Warum Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken Parteivorsitzende werden wollen
Florian Gaertner/photothek.net
Warum wollen Sie Parteivorsitzende werden?
Norbert Walter-Borjans: Weil die SPD nichts dringender braucht als Glaubwürdigkeit und Standfestigkeit. Für beides stehen wir in den Augen der Vielen, die uns zur Kandidatur ermutigt haben. Saskia hat glaubwürdig und standhaft gegen Uploadfilter im Internet gekämpft. Als Hunderttausende auf den Straßen waren und für die Freiheit im Netz demonstrierten, war sie Teil dieser Bewegung und hat sich nicht verbiegen lassen. Sie will Netz- und Digitalisierungspolitik mit den Menschen machen, die es betrifft, und nicht mit denen, die sich viel zu oft in eine Welt einmischen, die sie nicht verstehen. Und ihre klare Position gegen rechte Hetze lässt keine Frage offen.
Saskia Esken: Das gilt auch für NoWaBo. Dass er als NRW-Finanzminister Steuer-CDs gekauft hat, war kein Selbstzweck. Die über sieben Milliarden Euro Steuernachzahlungen von SteuerbetrügerInnen waren das Werk standhafter sozialdemokratischer Politik. Gegen den Protest mächtiger Lobbys und trotz heftigen Gegenwinds, auch aus den eigenen Reihen, hat er sich nicht beirren lassen. Davon brauchen wir mehr. Klimapolitik mit verantwortungsbereiter Wirtschaft, aber nicht unter dem Diktat der Autobosse. Wohnungspolitik gemeinsam mit den Kommunen, aber gegen das Diktat von SpekulantInnen. Sichere Renten mit einem starken Staat, aber gegen das Diktat von FinanzinvestorInnen. Friedenspolitik, um Menschenleben zu schützen, nicht nach Wirtschaftsinteressen.
Wie haben Sie sich zu diesem Duo zusammengefunden und wo unterscheiden Sie sich?
Esken: Ich habe NoWaBo angesprochen und ihn überzeugen können. Als wir das erste Mal intensiver über unsere Ansichten gesprochen haben, war uns beiden sofort klar: Das klappt. Wir ergänzen uns sehr gut.
Walter-Borjans: Vor Andreas Rücktritt hatte ich ganz andere Pläne. Aber die Situation der SPD bewegt mich zutiefst. Nachdem ich mit Saskia gesprochen habe, war mir klar, dass wir beide gerade jetzt ein gutes Angebot für die SPD sind. Wir brennen für diese Partei.
Warum sind Sie zur SPD gekommen?
Walter-Borjans: Wegen der Friedenspolitik von Willy Brandt bin ich in die SPD eingetreten. Gerade die Ost-Politik, die auf massiven Widerstand in der Republik gestoßen ist, hat mir gezeigt, wie wichtig es ist, standhaft zu bleiben. Nicht auf den maximalen Vorteil des Einzelnen zu pochen, sondern das Ganze im Auge zu behalten – dieser politische Leitsatz prägt mich bis heute.
Esken: Ich bin in die SPD eingetreten, weil ich bei meinen sozialdemokratischen Eltern gelernt habe, dass man Menschen in Not hilft, aber auch immer die Frage nach den Strukturen stellen muss, um Dinge für alle zu verbessern.
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Was sind für Sie die drei wichtigsten Themen?
Walter-Borjans: Zum einen die Ungleichheit, die unser Zusammenleben gefährdet. Sie führt zu ungleichen Chancen für Kinder, zu ungleicher Lebenserwartung und schmälert die Lebensqualität der Mehrheit. Die Verteilungsfrage ist keine Frage von Neid, sie ist eine Frage von Gerechtigkeit und Stabilität. Deshalb gehört sie in das Zentrum eines sozialdemokratischen Zukunftsentwurfs. Auch die Klimakrise ist eine Verteilungsfrage. Wir haben die Lasten unseres Lebensstils viel zu lange in die Zukunft verschoben. Für die dringend notwendige Umkehr sind jetzt gerechte Verteilung und massive Investitionen nötig. Was hat die nächste Generation von einem ausgeglichenen Staatshaushalt, wenn die Schulden des Klimawandels nicht mehr zu tilgen sind?
Esken: Wir brauchen drittens eine demokratische Digitalisierung. Breitbandkabel verlegen wollen alle. Aber wir sind drauf und dran, unsere kritischen Infrastrukturen, vor allem die digitalen, den großen IT-Konzernen zu überlassen und damit auch die Hoheit über die Daten, die wir im Netz alle miteinander erzeugen. Wir wollen, dass die Menschen dem digitalen Wandel mit Souveränität und Zuversicht begegnen können, statt mit Ohnmacht und Zukunftsangst.
Was wollen Sie als Parteivorsitzende verändern?
Walter-Borjans: Wir müssen wieder die Partei werden, die sich besonders für die Menschen einsetzt, die selbst nicht über den Einfluss verfügen, ihren Anspruch auf ein Leben in Würde und etwas Wohlstand für sich und ihre Kinder zu vertreten. Sie muss diese Politik mit denen machen, die vielleicht gar nicht direkt auf die Vertretung ihrer Interessen durch die SPD angewiesen sind, die sich aber sehr wohl über den Wert einer solidarischen und stabilen Gesellschaft bewusst sind. Und die SPD muss den Mut aufbringen, Stellung gegen die zu beziehen, denen es allein um die ungezügelte Verfolgung des Eigennutzes geht.
Wo sehen Sie die größte Herausforderung, vor der die SPD steht?
Esken: Die sozialen Strukturen, deren Interessen wir vertreten haben, sind seit 30 Jahren im Wandel. Diese Basis ist nicht weg, denn auch heute leben noch 33 Millionen Menschen von sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung in diesem Land. Die SPD war nicht erst seit den 70er-Jahren eine Partei, die Angestellte, ArbeiterInnen und AkademikerInnen und auch viele BeamtInnen zusammengeführt hat. Heute haben wir immer mehr teils prekäre Solo-Selbständige, die keine Interessenvertretung haben. Zu den immer unterschiedlicheren Formen von Arbeit kommt seit Jahren aber auch eine kulturelle und wertemäßige Ausdifferenzierung hinzu. Das spiegelt sich in der Zunahme an Parteien in unserer Demokratie wider. Wir wollen die Chance nutzen und die SPD zur Zukunftspartei machen. Dazu gehört, dass wir neue Arbeitsmodelle, wie die Arbeitsversicherung oder eine Arbeitszeitverkürzung, offensiv diskutieren. Nur wenn es die SPD erneut schafft, den technischen Fortschritt zu einem für die Menschen zu machen, wird sie eine Zukunft haben.
Wie stehen Sie zu einer Regierungsbeteiligung der SPD im Bund?
Walter-Borjans: Wir brauchen wieder eine SPD, die in eigenen Visionen denkt und nicht in Kompromissen. Die großen Zukunftsfragen verlieren wir derzeit zu sehr aus dem Auge, weil sie mit CDU/CSU nicht zu beantworten sind. Die blockieren den gesellschaftlichen Fortschritt. Aber vor allem müssen wir als SPD wieder mehr Bewegung sein. Nur zusammen mit Gewerkschaften, Sozial- und Wohlfahrtsverbänden, NGOs, der Kulturszene und anderen Vereinen/Verbänden, werden wir Mehrheiten diesseits der Konservativen erreichen.
Hinweis in eigener Sache:
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der „vorwärts“ hält Sie über das Verfahren für die Wahl des Parteivorsitzes auf dem Laufenden. Das betrifft das Verfahren genauso wie die Vorstellung der Kandidierenden oder später die Berichterstattung über Regionalkonferenzen. Anders als die klassischen Medien berichten wir als Mitgliederzeitung aber erst, wenn die Kandidierenden offiziell vom Wahlvorstand nominiert worden sind und damit auch alle vom Parteivorstand beschlossene Kriterien erfüllt haben. Dabei ist uns die Gleichbehandlung aller Kandidierenden wichtig. Deswegen stellen wir allen identische Fragen, und alle haben gleich viel Platz für das Interview. Über die Länge der Antworten zu den einzelnen Fragen können die Kandidierenden selbst entscheiden. Auf weitere Berichterstattung über einzelne Kandidierende (Einzelne oder Teams) verzichten wir im Sinne der Gleichbehandlung, bis die Bewerbungsphase abgeschlossen ist.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo