Am Montagabend verabschiedete das ungarische Parlament ein neues Wahlgesetz, das eine Niederlage der rechtspopulistischen Regierungspartei Fidesz so gut wie unmöglich macht. Opposition und Zivilgesellschaft protestieren gegen das Vorhaben, doch die EU bleibt tatenlos.
Zweieinhalb Jahre nach dem Erdrutschsieg, der ihr zwei Drittel der Sitze in der Nationalversammlung beschert hat, möchte Viktor Orbáns rechtspopulistische Partei Fidesz diese kaum eingeschränkte Macht auf ewig zementieren. Das am Montagabend verabschiedete Gesetz sieht eine grundlegende Reform des Wahlrechts vor. Eine Voranmeldung der Wähler wird zur Pflicht: Wer sich 15 Tage vor den Wahlen nicht persönlich im Rathaus oder beim Notar registriert hat, darf während der ganzen Wahlperiode nicht mehr wählen.
Wahlrecht nur nach Anmeldung
„So könnten viele unentschiedene Wähler praktisch nicht nur von den Parlamentswahlen, sondern auch von den darauf folgenden Kommunal- und Europawahlen ausgeschlossen werden. Wir sind besorgt, dass diese Maßnahme in erster Linie ärmeren Bürgern und Roma die demokratische Partizipation erschweren wird“, kommentiert Balázs Dénes, Vorsitzender des Menschenrechtsvereins TASZ. Eine Briefregistrierung ist in der Tat nur für die im Ausland lebenden Ungarn vorgesehen, die Registrierung würde für viele, die auf dem Land wohnen, zusätzliche Kosten und Aufwand bedeuten.
Fidesz profitiert von niedriger Wahlbeteiligung
Zusammen mit anderen Vertretern der Menschenrechtsorganisationen kritisiert Dénes die Registrierung als verfassungswidrig und sinnlos: „Nichts spricht für die Notwendigkeit einer solchen Prozedur. Ähnlich wie Deutschland und im Gegensatz etwa zu den USA verfügt Ungarn über ein funktionierendes Netz von Meldestellen. Wir wissen also genau, wo die Wahlberechtigten wohnen. Wozu denn eine Registrierung?“, fragt der TASZ-Vorsitzende. Die Antwort lieferte Ministerpräsident Orbán selber in einem mittlerweile von Wikileaks veröffentlichten Gespräch mit dem US-Botschafter: Fidesz profitiert von einer niedrigen Wahlbeteiligung. Ein Blick auf die Partizipationszahlen der letzten 20 Jahre zeigt tatsächlich, dass, je breiter die Kreise der Wähler, die zu den Urnen kommen, desto höher die Chancen des linken Lagers.
Medien werden kontrolliert
Dementsprechend will Fidesz nicht nur die Wahlbeteiligung erschweren, sondern auch Wahlkampfdebatten. So verbietet der Gesetzentwurf grundsätzlich den privaten Radio- und Fernsehsendern, Wahlkampfbotschaften auszustrahlen. Auf das ursprünglich geplante Verbot der Wahlwerbung im Internet wurde im letzten Moment verzichtet, ein Abdruck von parteilichem Material in Zeitungen oder Zeitschriften ist nur nach einer Anmeldung beim Rechnungshof erlaubt. Bei den öffentlich-rechtlichen Medien, die mittlerweile so gut wie unter strikter Fidesz-Kontrolle stehen, sind für die ganze Dauer des Wahlkampfs insgesamt 10 Sendestunden vorgesehen, also täglich 12 Minuten, die sich alle Parteien teilen müssen.
„Es verwundert mich nicht, dass sich Orbán an den Machtstuhl festschrauben lässt. Aber ich bin entsetzt darüber, dass die EU den Fehler mit dem Mediengesetz wiederholt und solange schweigt, bis es zu spät ist“, kritisiert Tessza Udvarhely. Mitte November feierte die Aktivistin zusammen mit ihren Kollegen von der Initiative „Eine Stadt für alle“ („A város mindenkié“, kurz AVM) einen großen Sieg. Das ungarische Verfassungsgericht hat unerwartet ein Fidesz-Gesetz, das Obdachlosigkeit strafbar machte, für grundgesetzwidrig und damit nichtig erklärt.
Opposition protestiert
Die Angst vor einer bitteren Niederlage bei den nächsten Parlamentswahlen im Frühjahr 2014 könnte einer der Gründe für das neue Wahlgesetz sein. Die Umfragewerte von Fidesz werden immer niedriger und die bis vor Kurzem aussichtslose Lage der Opposition verbessert sich. Ende Oktober verkündete der frühere parteilose Premier Gordon Bajnai die Entstehung des neuen Bündnisses „Együtt 2014“ („Gemeinsam 2014“), das die Zivilgesellschaftsbewegungen wie Szolidaritás oder Milla („Eine Million für die Pressefreiheit“), aber auch die demokratischen Oppositionsparteien zusammenführen und bei den nächsten Wahlen Orbán absetzen soll. Die jüngsten Umfragen deuten darauf hin, dass Bajnais Rechnung aufgehen könnte, zumal seine Wirtschaftskompetenz und sein Ansehen wenig umstritten sind.
Das neue Wahlrecht würde ein Sieg der Opposition viel unwahrscheinlicher machen, deshalb kündigte der Vorsitzende der Sozialisten, Attila Mesterházy, dass seine Partei MSZP das Verfassungsgericht einschalten wird. „Vielleicht haben wir wieder Glück“, hofft Aktivistin Tessza Udvarhely.