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Kursdebatte: Die SPD muss wieder Lust auf Zukunft machen

Lars Castellucci01. Dezember 2017
SPD Ballon
Lust auf Zukunft entsteht, wenn Veränderungen spürbar werden. Dazu braucht die SPD Energie, Visionen und Talente.
Soziale Gerechtigkeit alleine reicht nicht aus, um Wahlen zu gewinnen. Die SPD muss wieder Lust auf Zukunft machen, schreibt unser Gastautor Lars Castellucci. Der Bundestagsabgeordnete sagt auch, wo eine gute Zukunft heute schon sichtbar wird.

Und täglich grüßt das Murmeltier. Meine SPD benötigt dafür nicht einmal eine Zeitschleife wie ihr Vorbild in der amerikanischen Filmkomödie. Sie wiederholt einfach so nach jeder verlorenen Wahl das gleiche Ritual: „Wir waren nicht links genug“, sagen die einen. „Wahlen werden in der Mitte gewonnen“, die anderen. „Das Thema soziale Gerechtigkeit war richtig, aber die Leute trauen uns nicht mehr“, meinen einige. „Nur mit dem Thema soziale Gerechtigkeit kann man keine Wahlen gewinnen“, sagen andere.

Positionen verbinden

Manchmal geht es bei solchen Äußerungen auch darum, eine Position zu beziehen, die positioniert. Das gelingt, so ist es gelernt, leichter in Gegenüberstellungen. Aber wenn die SPD Volkspartei sein will, dann muss sie wieder lernen, Positionen zu verbinden. Wir  brauchen die Kraft für ein „und“, wo den anderen ein „aber“ oder „oder“ reicht. So geht Volkspartei: als Bündnis. Selbstverständlich ist das Thema soziale Gerechtigkeit für die SPD immer richtig. Ohne soziale Gerechtigkeit kann man die SPD den Hasen füttern. Aber genau so stimmt: Wer soziale Gerechtigkeit durchsetzen will, benötigt Stimmen auch von denen, die hier für sich keine Priorität sehen. Nicht umsonst hat die SPD im Bund zuletzt Wahlen gewonnen, in denen „Innovation und Gerechtigkeit“ (1998) oder „Erneuerung und Zusammenhalt“ (2002) versprochen wurden (einmal unabhängig davon, was dann daraus gemacht wurde).

Als ich 2013 in den Deutschen Bundestag gewählt wurde, gehörte die Krim noch zur Ukraine, Trump war noch nicht Präsident der Vereinigten Staaten und Großbritannien hatte noch nicht den Austritt aus der EU beschlossen. Es ist ein Riesendurcheinander in der Welt. Wir haben darauf keine fertige Antwort. Schön wäre es, wir hätten eine. Willy Brandt hätte vielleicht eine? Es ist, wie es ist. Wir müssen nach Antworten suchen und gemeinsam mit anderen an Antworten arbeiten. Soziale Gerechtigkeit reicht als Antwort jedenfalls nicht aus.

Wir leben in Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche größten Ausmaßes, schreibt der Soziologe Oskar Negt. Und das ist, was die Menschen spüren. Sie spüren Unterschiedliches, stören sich an Unterschiedlichem. Für die einen ist es die Erkenntnis, dass Grenzen nur begrenzt schützen können. Für die anderen die neue Normalität einer „Ehe für alle“. Wir sind geneigt, Kopf zuerst, zu solchen Einzelthemen zu argumentieren. Dabei geht es um die darunterliegende Bewegung, die wie eine sich verschiebende Erdplatte anscheinend von niemandem angehalten oder kontrolliert werden kann.  

Der Optimismus fehlt

Vielen Menschen, das ist meine Analyse, ist im Moment einfach alles zu viel. Zu viel Veränderung. Alles dreht sich schneller, alles soll vereinbar sein, dauernd muss man Entscheidungen treffen wo früher alles geregelt war. Die Kinder sind noch nicht auf eigenen Füßen, die Eltern werden schon pflegebedürftig, die Lebensversicherung lohnt sich nicht mehr. Und das Häuschen im ländlichen Raum ist ein energetisches Problem, das niemand mehr wollen wird, wenn man im Alter in eine Wohnung in der Stadt ziehen wollte, die es dort leider auch gar nicht bezahlbar gibt. Das Durcheinander draußen in der Welt sitzt auch drinnen in den Herzen. Natürlich trägt man das nicht vor sich her: Uns geht es gut, sagen die meisten. Aber der Optimismus fehlt. Seit Jahren glaubt weit mehr als die Hälfte der deutschen Bevölkerung nicht mehr daran, dass es die Kinder einmal besser haben werden als die Elterngeneration. An den Reform-Begriff knüpft niemand Hoffnung. Eher die Frage, was sie kosten soll.

