Konzeptlosigkeit der CDU: Ein Happy-Hour-Wahlkampf reicht nicht
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Im Wahlprogramm von CDU und CSU steht: „Wir werden den Solidaritätszuschlag für alle schrittweise abschaffen und gleichzeitig kleine und mittlere Einkommen bei der Einkommensteuer entlasten.“ (S.72, Zeile 2511 bis 2512). Armin Laschet erklärte im ARD Sommerinterview zum gleichen Thema: „In dem Programm steht keine einzige Steuerentlastung drin. Es ist nicht die Zeit für Steuerentlastungen.“ Ein Widerspruch?
Wohl kaum ein*e Ökonom*in würde dies bestreiten. Aber ökonomische und politische Logik sind zwei verschiedene Kategorien. In der politischen Logik der CDU spielt ökonomische Logik eine eindeutig untergeordnete Rolle. Sie ist dem Ziel, die Wahl zu gewinnen, nachgeordnet und um dieses Ziel zu erreichen, ist der CDU jedes Versprechen recht, das ihr Erfolg verspricht. Das zeigt schon ihr Wahlprogramm, in dem sich Widersprüchliches nur so aneinanderreiht. Da werden massive Investitionen in den Klimaschutz, die Senkung der Unternehmenssteuern und zugleich die Einhaltung der Schuldenbremse versprochen. Ist das Oberflächlichkeit oder gar Inkompetenz?
Beliebigkeit als Strategie der CDU
Nicht ganz. Das sind zu viele Zufälle, um noch ein Zufall zu sein. Es ist vielmehr die Strategie der CDU in diesem Wahlkampf, beliebig zu sein. Das hat für sie zumindest zwei Vorteile, einen offenkundigen und einen derzeit eher verborgenen. Der offenkundige ist, dass das Programm und die Äußerungen des Kanzlerkandidaten eine Atmosphäre ruhiger politischer Wellness verbreiten, die nach den langen, harten Monaten der Pandemie auf begierige Aufnahme seitens der Wähler*innen treffen könnte. Die wieder besseren Umfragen für die Union deuten in diese Richtung.
Doch da ist ein zweiter, für die Union durchaus unangenehmer Grund: Sie ist in der wirtschaftspolitischen Debatte nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Sie weiß dies und nimmt daher faktisch einfach nicht an diesen Debatten teil, indem sie jedem alles verspricht, was die Wähler*innen aus ihrer Sicht hören wollen. Die CDU versucht, sich damit gleichsam außer Konkurrenz zu stellen, der sie unter den gegebenen Umständen ohnehin nicht gewachsen wäre. Nichts symbolisiert diese Schwäche stärker als die Berufung von Friedrich Merz in das Wahlkampfteam von Armin Laschet.
Merz war vor zwei Jahrzehnten einer der Protagonisten neoliberaler Wirtschaftspolitik, durch die Tarifverträge und soziale Sicherung geschwächt sowie der Einfluss des Staates generell durch Personalabbau und Ausgabenkürzungen zurückgedrängt werden sollten. Seine jüngsten Äußerungen zeigen, dass er seit zwanzig Jahren nichts dazu gelernt hat und so auch die Union nicht. Zugleich spürt sie, dass ihre Vorschläge nicht mehr die adäquaten Antworten auf die Probleme unserer Zeit sind und meidet den Wettbewerb um die besten Ideen, weil sie ihn nur verlieren kann. Denn eines zeigen die Debatten weit über die Parteigrenzen hinweg: Dem Staat wird bei der Gestaltung des Wandels eine treibende Rolle zufallen. Happy-Hour-Politik mit Lockangeboten reicht nicht.
Böses Erwachen nach der Wahl?
Für die Wählerinnen und Wähler, auch die der Union könnte daher das Fehlen dieser Erkenntnis zu einem bösen Erwachen nach der Bundestagswahl führen. Spätestens dann wird die Konzeptionsarmut der Union deutlich werden. Und es besteht die Gefahr, dass sie sich in Ermangelung neuer Ideen den rückwärtsgewandten Vorstellungen des Friedrich Merz ergibt.
Es besteht aber auch Anlass zur Hoffnung, sobald sich dieser Wahlkampf stärker auf Inhalte fokussiert. Denn es geht ja eigentlich darum, mit welchen Maßnahmen man die Digitalisierung und die ökologisch nachhaltige Produktion vorantreiben kann, um auch in Zukunft Wohlstand durch Produktion und Handel erreichen zu können. Die SPD hat ihre Vorstellungen hierzu in ihrem Zukunftsprogramm ausgeführt.
In diesem Programm steht im übrigen auch etwas zur Steuerpolitik: „Wir wollen die Steuern für die Mehrheit senken. Wir werden eine Einkommensteuerreform vornehmen, die kleine und mittlere Einkommen besserstellt, die Kaufkraft stärkt und dafür im Gegenzug die oberen fünf Prozent stärker für die Finanzierung der wichtigen öffentlichen Aufgaben heranziehen,“ (S.22). Das bedeutet einen höheren Grundfreibetrag und niedrige Tarife für viele, höhere Tarife für wenige sowie eine höhere Erbschaftssteuer und die Wiedereinführung der Vermögenssteuer. Das ist solide, weil sich Senkungen und Erhöhungen die Waage halten, und es ist fair, weil es die unerträgliche Ungleichheit von Einkommen und Vermögen verringert. So geht Wirtschaftspolitik in dieser Zeit.
ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Duisburg-Essen. Er gründete und war von 2005 bis 2019 wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung.