Martin Schulz will Deutschland zum „weltweit stärksten Land in der Bildung“ machen
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Der Ort ist wohl bewusst gewählt – und zwar in doppelter Hinsicht. Am frühen Donnerstagnachmittag steht SPD-Chef und -Kanzlerkandidat Martin Schulz vor einer Bücherwand, dem „Lernzentrum“, auf der „Sachbuchetage“ der Helene-Nathan-Bibliothek in Berlin-Neukölln. Schulz ist gekommen, um mit Schülern und Lehrern zu sprechen, vor allem aber um seine Pläne für eine „nationale Bildungsallianz“ vorzustellen.
„Das deutsche Bildungssystem ist gut, aber nicht gut genug“
Dass nicht nur die Bibliothek zu Schulz’ Plänen passt, sondern auch Neukölln, macht Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey deutlich. „Unser größtes Problem in Neukölln ist die Bildungsferne“, sagt Giffey. Das bedeutet konkret: 40 Prozent aller Schüler starten „lernverzögert“ in die Schule. Mehr als die Hälfte ist von der Zuzahlung zu den Lehrbüchern befreit, weil die Eltern zu wenig verdienen. Mehr als 14 Prozent aller Schulabgänger haben keinen Abschluss.
Nun ist die Situation nicht überall in Deutschland so alarmierend wie in Neukölln, wo Menschen aus mehr als 150 Nationen zusammenleben, doch die Probleme ähneln sich. „Das deutsche Bildungssystem ist gut, aber nicht gut genug“, ist Martin Schulz überzeugt. An vielen Stellen seien Schule und Ausbildung „sozial ungerecht“, Herkunft und Wohnort würden über Bildungschancen entscheiden, Schüler, Lehrer und Eltern würden mit den Problemen alleingelassen.
„Nationale Bildungsallianz“ und „Berufsschulinitiative“
Das möchte der SPD-Kanzlerkandidat ändern. „Ich will, dass Deutschland das weltweit stärkste Land in der Bildung wird“, sagt Schulz am Donnerstag in der Neuköllner Hauptbibliothek. Um dies zu erreichen, hat er 13 Forderungen mitgebracht, allen voran eine „nationale Bildungsallianz“ verbunden mit einer „Berufsschulinitiative“. Da Bildung seit einer Grundgesetzänderung 2006 Ländersache ist, darf sich der Bund auch finanziell nicht mehr beteiligen, laut Schulz ein „in Verfassungsrecht gegossener Irrtum“.
Den will der Kanzlerkandidat so schnell wie möglich korrigieren und das sogenannte Kooperationverbot wieder abschaffen. „Der Bildungsföderalismus in seiner radikalen Form hat sich überholt“, ist Schulz überzeugt. Der Bund müsse deutlich mehr Geld für die Bildung ausgeben. Zurzeit seien es gerade mal 4,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Zum Vergleich: Die Staaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) geben im Durchschnitt 5,2 ihrer Wirtschaftsleistung für die Bildung aus.
Mehr als 30 Milliarden mehr für die Bildung
Allein um diese Lücke zu schließen, müsste die Bundesrepublik nach Schulz’ Worten mehr als 30 Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich ausgeben. An die Adresse der CDU fügte Schulz hinzu, diese Investitionen seien „deutlich sinnvoller als pauschale Steuersenkungsversprechungen“ oder gar mehr Ausgaben für die Rüstung.
Eine „Bundesschulpolitik“ will aber auch Schulz nicht. „Ich bekenne mich dazu, dass Bildung Ländersache ist“, betont er am Donnerstag. Es müsse aber Schluss damit sein, „immer wieder an der Bildung herumzudoktern“. Die Diskussionen über die Verkürzung von Schulzeiten – das sogenannte G8 – hätten Schüler, Lehrer und Eltern verunsichert. In den 16 Bundesländern gebe es sechs unterschiedliche Wege zum Abitur. Hier müsse es bessere Vereinbarungen zwischen Bund und Ländern geben, so Schulz.
Mehr Zeit zum Lehren und Lernen
Der SPD-Vorsitzende will Schülern und Lehrern auch „wieder mehr Zeit geben“. In Neukölln bekennt er sich zum Abitur nach 13 Jahren und zur Ganztagsschule. Hier will Schulz in den kommenden Jahren das Angebot um eine Million neue Plätze erweitern und mehr Schulsozialarbeiter einstellen. Dies sei auch „ein Beitrag zu einem besseren Zusammenhalt der Gesellschaft“.
Doch nicht nur die Schulbildung will Martin Schulz reformieren. „Handwerksmeister haben denselben Stellenwert wie Akademiker“, betont er und bekräftigt die Forderung der SPD, Bildung müsse von der Kita bis zur Hochschule und zum Meisterabschluss kostenfrei sein. Schulz wehrt sich gegen die Reduzierung von Bildung auf die Qualifikation für einen Arbeitsplatz. Vielmehr müsse sie „die Persönlichkeitsentwicklung fördern“.
Das gelte besonders im Ausland. Als Bundeskanzler wolle er deshalb darauf drängen, dass die Europäische Union mehr Geld für europaweite Bildungs- und Austauschprogramme zur Verfügung stellt.
Schulz’ Appell: Zukunftschancen nicht verspielen
In Neukölln kommen Schulz’ Pläne an. „Uns bleibt nichts anderes übrig, als mehr in Bildung zu investieren und das Kooperationsverbot abzuschaffen“, bekräftigt Bildungsstadtrat Jan-Christopher Rämer die Forderungen des SPD-Kanzlerkandidaten. Dies könne den Menschen auch wieder „ein positives Erlebnis von Staat“ vermitteln. Als „echten Durchbruch“ bezeichnet der Neuköllner SPD-Bundestagsabgeordnete Fritz Felgentreu die Pläne seines Parteichefs.
Der verspricht, Bildungsinvestitionen „zum zentralen Thema im Wahlkampf“ zu machen. Denn „wenn Herkunft kein Schicksal“ sein solle, müssten die Schulen handeln. Und „wer nicht in Bildung investiert, sondern Scheindebatten über Steuersenkungen führt, verspielt die Zukunftschancen der nächsten Generation“.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.