Für eine Partei, die einmal mit "Fortschritt nur mit uns" oder dem Slogan angetreten ist „Wer morgen sicher leben will, muss heute für Reformen kämpfen“, eine gefährliche Stimmungslage. Und so sind die Wahlergebnisse. Wer in einer solchen Lage (nur) mehr soziale Gerechtigkeit verspricht, sagt den Leuten, „wenn Euch schlecht geht, sind wir für Euch da“. Die Sehnsucht der Leute ist aber, dass es Ihnen erst gar nicht schlecht, sondern gut geht. Sie wollen ordentliche Jobs, kein Arbeitslosengeld Q, selbst wenn das ein sehr sinnvoller Vorschlag ist. Und so wählen sie Leute, die ihnen Sicherheit versprechen, wenn schon niemand Perspektiven bietet. Mit Heftpflastern kommt man dagegen nicht an. Schon gar nicht, wenn das Zutrauen fehlt, ob die Heftpflaster halten.  

Gute Zukunft ist sichtbar

Die SPD muss wieder Lust auf Zukunft machen. Mitten im „Orientierungsnotstand“ (Oskar Negt) müssen wir nichts weniger als Orientierung schaffen. Mit Phantasie, Offenheit, Dialog. Wenn uns ein attraktiver Zukunftsentwurf gelingt, holen wir die sogenannte Mitte zu uns, so wie sozialdemokratische Reformvorstellungen auch früher Mehrheiten erreichen konnten.

Dieser Zukunftsentwurf gelingt nicht eben mal so. Wenn man überträgt, wie andernorts Innovationen entstehen, dann muss sich viel ändern in der Art, wie wir arbeiten. So lautet beispielsweise einer der ersten Lehrsätze des Design Thinking: "Get out of the house". Wir dagegen ersticken an internen Sitzungen, Gremien, treffen dauernd die gleichen Leute, eben noch im Vorstand, morgen wieder in der Arbeitsgruppe.

Wie wäre es mit Zukunftsscouts, die ausschwärmen ins Land auf der Suche nach den Orten, wo eine gute Zukunft schon heute sichtbar ist? Wiederholen wir den Social Hackathon, der im Frühjahr im Willy-Brandt-Haus stattgefunden hat, in jedem Bundesland! Deutschlands Gründerinnen und Gründer sind bereit, sich gesellschaftlich einzubringen, sie haben Energie, Visionen, Talente, die wir brauchen können und kaum abrufen. Wir dürfen nicht nur bei Konzepten stehen bleiben. Vertrauen geht auch verloren oder baut sich erst gar nicht auf, wenn immer nur Ankündigungen kommen und anschließend nichts passiert. Lust auf Zukunft entsteht, wenn Veränderungen spürbar werden. Am besten, wenn die Menschen selbst mitwirken können an diesen Veränderungen. Vor allem in Berlin entstehen immer weitere sogenannte Think Tanks. Was wir brauchen sind nicht nur Denkräume, sondern Werkstätten. Think-Do-Tank nennt man das in Amerika.

Gerechtigkeit ist immer das Ziel

Dabei ist Gerechtigkeit immer das Ziel. Thomas von Aquin hat gesagt: Macht hat den Sinn, Gerechtigkeit durchzusetzen. Er war wahrscheinlich kein Sozialdemokrat. Der Satz ist, was eher ungewöhnlich ist, dennoch richtig. Sozialdemokraten können diesen Satz unterschreiben. Sicherlich findet sich auch 1000 Jahre früher jemand, der Vergleichbares gesagt hat. Das Streben nach Gerechtigkeit gehört zum Menschen, wenn auch nicht zu allen. Die Gerechtigkeit zählt neben der Klugheit, der Tapferkeit, dem rechten Maß zu den Kardinaltugenden. Sie ist die einzige dieser Tugenden, die auf den Mitmenschen gerichtet ist. In diesem Sinne ist Gerechtigkeit immer soziale Gerechtigkeit - auch wenn viele sich selbst meinen, wenn sie soziale Gerechtigkeit einfordern.

