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Lars Klingbeil: Warum wir ein Grundeinkommensjahr brauchen

Lars Klingbeil08. November 2018
Die Digitalisierung verändert die Arbeitswelt rasant. Ein Grundeinkommensjahr könnte helfen, die Veränderungen zu meistern, meint SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil.
Die Digitalisierung verändert die Arbeitswelt rasant. Ein Grundeinkommensjahr könnte helfen, die Veränderungen zu meistern, meint SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil.
Umbrüche in der Arbeitswelt, die Digitalisierung, die Sehnsucht nach einer neuen Balance von Arbeit und Freizeit heizen die Diskussion über ein Grundeinkommen an. Die SPD muss diese Debatte als Chance begreifen und in ihrem Sinne gestalten – mit einem Grundeinkommensjahr.

Wir wollen mehr Freiheit für Beschäftigte. Mehr Erholung. Mehr Chancen auf Weiterbildung und Neuorientierung. Ich werbe deshalb für das Grundeinkommensjahr, mit der wir die Freiheit des Grundeinkommens mit der Wertschätzung für Arbeit verbinden können.

So funktioniert das Grundeinkommensjahr: Jeder soll für ein Jahr Arbeit den Anspruch auf einen Monat Grundeinkommen in Höhe von 1.000 Euro bekommen. Wer also sechs Jahre gearbeitet hat, hat Anspruch auf ein halbes Jahr Grundeinkommen. Wer zwölf Jahre gearbeitet hat, hat Anspruch auf ein ganzes Jahr Grundeinkommen. Das ist einfach. Das gilt für alle. Und es ist möglich

Neue Antworten auf die Veränderung der Arbeitswelt

In der Arbeitswelt finden schon heute massive Veränderungen statt. Früher haben Menschen von der Ausbildung bis zur Rente im selben Unternehmen die mehr oder weniger gleiche Tätigkeit ausgeübt. Solche Lebensläufe werden immer seltener. Der technologische Fortschritt wird in den nächsten 10 Jahren viele alte Berufsbilder verschwinden und neue Berufe entstehen lassen. Die Arbeit wird uns nicht ausgehen – aber sie wird anders werden.

Berufe, die körperlich oder psychisch besonders fordernd sind, wird es auch in Zukunft noch geben: z.B. Pflegerinnen und Pfleger, Erzieherinnen und Erzieher, auch für viele Dienstleistungsberufe und manches Handwerk trifft das zu. Es gibt andere Berufe, die durch die Fortschritte im Bereich der Robotik und der künstlichen Intelligenz künftig weniger Arbeitsplätze bieten werden. Und es wird ganz neue Berufe geben, die andere Qualifikationen erfordern als bisher. Die große Aufgabe sozialdemokratischer Politik muss es sein, diese Veränderungen so zu gestalten, dass sie allen Beschäftigten nützen.

Es wird nicht die eine, ausschließliche Antwort auf die Fragen der Zukunft geben, sondern wir müssen in den verschiedensten Bereichen ansetzen: in der Schule, in der Ausbildung, an Universitäten, in der Tarifpolitik, in den Unternehmen und in der Art und Weise, wie unser Sozialstaat funktioniert. Die SPD diskutiert zum Beispiel gerade darüber, wie die Nachfolge von Hartz IV aussehen wird. Ein Sozialstaat im Jahr 2025 muss anders funktionieren als er im Jahr 2004 funktioniert hat. Aber auf die weitreichenden Veränderungen in der Arbeitswelt darf das nicht die einzige Antwort bleiben.

Die Diskussion über das Grundeinkommen ist richtig

So vielfältig die Möglichkeiten, dem Wandel der Arbeitswelt zu begegnen, auch sein mögen. Es gibt eine Gemeinsamkeit, die allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern helfen würde: Zeit. Zeit zum Erholen, Zeit für die Familie, Zeit zur Neuorientierung, Zeit, um sich zu engagieren und innovative Ideen weiterzuverfolgen. Genau deswegen findet die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens bei immer mehr Menschen und in sehr unterschiedlichen politischen Strömungen Zuspruch.

