Machtkampf in der SPÖ: Warum jetzt die Mitglieder entscheiden
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Beobachter*innen der innerparteilichen Geschehnisse in der österreichischen Sozialdemokratie flüchten sich dieser Tage in Sarkasmus: Sie illustrieren die Vorgänge in der SPÖ mit „Asterix“-Bildern, bei denen am Hauptplatz des gallischen Dorfes alle mit allen raufen und einander mit allen möglichen Gegenständen, die gerade zur Hand sind, auf den Schädel schlagen. Andere verweisen lieber auf die Szenen bei „Asterix in Korsika“. Da sind Clans miteinander verfeindet, weil schon die jeweiligen Urgroßväter verfeindet waren, und die heutigen Akteur*innen sind es einfach aus Tradition und Gewohnheit, ohne sich notwendigerweise an die jeweiligen Anlässe erinnern zu können.
In der SPÖ ist jetzt der lange schwelende Hader explodiert und jetzt brennt die Hütte. Nach langen Sticheleien durch ihre Gegner*innen ist die recht glücklose Parteivorsitzende, Pamela Rendi-Wagner, vor eineinhalb Wochen in die Offensive gegangen und hat ihre Gegenspieler*innen ihrerseits herausgefordert, endlich den Hut in den Ring zu werfen.
Bitter, aber ohne Handgreiflichkeiten
Ihr Rivale, der burgenländische Parteivorsitzende und Landeshauptmann Hans-Peter Doskozil, nahm den Fehdehandschuh nach ein paar Tagen auf und bekundete seine Absicht, bei einer Mitgliederentscheidung gegen die amtierende Vorsitzende anzutreten. Bei einem Parteipräsidium und einem Bundesparteivorstand rechneten die beiden Gruppen miteinander ab, dem Vernehmen nach war es bitter, aber ohne Handgreiflichkeiten. Bis – höchstwahrscheinlich – Mai wird es nun eine Mitgliederbefragung geben. Die ist statutarisch bei der SPÖ gar nicht vorgesehen und schon gar nicht verbindlich, aber alle wollen sich an deren Ausgang halten. Danach muss ein Parteitag das Ergebnis absegnen.
Damit ist wenigstens eine Entscheidung im Dauerstreit absehbar. Aber das ist schon das einzige Gute an der gegenwärtigen Situation. Sowohl Doskozil als auch Rendi-Wagner haben ihre überzeugten Anhänger*innen in der Mitgliedschaft, aber höchstwahrscheinlich weniger, als sie selbst annehmen. Die Stimmung unter vielen Basis-Genoss*innen nach Jahren und Monaten des verantwortungslosen Haders ist eher: Wir wollen keinen von beiden.
Rendi-Wagner ist jenseits des Parteiklüngels sozialisiert
Denn die Situation ist reichlich verfahren, was an der Vorgeschichte der Eskalation liegt. Pamela Rendi-Wagner übernahm den Parteivorsitz nach dem überraschenden Abgang von Christian Kern 2018. Sie war letztendlich die einzige, die den Job als Oppositionsführerin übernehmen konnte und wollte und sie war eher die Kandidatin der urbanen, modernen, linksliberalen Strömungen in der Partei. Eine Frau, mit gewinnender Ausstrahlung, modern und jung, und jenseits der Parteiklüngel sozialisiert.
Erst im Jahr davor, wenige Monate vor der Nationalratswahl, die die SPÖ verloren hatten, war sie Gesundheitsministerin geworden und der SPÖ beigetreten. Sie hatte es nicht leicht, als Parteichefin Autorität zu gewinnen, machte aber auch selbst viele Fehler. Mangels Hausmacht umgab sie sich mit den Veteranen früherer Apparatschik-Seilschaften, installierte einen furiosen Parteigeschäftsführer, kapselte sich mit einem engen Klüngel an Vertrauten ab, und durch den Gegenwind verlor sie auch an ursprünglicher Lockerheit.
Dauernd musste sie innerparteiliche Putschversuche abwehren, worin sie einiges Geschick erwarb, was aber auch die Neigung verstärkte, sich von Feinden umstellt zu wähnen und allen zu misstrauen. Sie hat bis heute Anhänger, die ihr immerhin zugute halten: Die Frau hat bewundernswertes Stehvermögen und Ausdauer. Aber die Zweifel, ob sie die richtige Person an der Spitze ist, verbreiteten sich und gingen auch dann nicht weg, als die Partei – wie in einigen Monaten des Vorjahres – in den Umfragen deutlich in Führung ging.
