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Nahles nach SPD-Wahldebakel: „Der Ernst der Lage ist allen vollkommen klar“

Die SPD will auf einer Klausur des Parteivorstandes am 3. Juni Konsequenzen aus der Europawahl ziehen. Auch die Neuwahl der Fraktionsführung im Bundestag soll auf kommende Woche vorgezogen werden.
von Kai Doering · 27. Mai 2019
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SPD-Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles kommt direkt zur Sache: „Erstmals sind wir bundesweit auf Platz drei bei einer nationalen Wahl gelandet. Das ist für uns eine Zäsur. Und das wurde auch von allen heute so eingeordnet“, erklärt sie nach der Sitzung des SPD-Parteivorstandes am Montag auf einer Pressekonferenz im Willy-Brandt-Haus. Die Niederlage bei der Europawahl steckt ihr in den Knochen. „Der Ernst der Lage ist allen vollkommen klar.“

Nahles: klare Positionierung, mehr Offensive

Der SPD-Parteivorstand hat sich deshalb entschlossen, seine Debatte auf einer Klausurtagung am 3. Juni fortzusetzen. Drei Themen stehen nach Auskunft von Nahles dabei auf der Tagesordnung: Erstens die nicht ausreichende Strategiefähigkeit der SPD und wie die Partei sie wiedererlangen kann. Dazu wird die engere Parteiführung Vorschläge machen und am 3. Juni vorlegen.

„Wir brauchen darüber hinaus mehr klare Positionierungen“, so Nahles in der Pressekonferenz zum zweiten Punkt der Klausur. Der Parteivorstand habe das diskutiert bei den Themen Klima und Arbeit. „Wir brauchen mehr Klarheit bei den Themen, um offensiver zu sein“, sagt Nahles. Das gelte auch für weitere Politikbereiche.

In der Regierung Profil zeigen

Als dritten Punkt der Klausur nennt die Parteivorsitzende die „Profilbildung in der Regierung“ und die Frage, „welche Anforderungen haben wir für die anstehende Halbzeitbilanz?“. Auch darüber werde man sich am 3. Juni verständigen.

Nahles bekennt sich vor der Presse in Berlin zu ihrer Verantwortung als Partei- und Fraktionsvorsitzende: „Die Verantwortung, die ich habe, spüre ich. Die will ich aber auch ausfüllen.“ Sie berichtet aus der Sitzung des Parteivorstandes: „Wir haben eine Diskussion gehabt, wo mehrfach der Satz fiel: Die 15 Prozent, die wir jetzt haben, sind auch in den letzten 15 Jahren entstanden.“ Es sei „nicht alles in den letzten zwölf Monaten entstanden.“

Fehleranaylse mit neuer Dringlichkeit

Viele Ursachen seien in der Analyse des Wahlergebnisses auch nicht neu. Man habe an einigen Stellen zwar schon Fortschritte erreicht, „aber es hat insgesamt nicht gereicht“. Die Frage nach Konsequenzen stelle sich daher „sehr ernst“ und „mit einer neuen Dringlichkeit“. Die SPD werde jetzt zu Entscheidungen kommen müssen, „die von uns allen viel verlangen werden“. Der Prozess der Erneuerung solle aber nicht einfach abgebrochen werden.

Eine wichtige Rolle nahm laut Nahles im Parteivorstand die Frage der Halbzeitbilanz der großen Koalition ein. „Was man sich erwartet von einer Halbzeitbilanz, das soll nächste Woche klar gestellt werden“, so die SPD-Chefin. Darüber werde man auch mit dem Koalitionspartner sprechen. Viele Fragen stellten sich auch der CDU, wenn man sich das „krasse Ergebnis in Ostdeutschland“ anschaue, sagt Nahles. Auch daraus müsse man inhaltliche Konsequenzen ziehen. Man werde die Halbzeitbilanz und die dazugehörenden Fragen intensiv diskutieren.

Vorgezogene Neuwahl des Fraktionsvorsitzes

Ein Vorziehen dieser Bilanz „wurde heute mehrheitlich skeptisch eingestuft“, sagt Nahles über die Debatte im Parteivorstand. Es könne aber sein, dass diese Forderung in der nächsten Woche noch einmal aufkomme. „Ich gehe aber davon aus, dass diese Forderung sich am Ende nicht durchsetzt.“

Vorgezogen werden soll dagegen die Neuwahl des Fraktionsvorsitzes der Bundestagsfraktion. Diese war bisher für September geplant, doch am Abend kündigte Andrea Nahles im ZDF den Termin vor der parlamentarischen Sommerpause an. Bei der Wahl „sollen diejenigen sich hinstellen und sagen: Ich kandidiere. Dann schaffen wir Klarheit.“ Nahles machte zugleich klar, dass sie weiter Verantwortung tragen wolle. Sie wolle in so einer schwierigen Phase führen, sagte sie, und „nicht die Klamotten hinwerfen“.

Erfolge der SPD in Kommunen

Zur Bürgerschaftswahl in Bremen erklärt Nahles, hier stelle sich nun die Frage, wie die Grünen sich entscheiden, „progressiv oder konservativ?“ Die SPD-Chefin zeigt sich zuversichtlich, „dass es weiterhin eine progressive Mehrheit gibt“ in der Hansestadt.

Im Hinblick auf die gestrigen Kommunalwahlen in zehn Bundesländern betont Nahles, die SPD habe „auch viele Erfolge erzielt“. Als Beispiele nennt sie die SPD-Resultate in Cuxhaven, Wiesbaden und Saarbrücken. „Wir sind eine starke Kommunalpartei“, so Nahles. Sie dankt an dieser Stelle allen Kandidatinnen und Kandidaten der SPD „für ihren großen und starken Einsatz“.

Dem Gesamtausgang der Europawahl kann Andrea Nahles auch etwas Positives abgewinnen: „Mich hat es sehr gefreut, dass wir eine klare proeuropäische Mehrheit im Europäischen Parlament erreichen konnten.“ Sie bekräftigt, dafür zu kämpfen, „dass Frans Timmermanns an der Spitze einer fortschrittlichen Mehrheit“ die neue EU-Kommission führen werde. „Wir sehen ihn als den nächsten Präsidenten der Europäischen Kommission.“ Nahles kündigt an, am morgigen Dienstag in Brüssel mit den sozialdemokratischen Parteivorsitzenden und Regierungschefs darüber und über andere Personalfragen zu beraten.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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