Hinter dieser Idee steht allerdings nicht nur ein Konzept. Manche Konzepte des Grundeinkommens gehen in Richtung einer neoliberalen Stillhalteprämie für Menschen ohne Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Andere gehen davon aus, dass Arbeit insgesamt nur Last und Bürde ist und komplett überwunden werden muss. Ich halte beide Perspektiven für falsch. Arbeit bringt uns mit anderen Menschen zusammen. Arbeit lässt uns erfahren, dass Kooperation mit anderen nicht nur bessere Ergebnisse bringen kann, sondern auch Spaß macht. Arbeit ist für viele eine wichtige Quelle von Anerkennung und Sinn. Natürlich trifft das nicht für alle und jederzeit zu. Mit der Arbeit ist es ein wenig so wie mit der Familie. Auch sie ist manchmal anstrengend, schwierig und kompliziert. Deswegen stellen wir aber nicht grundsätzlich den Wert der Familie in Frage. Stattdessen versuchen wir, miteinander Probleme und Konflikte zu lösen. Durch Gespräche, durch Regeln und Vereinbarungen.

Das Grundeinkommensjahr

Die Wertschätzung von Arbeit prägt auch meine Sicht auf die Idee des Grundeinkommens, die wir als SPD nicht einfach links liegen lassen sollten. Im Gegenteil: Wir sollten den Gedanken offensiv aufgreifen. Ich glaube, das Grundeinkommen ist ein Weg, mit dem wir die Arbeitswelt verbessern können. Mein Konzept des Grundeinkommensjahres will genau das. Es ermöglicht Freiräume, die selbstbestimmt genutzt werden können – ohne staatliche Vorgaben. Es gibt keine komplizierten Spezialregeln für diese oder jene Gruppe, sondern es ist ein einfaches Konzept, das für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gilt. Mein Ziel ist es, selbstbestimmte und gute Arbeit so zu fördern, dass möglichst viele Menschen gerne zur Arbeit gehen.

Der Vorschlag für ein Grundeinkommensjahr ist unkompliziert: Mit Eintritt in das Berufsleben bekommen alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein Grundeinkommenskonto. Mit jedem Jahr Berufstätigkeit erwirbt man den Anspruch auf einen Monat Grundeinkommen. Dieses Grundeinkommen von 1.000 Euro netto kann für sechs bis maximal zwölf Monate in Anspruch genommen werden. Hat man das Konto wieder aufgefüllt, kann man nach frühestens sechs Jahren die nächste Auszeit nehmen. Auf das Grundeinkommen müssen keine Steuern gezahlt werden. Die Beiträge für die Krankenversicherung übernimmt der Staat.

Diese Arbeitsauszeiten von maximal einem Jahr können für ganz unterschiedliche Zwecke genutzt werden: Man kann die Zeit nutzen, um über die eigene Idee der Selbständigkeit nachzudenken und konkrete Vorbereitungen zur Gründung des eigenen Unternehmens zu treffen. Man kann sich von der anstrengenden Arbeit als Erzieher oder Pflegerin erholen, obwohl man den Beruf liebt und ihn danach weiter ausüben will. Oder man kann sich beruflich umorientieren und durch Weiterbildungen einen neuen Weg einschlagen. Vorgaben dafür, wie man diese Zeit nutzt, gibt es nicht.

Den Fortschritt in die Hand nehmen

Digitalisierung und technologischer Fortschritt verändern unsere Arbeitswelt. Ich möchte, dass wir den technologischen Fortschritt dafür nutzen, auch gesellschaftlichen Fortschritt zu erreichen. Mein Ziel und das der Sozialdemokratie ist es, die Veränderungen so zu gestalten, dass sie Selbstbestimmung und Freiheit fördern und die Arbeitswelt verbessern. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir das schaffen, wenn wir dafür sorgen, dass nicht nur Unternehmen oder wenige Spezialisten von diesen Veränderungen profitieren. Deswegen müssen wir heute damit beginnen, nach neuen und kreativen Wegen zu suchen, die Arbeit von morgen zu gestalten.

Das Grundeinkommensjahr ist eine völlig neue Antwort auf die Veränderung der Arbeitswelt. Das Gute der Arbeit zu stärken und Freiheit und Selbstbestimmung der Beschäftigten zu fördern, war und ist die Aufgabe der SPD. Dazu dient dieser Vorschlag und ich werde dafür kämpfen, dass dieses Modell für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Wirklichkeit wird.

Grundeinkommen – Utopie oder Zukunftskonzept?

