmen können, sich treffen können, ehrenamtlich tätig sein können, ihr eigenes Selbstverständnis wiederfinden. Das kann man nicht in Beton und Geld messen.
Für die Bundestagswahl kandidieren Sie nicht mehr – ist das also ihr Abschied von der politischen Bühne?
Ich überlasse den neuen Abgeordneten das Feld. Das tue ich sehr gerne, um frischen Wind und neue Ideen in den Bundestag einzubringen. Für mich persönlich heißt es erstmal: Einen kleinen Augenblick verschnaufen. Wie klein dieser Augenblick sein wird, wird sich zeigen. Ehrenämter habe ich ja noch und der Rest wird sich ergeben.
node:vw-infobox