Doskozil ist ein eher rustikaler Kandidat
Hans Peter Doskozil wiederum war, wie Rendi-Wagner, in der Regierung von Christian Kern Minister, und für Verteidigung zuständig. Davor war er Polizist. Er kultivierte das Image des „Sicherheits“-Mannes, insbesondere beim Migrationsthema, das im rechtspopulistisch vergifteten Klima Österreichs besondere innenpolitische Bedeutung hat. Gesellschaftspolitisch und in Migrationsfragen präsentiert er sich als „rechter“ Sozialdemokrat, so generell als geerdeter Typ, der nah bei den Leuten sei, eher rustikal als urban.
Wirtschafts- und sozialpolitisch ist er dagegen links. Bundespolitisch gibt er sich als Traditionssozi, in seinem Bundesland feiert er sich dagegen als Vorkämpfer für Windräder, Energietransformation und Fahrradfahrer. „Sozialismus mit ländlichem Antlitz“, charakterisierte ihn kürzlich der „Standard“. Bei all dem geht es aber längst nicht mehr nur um Fragen der (grundsatz-)politischen oder strategischen Ausrichtung, sondern auch um Stil, weshalb die Frontverläufe längst nicht nur nach politischen Kriterien verlaufen.
Während die Mehrzahl der Spitzenfunktionär*innen versuchte, eine schwierige Balance in der Partei zu stabilisieren, hat Doskozil aus seinem Bundesland immer für Destabilisierung gesorgt. Schließlich musste er die Vorsitzende weidwund schießen, wenn er eine Chance haben wollte, ihr die Position abzunehmen, und etwaige Kollateralschäden kümmerten ihn wenig. So kam aus seinem Bundesland regelmäßig öffentliche Kritik, und als die SPÖ im Herbst in den Umfragen weit voran lag, ließ die Burgenland-SPÖ eine Umfrage veröffentlichen, wonach die Partei mit Doskozil an der Spitze besser abschneiden würde, als mit der aktuellen Vorsitzenden.
Wirft eine dritte Person ihren Hut in den Ring?
Das eröffnete wiederum die Führungsdebatte, beschleunigte zumindest den Absturz in den Umfragen, und verhagelte anderen Landesparteien ihre Wahlkämpfe, wie etwa in Niederösterreich und zuletzt auch in Kärnten. Mit dieser egomanischen, teamunfähigen Art hat sich Doskozil keine Freund*innen gemacht, auch unter Leuten nicht, die sogar einzelne seiner Kritikpunkte teilen. Umgekehrt hat die Vorsitzende auch sehr viele Linke verprellt, von denen manche ins Lager ihres Konkurrenten überliefen. Es geht ein wenig kreuz und quer.
Hört man in die Partei hinein, dann erhält man nicht selten folgendes Meinungsbild: Die Parteivorsitzende ist sympathisch, klug, man hat es ihr auf ungerechte Weise schwer gemacht, aber mit ihr gewinne man keine Wahlen mehr. Doskozil wiederum habe mit seinen Ideen und seinem „Kleinen-Leute“-Sozialismus ja nicht völlig unrecht, aber derart unsolidarisch könne man sich einfach nicht verhalten. „Wenn eine dritte Person antritt“, meint ein sozialdemokratischer Bürgermeister, „dann wird die das höchstwahrscheinlich gewinnen.“
Der Ausgang der Mitgliederbefragung ist ungewiss
Einflussreiche Lokalpolitiker*innen bestätigen das Bild, eine Bezirksparteivorsitzende aus dem ländlichen Gebiet schreibt, einerseits sei man mit der Vorsitzenden unzufrieden, andererseits kenne sie „niemanden, der Doskozil will“. Diese Stimmungslage variiert noch dazu von Bundesland zu Bundesland, so hat Rendi-Wagner in Wien einige echte Anhänger*innen, Doskozil wiederum in Niederösterreich und natürlich im Burgenland, in vielen Bundesländern ist die „Keiner von den beiden“-Haltung dominant.
So sind sich Rendi-Wagner und Doskozil und ihre jeweiligen Kerntruppen zumindest in einem einig: Sie würden die Mitgliederentscheidung am liebsten auf zwei Kandidat*innen, also auf sich selbst, beschränken, um ihre Chance zu wahren. Wer also zusätzlich antritt, hätte wesentliche Teile des Apparats gegen sich, was wahrscheinlich potentielle Anwärter*innen abschrecken wird. Zugleich war es wohl noch nie so leicht, auf einer Woge der Mitgliederunterstützung an die Spitze zu segeln. Schwer vorauszusagen, was in den kommenden Monaten geschehen wird.