Mit uns zieht die neue Zeit. Wie soll sie aussehen? Darüber sollten wir reden. Was können wir heute schon dafür tun? Das sollten wir machen. Ziehst Du mit?

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Kommentare

erneut die Flucht

ins nebulöse, z.B.: "Für die einen ist es die Erkenntnis, dass Grenzen nur begrenzt schützen können".

Erkenntnis? Woraus resultierend?

Wenn voreilig Alternativlosigkeit ausgerufen wird- dann darf sich niemand wundern, wenn es (zu) vielen Menschen (Wählern) gelingt, doch noch Alternativen zu finden. Die SPD agiert dogmatisch- da sind 20% Zustimmung ein durchaus gutes Ergebnis

GoKo

Wenn die SPD sich darauf wieder einläßt hat Sie nichts Verstanden und den letzten Rückhalt bei den Wählern verspielt..
Unter Führung der CDU können sie keine Eigene Glaubhafte Politik machen.

GroKo

Vollkommen richtig, s. auch mein Kommentar unter "Jusos starten Petition gegen Fortsetzung der großen Koalition"

Es sollten soviele unterschreiben, dass sich die Abstimmung nachher erübrigt. Damit wäre ein klares Votum für den Fortbestand der Partei erreicht und dazu noch Geld gespart.

Selbstachtung

Erst einmal muss man die Selbstachtung wieder finden. Gespräche mit einer Union zu führen, die einen Minister, der uns gnadenlos und regelwidrig vor den Kopf gestoßen hat, ungestreift im Amt belässt, sind ein absolutes No-Go.
Und dann wäre es nicht schlecht, endlich einzusehen, wie sehr die Agenda-Politik unseren Ruf als soziale Partei massiv beeinträchtigt und von vielen unserer WählerInnen als Frontalangriff verstanden wurde.

Wieder Lust an Zukunft machen

Hier hat die SPD mit den Dialogveranstalltungen prima mit angefangen, die war scheitern von Jamaika, viele fühlten wieder das Vorwärts, jetzt wo die GroKo wie ein Damoklesschwert über der SPD schwebt, sagen viele die statt SPD die Linken oder sogar die AfD wählten, "seht ihr, darum haben wir euch nicht gewählt, wir haben euch nicht geglaubt das sich jetzt etwas ändert" es ist schade das viele uns für Unglaubwürdig halten und der Vorstand dies auch noch publiziert und nicht dementiert. Zur Zeit können wir, die eine direkte Verbindung zu den Wähler/innen haben,dies nicht wirklich abschwächen und die Wähler/innen vom Gegenteil überzeugen. Das sieht zur Zeit nicht nach Zukunft gestalten aus

SPD muß wieder Lust auf Zukunft machen

Wir stehen am Beginn einer Zeitenwende. Selbstfahrende Autos, Künstliche Intelligenz, eine Vernetzung aller Dinge. Deutschland hat die Entwicklung verschlafen. Während Amerika hier vorbildlich ist und China gerade dabei ist in die Moderne aufzuschließen schläft Deutschland immer noch. So sollen in Amerika durch autonomes Fahren von 240 Millionen Fahrzeugen nur noch ca 45 Millionen Autos benötigt werden. Es ist dringend notwendig das die Politik nun endlich beginnt die notwendigen Schritte einzuleiten. Sicher werden wir den Anschluß nicht von "Heute auf Morgen" erreichen aber andere Länder wie China und insbesondere Südkorea haben es ja auch geschafft. Bei den Parteien geht es immer nur um Wählerstimmen, Macht und Einfluß. Wenn die SPD wieder eine Politik für die Zukunft macht, für die schwer arbeitenden Leute in diesem Land, wird sie auch langsam das Vertrauen zurückgewinnen. Eine Steuerreform, wo nicht nur der Mittelständler, Arbeiter usw. Steuern zahlt sondern auch die Konzerne deren Gewinne ständig steigen, aber nur Offshore, wäre doch mal ein Anfang.

