Neuer NRW-Fraktionschef Jochen Ott: „Meine Aufgabe ist der Angriff.“
Am 23. Mai wurden Sie zum neuen Vorsitzenden der SPD-Fraktion im Landtag von Nordrhein-Westfalen gewählt. Wie war der erste Monat im neuen Amt?
Sehr intensiv. Ich habe viele Gespräche geführt und mir die Strukturen der Fraktion sehr genau angesehen, um herauszufinden, wie wir noch schlagkräftiger werden. Die neue Aufgabe macht großen Spaß – auch weil ich eine starke Aufbruchstimmung spüre.
Nach ihrer Wahl zum Vorsitzenden haben Sie angekündigt, die SPD-Fraktion wolle „das soziale Gegengewicht“ zur schwarz-grünen Landesregierung sein. Was meinen Sie damit konkret?
Die beiden konservativen Parteien CDU und Grüne vertreten vor allem die wohlhabenden Milieus. Sie zusammenzubinden bringt keinen Fortschritt. Den brauchen wir aber, wenn wir in einer Phase des Wandels dafür sorgen wollen, dass die Gesellschaft für alle lebenswert bleibt. Aufgabe der SPD ist deshalb, darauf zu achten, dass nicht die Hälfte der Bevölkerung einfach abgehängt wird. Das werden wir auch in der politischen Arena künftig sehr deutlich formulieren. Das Land nur konservativ zu verwalten, bringt Nordrhein-Westfalen nicht voran.
Sie sind Lehrer und waren zuletzt für die Bildungspolitik in der SPD-Fraktion zuständig. Wollen Sie hier auch als Fraktionsvorsitzender einen Schwerpunkt setzen?
In der Fraktion habe ich mich zunächst ja lange um Infrastruktur gekümmert, also alles vom Wohnen bis hin zur Stadtentwicklung. Nach der Wahlniederlage 2017 habe ich dann die Bildungspolitik in der Landtagsfraktion wieder aufgebaut. Dabei war mir wichtig, dass die SPD beim Thema Chancengleichheit wieder Profil gewinnt. Angesichts der Bildungskatastrophe, in der wir uns befinden – ein Drittel der Kinder kann nicht richtig lesen und schreiben, viele Erstklässler sind nicht schulreif, viele Schulabgänger nicht ausbildungsreif – ist für mich klar, dass sich die SPD des Themas federführend annehmen muss. Wir standen immer für Aufstieg durch Bildung. Dahin müssen wir zurück – auch wegen des grassierenden Fachkräftemangels.
Sie sind für Ihre emotionale Art bekannt. Wird sich die auch im neuen Stil als Oppositionsführer bemerkbar machen?
Wenn ich von einer Sache überzeugt bin, dann streite ich dafür, durchaus auch leidenschaftlich. Ohne Emotionen kann man die Menschen nicht überzeugen und begeistern. Gerade in einer Gesellschaft, die von diversen Krisen erschöpft ist und ihr Heil bei Populisten zu suchen droht, ist es wichtig, mit Leidenschaft für die SPD und unsere Visionen zu werben. Deshalb sage ich: Wer Visionen hat, soll zur SPD gehen und für ein besseres Morgen kämpfen.
In den Umfragen ist die SPD noch unter ihr Ergebnis bei der Landtagswahl gefallen. Wie kann sie wieder punkten?
Die SPD muss erkennbar sein, eine klare Sprache sprechen und die Themen bearbeiten, die die Mehrheit der Menschen beschäftigt. Wenn ein großer Teil der Schülerinnen und Schüler nicht richtig lesen kann, muss sich die SPD in erster Linie darum kümmern und nicht um die Frage, ob das Essen in der Schulkantine bio ist. Die SPD hat zu viele Themen groß gemacht, von denen die Mehrheit der Menschen sagt, dass sie mit ihrem Leben nichts zu tun haben. Wir müssen uns wieder mehr um die Themen kümmern, die zuhause besprochen werden. Und wir müssen bei jeder Debatte im Sinn haben und deutlich machen, was sie für Menschen mit maximal durchschnittlichem Einkommen bedeutet.
Was erwarten Sie da von der designierten neuen NRW-Parteispitze um Sarah Philipp und Achim Post?
Wir haben die Möglichkeit, mit diesem Team verschiedene Aspekte unter einen Hut zu bringen. Zum einen braucht eine starke NRW-SPD eine starke Stimme in Berlin. Die bekommt sie mit Achim Post. Mit Sarah Philipp werden wir eine Parteivorsitzende bekommen, die stark in der Landespolitik verankert und vernetzt ist. Beide bespielen unterschiedliche Felder. Das kann der NRW-SPD nur guttun.
Wo sehen Sie Ihre Rolle als Fraktionsvorsitzender?
Meine Aufgabe ist der Angriff. Ich werde deutlichmachen, wo die Unterschiede liegen zu Schwarz-Grün und die SPD so mitprofilieren. Hinzu kommen übrigens die Oberbürgermeister für eine starke Verankerung der SPD in den Kommunen. Und natürlich der neue Generalsekretär, der die Aufgabe haben wird, die Kampagnenfähigkeit der SPD wieder herzustellen. Mit diesem guten Team werden wir die NRW-SPD in den kommenden zwei Jahren so aufstellen, dass wir es bei der Bundestagswahl merken werden.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.