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Kommentare

Quatsch mit Soße

Wer wird das in Anspruch nehmen? Die Mehrheit wird Gutverdienende sein, die ein Sabbatjahr einlegen. Pflegekräfte können sich zwar erholen, werden dann aber wieder zurückkommen und gleich schlechten Bedingungen vorfinden.
Das ist doch unausgegorener Mist!

www.nachdenkseiten.de/?p=46956

PS: Gibt es hier eine

PS: Gibt es hier eine Editierfunktion?
Vor lauter Wut und Frust haben sich ein paar Grammatikfehler im vorigen Kommentar eingeschlichen. Ich hoffe, mein Kommentar ist trotzdem verständlich.

Kein Mist !!!

Das Sabatjahr ist natürlich kein Mist, sondern überaus notwendig für Viele, die in der Mühle der tägliche Arbeit weder Kraft noch Zeit finden um ihr Leben zu überdenken und möglicherweise eine neue Richtung einzuschlagen (vielleicht auch für Politiker zu empfehlen!).
Es macht Arbeitgebern den nötigen Druck, gute, attraktive Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen, weil Menschen bei einer solchen Arbeitspause wieder Zeit zu einer evt. Umorientierung finden (und zwar nicht nur Menschen in prekärer Arbeit, sondern auch Menschen aus der sog.Mitte der Gesellschaft ) Andere erfüllen sich vielleicht nur einen Lebenstraum und segeln um die Welt. Das ist den Menschen auch zu gönnen !!
Das Sabatjahr hat jedoch rein gar nichts mit dem Grundeinkommen zu tun wie es die Mehrheit der Sozialwissenschaftler zu Recht anmahnt !! Dieses wiederum dient der Absicherung insbesondere der untersten Einkommensschichten, was gerade besonders aktuell wird wenn zunehmend Billig-Konkurrenz durch Roboter entsteht !
Ausserdem dient ein Grundeinkommen der Gründerszene und dem Gründergeist, sowie der Absicherung der Arbeitnehmer in einem Arbeitsmarkt der zunehmend Flexibilität erfordert (auch Projektarbeit!)..

Warum wir kein Grundeinkommen brauchen

Was wir brauchen sind unbefristete Arbeitsverhältnisse, ein Ende von Leih- und Zeitarbeit, ein Ende von Minijobs und zugehörigem Sozialabgabend-umping. Wir brauchen einen PV, der nicht auf Nebenschauplätzen diskutiert, sondern etwas gegen die Entfremdung zwischen Politik und Bürger bzw. Parteispitze und Parteibasis macht. Wir brauchen einen PV, der die großen gesellschaftlichen Probleme (insbesondere Pflege, marode Schulen und Unis, Bildung, soziale Absicherung, ausreichende Rente, marode Infrastruktur, personell unterbesetzten Staat, extreme Ungleichheit, Wohnungsnot) mit überzeugenden Konzepten angeht. Sollten diese Probleme endlich gelöst werden, bedarf es keinem Grundeinkommen mehr. Mir scheint der PV ist immer noch Lichtjahre von der Lebenswirklichkeit entfernt, anders kann man das Verhalten nicht erklären. Wenn Ihr es nicht könnt, lasst andere ran. Unter und ca. 450.000 Mitgliedern gibt es Tausende, die unsere Partei wieder glaubhaft aufrichten können. Aber Ihnen wird dies durch eine verkrustete und veraltete Parteistruktur verwährt. Die SPD ist die Partei der unterprivelegierten Mehrheit und nicht einer kleinen priveligierten Minderheit.

Grundeinkommen alternativlos

Lieber Genosse,
in den allermeisten Punkten hast Du meine Unterstützung, jedoch nicht in Sachen Arbeitswelt !
Digitalisierung und Industrie 4.0 sind grundsätzlich als Erleichterungen für den Arbeitsalltag der Menschen und nicht zur Gewinnmaximierung der seitherigen Systemprofiteure zu denken.
Unausweichlich wird sein, und das ist gut so , dass bei weniger Konsum u. Nachhaltigkeits-Anforderungen (Langlebigkeit etc.)an die Produkte und den Warentransport insgesamt weniger Arbeit für de Menschen da sein wird. die aber gerechter verteilt werden muß ! Das Einkommen der Menschen muss aber gesichert werden. Es wird wohl so sein, dass zumindest für eine Übergangszeit, wie wir jetzt schon sehen (Protest der Abgehängten!), zahlreiche Menschen einen menschenwürdigen Lebensstandard selbst bei höheren Lohn nicht erreichen, weil weniger Arbeitszeit benötigt wird, die zum Leben erf. Lohnhöhe aber nicht auf die schnelle erreicht werden kann !!! Die überwiegende Zahl der Sozialwissenschaftler erklärt daher die Notwendigkeit eines Grundeinkommens für alternativlos !!

