Parteileben

Lars Klingbeil: „Die Basta-Zeiten sind in der SPD vorbei.“

Am Wochenende hat der Parteivorstand umfangreiche Beschlüsse zur Neuaufstellung der SPD gefasst. Generalsekretär Lars Klingbeil sagt, was sich dadurch ändern soll – und was die Vorschläge von früheren Reformversuchen unterscheidet.
von Kai Doering · 4. Oktober 2019
Die SPD ist die Partei in Deutschland, die ihre Mitglieder am meisten wertschätzt und beteiligt, sagt Lars Klingbeil. Der Generalsekretär möchte das noch weiter ausbauen.
Die SPD ist die Partei in Deutschland, die ihre Mitglieder am meisten wertschätzt und beteiligt, sagt Lars Klingbeil. Der Generalsekretär möchte das noch weiter ausbauen.

Als Sie 2017 Generalsekretär wurden, haben Sie angekündigt, „jeden Stein“ in der SPD umdrehen zu wollen. Mit der Organisationspolitischen Kommission haben Sie in den vergangenen eineinhalb Jahren genau das gemacht. In welchem Zustand ist die Partei?

Die SPD ist insgesamt gut aufgestellt, muss aber in bestimmten Bereichen besser werden. Wir haben eine sehr starke Organisationskraft. Das haben wir bei der Arbeit der Organisationspolitischen Kommission gemerkt. Ich erlebe es aber auch gerade ganz persönlich bei den Regionalkonferenzen für den Parteivorsitz. Die SPD ist mobilisierungsfähig und hat starke Hauptamtliche vor Ort. Das ist etwas, das uns auszeichnet und oft von anderen Parteien unterscheidet. Gleichzeitig sehen wir deutliche  Verbesserungsmöglichkeiten. Mit der klassischen Ortsvereinsstruktur erreichen wir gerade mal 15 Prozent unserer Mitglieder. Wir müssen also die Arbeit der Ortsvereine stärken und uns Gedanken über Strukturen machen, mit denen wir auch die anderen 85 Prozent erreichen. Das ist ein erhebliches Potential für uns. Gerade junge Menschen wollen anders arbeiten als es in den vergangenen Jahrzehnten der Fall war.

Als neue Struktur sollen – vorerst als Versuch – Onlinethemenforen eingeführt werden, um unabhängig von Ort und Funktion in der SPD mitzuarbeiten. An wen richten sie sich?

Bisher erreichen wir unsere Mitglieder entweder über die Ortsvereine oder über die Arbeitsgemeinschaften. Beide Wege sind gut und funktionieren im Großen und Ganzen. Mit den Onlinethemenforen bauen wir eine dritte Säule auf, über die wir konzentriert Sachverstand in die Arbeit der Partei einbringen wollen. Meine Erfahrung ist, dass gerade Frauen und junge Leute aus den unterschiedlichsten Gründen nicht in die klassischen Ortsvereinsstrukturen gehen können oder wollen. Denen machen wir mit den Onlinethemenforen ein konkretes Angebot. Ich denke, auch Genossinnen und Genossen, die immer oder zeitweise im Ausland leben, werden davon profitieren.

Eine zweite Neuerung, mit der die Mitglieder stärker beteiligt werden sollen, ist ein Mitgliederbeirat, in den 20 Genossinnen und Genossen nach dem Zufallsprinzip berufen werden sollen. Was wird dessen Aufgabe sein?

Die SPD ist die Partei in Deutschland, die ihre Mitglieder am meisten wertschätzt und beteiligt. Bei uns stimmen sie über den Koalitionsvertrag ab. Bald werden sie entscheiden, wer die Partei künftig führt. Die Idee, die hinter dem Mitgliederbeirat steht, ist die, dass wir eine institutionalisierte Verbindung zwischen der Parteiführung und Mitgliedern ohne Amt und Funktion schaffen wollen, um von ihren Erfahrungen und Ansichten zu profitieren. Sie sollen dem Parteivorstand auf Augenhöhe eine Rückmeldung geben, was sie von unserer Arbeit halten und ihre Ideen für die SPD einbringen. Ich hoffe deshalb sehr, die Genossinnen und Genossen werden uns unverblümt ihre Meinung sagen.

Im Beschluss des Parteivorstands heißt es: „Neben den organisatorischen Veränderungen ist eine Veränderung unserer politischen Kultur zentral.“ Was ist damit gemeint?

Wir wollen nicht nur neue Strukturen schaffen und alte überarbeiten, sondern auch unseren Umgang miteinander ändern. Mit Instrumenten wie dem Mitgliedervotum geben wir den Parteimitgliedern mehr Macht, aber auch mehr Verantwortung. Die Basta-Zeiten sind in der SPD vorbei. Wir brauchen eine moderne Form der Führung und des Beteiligens. In dem Beschluss zur organisationspolitischen Neuaufstellung finden sich dazu konkrete Vorschläge. Eine neue Art des Umgangs bedeutet aber auch, dass Entscheidungen, die von den Mitgliedern mehrheitlich getroffen wurden, von allen respektiert werden. Von der neuen Parteiführung erwarte ich umgekehrt auch, dass sie die Formen der Mitgliederbeteiligung nutzt und ernst nimmt, was die Mitglieder sagen. Das Team-Spiel muss in der gesamten SPD gelebt werden.

Die Organisationspolitische Kommission regt auch an, die Verankerung der SPD in der Gesellschaft über die Ortsvereine zu verbessern. Wie soll das gelingen?

Unser Anspruch muss sein, dass wir stärker vernetzt sind und eine bessere Zielgruppenarbeit leisten. Wir können natürlich nicht in Berlin beschließen, wie die Ortsvereine arbeiten sollen. Es geht eher darum, sie zu ermutigen, wieder präsenter in gesellschaftlichen Gruppen zu sein und stärker politisch zu arbeiten. Als Unterstützung wird der Parteivorstand ein Leitbild für die Quartiersarbeit erarbeiten und mit den Unterbezirks- und Kreisvorsitzenden diskutieren. Die Quartiersarbeit muss fester Bestandteil unserer Organisationsstruktur werden.

Dies ist nicht der erste Versuch, die SPD neu aufzustellen. Was ist der Unterschied zu den Malen davor?

Wir waren uns von Anfang an einig, dass wir mutige Reformen für die SPD brauchen, einen großen Wurf statt kleiner Schritte. Unser Ziel ist es, die Mitglieder stärker einzubinden, dafür auch die Möglichkeiten der Digitalisierung besser zu nutzen und eine gemeinsame Verantwortung zu schaffen. Ich denke, das ist uns gut gelungen. Entscheidend war dafür, dass wir in der Organisationspolitischen Kommission die letzten eineinhalb Jahre sehr harmonisch und strukturiert zusammengearbeitet haben und uns der Parteivorstand mit seinem Beschluss das Vertrauen ausgesprochen hat. Auch die Landes- und Bezirksvorsitzenden sind mit im Boot. Mit dieser Rückendeckung gehen die Vorschläge auf den Parteitag. Das war bei früheren Versuchen, die Partei zu reformieren, nicht immer so. Deshalb bin ich sehr optimistisch, dass die Neuaufstellung gelingen wird.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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