Leitlinien für Koalitionsverhandlungen

Die Leitlinien für die Koalitionsverhandlungen sind ein Offenbarungseid. Die Bürgerversicherung: ein Relikt aus der Mottenkiste wurde nun wieder hervorgekramt. Für die Mittelschicht hat die SPD hingegen nichts im Angebot (wieso auch?), sie ist inzwischen zu einer Sektiererpartei für die Benachteiligten degeniert. Ein einfacheres, gerechteres Steuersystem, die Abschaffung des Solis - Fehlanzeige. Stattdessen heißt es allenfalls hoffnungsfroh nebulös: Europa stärken mit neuen Solidartöpfen, die vor allem Deutschland füllt und die vor allem von den Südländern angezapft werden. Wenn das alles ist, was die Sozialdemokratie 4.0 zu bieten hat, dann gute Nacht. Herr Schulz. Einbahnstraßen-Solidarität ist das, und die wird in eine Sackgasse münden. Für alle Beteiligten.

Wo soll die Lust auf Zukunft herkommen,

wenn man sich als Basismitglied selbst von der eigenen Parteiführung verschaukelt fühlt? Wie soll man Inhalte an den Wähler bringen, wenn man selbst nicht mehr daran glauben kann, dass die einmal getätigten Aussagen auch nach der Wahl noch Gültigkeit besitzen?
Die Glaubwürdigkeit ist nicht nur nach aussen, sondern auch nach innen flöten gegangen.

Zukunft: strukturelle Reformen

Mit Merkel hat die SPD alle Ihre Forderungen in den letzten Jahren umgesetzt. Nicht Merkel, sondern die Partei sorgt dafür, dass die Wahlen immer schlechter ausfallen. Erstens sollte die SPD Ihre Erfolge der letzten Jahre mal in den Vordergrund stellen. Zweitens muss die Partei sich der Zukunftsthemen stellen: digitale Revolution, Demographie, Umwelt. Und zwar mit nachhaltigen Reformen und nicht nur mit Umverteilung mit der Gießkanne! Die Sorgen von sozialversicherungpflichtig Versicherten Arbeitnehmern, deren Firmen im globalen Wettbewerb stehen, kann ein Parteifunktionär nicht nachvollziehen, da aus diesem Mileu kaum einer kommt. Ebenso wenig wie das Thema, dass wenn man 1 Jahr in seinem Beruf aussetzt, man quasi neu anfangen muss. Die oben genannten Themen müssen strukturell reformiertt werden - einfach mehr Geld, dass eigentlich nicht da ist - bzw wieder von den Sozialversicherungspflichtigen eingetrieben wird, irgendwo reinzukippen, ändert nichts!!

Kommentare zu Lust auf Zukunft

Nur Jammer-Kommentare. Wo ist die Zukunft hin?
Kapitalstrukturen: Killt den Automatismus, aus Geld wird immer mehr Geld (ohne Steuern abzuführen)! Kapital muss Steuern kosten. Dann wird Arbeit steuerfrei! Nicht nur die Arbeit der Lohnabhängigen. Auch die der Millionen Selbstständigen/Gründer/Gründerinnen! Wo bleibt die Solidarität mit diesen "kleinen Bossen", die sich selber trauen, sich einbringen und ständig neu erfinden (müssen)? Wann kommt der 'überkommene Pfade'-Minister zum Aufräumen? ALLES muss auf die Waagschale. Geld neu verteilen. Macht's wie Trump. Nur umgekehrt. Traut sich keiner!? Dicke Autos für satte Lohnempfänger? Elektromotoren kosten ein Bruchteil! Opfert nicht die Zukunft auf dem Altar Arbeit! Pfeif drauf, wenn die in die Sackgasse führt. Verteilt Arbeit neu! Schröder wurde dafür hart abgestraft. Günstigere Autos helfen viel weiter, Digitalisierung ersetzt Abhängigkeit. Grundeinkommen statt Armut! Wohnungen in die Hände der Wohnenden/Mieter. Gesundes Essen muss auf den Tisch. Dann kostet Krankheit 150 Milliarden weniger! Erben versteuern und damit Zukunft finanzieren. Wir wissen das alles? Dann fangt an, TUT es und redet DARÜBER - immer. Sonst droht AFD!