Olga Sippl: Sie kämpft gegen Nazis und für Versöhnung
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Aufgeben ist nicht ihre Sache. Auch wenn ihr bewegtes Leben bereits einige Male Anlass dazu gegeben hätte. Doch bis heute kämpft sie überzeugt, engagiert und mutig für die Demokratie. Sie, das ist Olga Sippl. Mitbegründerin der Seliger-Gemeinde, einer bis heute lebendigen sozialdemokratischen Gemeinschaft für die Vertriebenen. Ausgezeichnet für ihr unermüdliches Engagement für die Seliger-Gemeinde und als Brückenbauerin zwischen Tschechen und Deutschen unter anderem mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland (2002) und mit der tschechischen Karel-Kramá-Medaille (2016).
Ein Leben wie ein Roman
Die Lebensgeschichte der sudetendeutschen Sozialdemokratin klingt wie die Vorlage eines Romans. Geboren wird Olga Sippl am 19. September 1920 in Altrohlau, nahe Karlsbad. Aus einer sozialdemokratischen Familie stammend kommt sie schon früh in Kontakt mit den verschiedenen Organisationen der sudetendeutschen Arbeiterbewegung. Sie wird Mitglied der Roten Falken und der Sozialistischen Jugend und tritt 1936 mit gerade einmal 16 Jahren in die Deutsche Sozialdemokratische Arbeiterpartei in der Tschechoslowakischen Republik (DSAP) ein. Die SPD in Deutschland ist da schon seit drei Jahren von den Nationalsozialisten verboten.
Dann das Schicksalsjahr 1938: Als deutsche Soldaten ins Sudetenland einmarschieren, gehört Olga Sippl zu den „anderen Deutschen“, wie sie heute genannt werden. Sie ist eine jener mutigen Sozialdemokraten, die keine Hakenkreuzfahnen schwenken und nicht „Heil Hitler“ rufen. Ihr Vater, die Mutter und der jüngere Bruder kommen gerade noch rechtzeitig aus Altrohlau heraus, fliehen nach Großbritannien. Olga Sippl, zu diesem Zeitpunkt in Prag für die Sozialversicherungsanstalt tätig, will mit. Sie, die Menschen hilft, die vor den Nationalsozialisten fliehen, bekommt aber keine Papiere, weil sie kein Kind mehr ist.
Versuchen, es besser zu machen
Kurz bevor die deutsche Wehrmacht im März 1939 in Prag einmarschiert, entschließt sich Olga Sippl mit ihrem damaligen Freund und späteren Mann Ernst nach Altrohlau zurückzugehen. Während die Nationalsozialisten morden, kämpft Olga Sippl mit Anfeindungen und hilft hungrigen russischen Kriegsgefangenen. Sie bringt mitten im Krieg ihren Sohn Herbert (gestorben 1984) zur Welt. Sein Vater, ihr Mann, kehrt nie aus dem Krieg zurück. Er fällt kurz nach der Geburt.
„Junge Menschen, die nie einen Krieg erlebt haben, können sich nicht vorstellen, wie das ist. Wie verängstigt man ist. Wie traurig und einsam“, sagt Olga Sippl heute. Aber sie gibt nicht auf. Es muss weitergehen. „Man muss versuchen, es besser zu machen“, sagt sie auch. Deshalb arbeitet sie nach Kriegsende im Karlsbader Antifa-Büro, das die Aussiedlung der als Antifaschisten anerkannten Sudetendeutschen organisiert. Olga Sippl selbst muss ihre Heimat zusammen mit ihrem kleinen Sohn am 20. November 1946 verlassen. Sie stehen beide auf der Liste des letzten Transports, der „Antifaschisten“ von Karlsbad ins Grenzdurchgangslager Furth im Wald bringt.
Alls 100-Jährige noch voller Tatendrang
Nach einem weiteren Aufenthalt in Königsdorf, wo sie im März 1948 an der Gründung eines SPD-Ortsvereins beteiligt ist, und einem kurzen Aufenthalt bei ihren Eltern im englischen Birmingham wird sie 1949 Angestellte der bayerischen SPD in München. Dort ist sie immer noch zu Hause. 1951 unterzeichnet sie neben Richard Reitzner, Alois Ullmann und Emil Werner die Gründungsurkunde der Seliger-Gemeinde, deren Ehrenvorsitzende Olga Sippl heute ist. Bereits vor, aber besonders nach der Samtenen Revolution reist sie viele Male in die Tschechoslowakei bzw. nach Tschechien in die alte Heimat, um für die Verständigung zwischen Tschechen und Deutschen zu werben.
Beim Blick zurück ist Olga Sippl nicht verbittert. Sie hat sich versöhnt. Mit der Geschichte, mit den Deutschen und mit den Tschechen. Mehr noch: Die Versöhnung zwischen den beiden ist für sie zur Lebensaufgabe geworden: „Ich habe mein Leben lang versucht, zu einer Aussöhnung zwischen Tschechen und Deutschen beizutragen. Das, was immer als Völkerverständigung bezeichnet wird, ist für mich eine ursozialdemokratische Idee.
Wir sollten Brücken nie vollends abreißen, sondern immer versuchen, die Perspektive der anderen zu sehen. Es geht um Respekt und um Zusammenhalt.“ Für Olga Sippl, auch als 100-Jährige noch voller Tatendrang für die Seliger-Gemeinde aktiv, ist damit ein Wunsch verbunden: „Wir dürfen denen, die spalten wollen, keinen Zentimeter Platz lassen. Das war damals nicht anders als heute.“ Die SPD, sagt sie, sei da ein bisschen wie sie: Sie gibt niemals auf.