Leitantrag zur Außenpolitik: Warum die SPD ein starkes Europa fordert
IMAGO/Andreas Franke
Russlands völkerrechtswidrige Invasion in der Ukraine hat viele außenpolitische Gewissheiten erschüttert. Seit Kriegsbeginn im Februar 2022 sind einige internationale Krisen hinzugekommen, bis hin zur explosiven Lage in Nahost nach dem terroristischen Angriff der Hamas auf Israel und im Zuge der Kämpfe im Gazastreifen. In dieser Situation sind Politik und Diplomatie gefragter denn ja. Die SPD hat für sich jetzt die Richtung festgelegt. Im Entwurf für einen Leitantrag für den Bundesparteitag im Dezember werden „sozialdemokratische Antworten auf eine Welt im Umbruch“ formuliert. Im Zentrum des Papiers steht Europa. Dessen Stärkung ist für die Sozialdemokratie die wichtigste Aufgabe der kommenden Jahre.
„Nur als souveränes, attraktives Zentrum kann Europa die globale Ordnung nach seinen Werten und Interessen mitgestalten“, heißt es in dem Arbeitsentwurf, den der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil am Montag nach der Präsidiumssitzung vorgestellt hat. „Europa muss seine Rolle als geopolitischer Akteur annehmen und mehr in die eigene Sicherheit investieren.“
Europa an der Spitze
Ein starkes Europa treibe eine neue Innovations- und Wirtschaftsagenda voran, die den Kontinent an die Spitze des technologischen und gesellschaftlichen Fortschritts und des Kampfes gegen die Klimakrise setze und damit die Grundlage für künftigen Wohlstand schaffe. „Dafür braucht es politische und institutionelle Reformen und mehr europäische Integration.“
Der Fokus auf Europa und seine Rolle in der Welt macht eine weiteres Kernforderung der Sozialdemokratie deutlich: Um all die Krisenherde zu entschärfen, brauche es ein Mehr an internationaler Kooperation. Deutschland und Europa müssten daher viel stärker in strategische Partnerschaften mit Ländern investieren, die ihnen politisch und gesellschaftlich nahestehen. Die SPD wolle hierfür an die Nord-Süd-Politik Willy Brandts anknüpfen, die Zusammenarbeit mit progressiven Kräften weltweit stärken und für eine gerechtere Globalisierung eintreten. Europa müsse strategische und gleichberechtigte Partnerschaften mit den Ländern des Globalen Südens eingehen.
Um globalen Herausforderungen zu begegnen, brauche es mehr Multilateralismus, mehr gemeinsame Institutionen und mehr internationale Zusammenarbeit. Das ist Grundlage für die Aufrechterhaltung einer regelbasierten internationalen Ordnung. Wegen seiner Größe und wirtschaftlichen Stärke komme Deutschland eine besondere Verantwortung zu. „Als Sozialdemokratie wollen wir, dass Deutschland Führung für ein starkes Europa, für Frieden, Freiheit und eine regelbasierte internationale Ordnung übernimmt“, heißt es weiter.
Sicherheit vor Russland
Doch wie lassen sich internationale Krisen und Konflikte lösen, wenn einzelne Großmächte sie heraufbeschwören oder eine Lösung erschweren? Wie sollen Deutschland und die EU ihnen begegnen, ohne eigenen Interessen zu schaden? Auch hierbei komme es darauf an, dass Europa zusammensteht, zugleich aber auch einseitige Abhängigkeiten vermeide. Das zeigten die Erfahrungen mit Russland.
Den mittelfristigen Umgang mit dem zunehmend autokratischen und imperialistischen Nachbarn im Osten skizziert der Antragsentwurf, der auf Vorschlägen der Kommission Internationale Politik beruht, wenig hoffungsvoll: „Solange sich in Russland nichts fundamental ändert, wird die Sicherheit Europas vor Russland organisiert werden müssen.“ Dazu gehöre auch, die Sicherheitsinteressen von Staaten in Mittel- und Osteuropa stärker in den Blick zu nehmen.
Auch von der Diktatur in China dürfe sich Europa nicht auseinanderdividieren lassen. Doch wegen der engen wirtschaftlichen Verflechtung seien die Beziehungen weitaus komplexer. Die SPD wirbt dafür, die ökonomischen Beziehungen zu diversifizieren, eine europäische Resilienzstrategie zu entwickeln und die kritische Infrastruktur zu schützen. Auch müssten jene asiatischen Länder politisch Gehör finden, die sich vom immer aggressiver auftretenden Reich der Mitte bedroht fühlten.
Scholz und Faeser in Afrika
Bei der Vorstellung des Arbeitsentwurfs verwies SPD-Chef Klingbeil darauf, dass die Sozialdemokratie einige dieser Eckpunkte bereits angepackt habe. Als Beispiel nannte er die jüngsten Afrika-Reisen von Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Bei diesen Stippvisiten standen Fragen zur Migration im Mittelpunkt. Auch im Nahen Osten sei auf lange Sicht die Politik gefragt. „Frieden zwischen Israelis und Palästinenser*innen kann nur eine Zwei-Staaten-Lösung bringen“, so der SPD-Vorsitzende. Und auch in der Ukraine werde es eines Tages eine Verhandlungslösung geben. Um das Land auf dem Weg dorthin zu stärken, werde Deutschland in seiner militärischen Unterstützung nicht nachlassen.