Sabbatjahr

Sehr geehrter Herr Ermark,
Persönlich finde ich ein Sabbatjahr auch schön. Nur zu glauben, wenn ein paar Arbeitnehmer dies in Anspruch nehmen, werden die Arbeitgeber due Arbeitsbedingungen und/oder Lohn verbessern, ist auf dem Holzweg.
Krankenhauskonzerne wie Helios oder Rhön werden darüber lächeln (habe jetzt Beispiel aus dem Gesundheitswesen genommen, da dort heimisch).

Herzliche Grüsse,
Pierre

Das Grundeinkommensjahr ist keine Zukunftsstrategie!

Mir ist es völlig schleierhaft, wie nach der Bayern und Hessen Wahl es Vorschläge hagelt, die weder sozialfuturistisch sind noch der breiten Masse die prekär Beschäftigten zu sozial gesicherten Beschäftigungen verhilft. Hier soll ein Sabbatjahr gesetzlich eingerüstet, und gleich zeitig vom bedingungslosen Grundeinkommen abgelenkt werden, selbst wenn es gewichtige Gründe gegen das BGE gibt. So gewinnt man weder die Deutungshoheit und Definitionsmacht von sozialer Gerechtigkeit noch die Wähler[innen] zurück.

Èmile Durkheim hatte im Zuge seiner Suizidforschung entdeckt, dass eine wesentliche Prophylaxe die Beschäftigung durch das Ehrenamt ist. In diesem Sinne sollte einerseits das FSJ, BFD etc. zu einem Ehrenamt mit unbefristet gesicherten Einkommen weiterentwickelt werden, inkl. Sozialversicherung, andererseits muss branchenübergreifend die hohe Anzahl von Überstunden gesetzlich bekämpft werden. So hätten die Betroffenen eine echte Wahl zwischen neu geschaffener regulärer oder ehrenamtlicher Beschäftigung. Schluss mit den Schnapsideen, keine Macht den Drogen! Veröffentlicht endlich die Ergebnisse Eurer Wahlanalysen und handelt endlich. Was in aller Welt soll Euch noch wachrütteln?

Einfach das „sjahr“ weglassen

Einfach das „sjahr“ weglassen, dann stimmt’s.

GEK als Ablenkungsmanöver von der Unzulänglichkeit der Parteifüh

Wie soll ich von 1.000 € überleben, wenn meine Miete bereits 600 € verschlingt, und ich noch kein Gas oder Strom bezahlt habe, geschweige denn Telefon und Internet. Kennt Herr Klingbeil die Mieten in den Ballungszentren etwa nicht. . Der Vorschlag des GEK offenbart erneut den Realitätsverlust und die Entfremdung der Spitze vom Alltagsleben der Bürger. Man merkt immer mehr, die da oben können es nicht. Wenn der Spitze wirklich etwas an der Partei liegt, macht Sie den Weg frei, für die Urwahl eines neuen Parteivorstands. Wieviel Wahlen müssen noch verloren werden, bis auch der letzte Spitzengenosse merkt, dass er vielleicht doch nicht der Richtige ist. Es ist gut, dass der PV mit solchen Vorschlägen die eigene Unzulänglichkeit offenbart. Wir als Parteibasis werden weiterhin Alles tun, um unsere Partei aus den Händen und den intransparenten Netzwerken weniger zu befreien. Sie können uns ignorieren, zensieren, uns bekämpfen, aber Ende werden wir als Parteibasis uns unsere Partei zurückerobern. Wir werden wieder die Volkspartei sein, die sich den Problemen der Menschen annimmt und überzeugende Lösungen anbietet. Die Krise der Partei ist eine riesige Chance, lasst sie uns ergreifen!!!

Die SPD muss sich tatsächlich erneuern.

Oooch nee Herr Klingbeil! Wenn ihre Partei überhaupt noch eine Chance haben will - es geht jetzt um nichts anderes als um das Überleben der alten Tante - dann sollten Sie endlich, ENDLICH(!!!) begreifen, dass nur eine echte Sozialpolitik den Untergang verhindern wird. Steht endlich zu euren Fehlern!