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„Konferenz über die Zukunft Europas“: So gelingt der Neustart der EU

Nach dem Brexit steckt die EU in einer Sinnkrise. Eine zweijährige „Konferenz über die Zukunft Europas“ soll ihr zu einem Neustart verhelfen. Dafür braucht es von allen Beteiligten Mut.
von Gaby Bischoff · 8. März 2020
Die SPD solle die europäische Ebene als Querschnittsaufgabe in allen Feldern ihrer politischen Erneuerung mitdenken, fordert Henning Meyer.
Die SPD solle die europäische Ebene als Querschnittsaufgabe in allen Feldern ihrer politischen Erneuerung mitdenken, fordert Henning Meyer.

Es gibt sie noch die positiven Nachrichten zur Europäischen Union. Die hohe Beteiligung an der Europawahl und das große Interesse gerade von jungen Europäer*innen haben gezeigt, dass viele Menschen hohe Erwartungen haben an die Europäischen Union, damit ihre Rechte in einer zunehmend zusammenwachsenden Welt geschützt und gestärkt werden. Die deutliche Steigerung der Wahlbeteiligung kann Rückenwind geben für die überfällige Reform der EU nach dem Brexit. Kann das mit einer „Konferenz über die Zukunft Europas“ gelingen?

Europas Bürger*innen wurden enttäuscht

Der Europawahlkampf war geprägt von den Spitzenkandidaten der verschiedenen politischen Familien. Trotzdem haben die Staats- und Regierungschefs mit Ursula von der Leyen eine Kandidatin für das Amt der Kommissionspräsidentin vorgeschlagen, die bei der Europawahl keine Rolle spielte und zur Wahl nicht angetreten ist. Den Bürger*innen in der EU war sie größtenteils unbekannt. Sie wurde Kandidatin, weil die Regierungschefs das so bestimmt haben und nicht die Bürger*innen mit ihren Wahlzetteln. Nicht wenige Europäer*innen, die sich an der Europawahl beteiligt und auf die Spitzenkandidaten vertraut hatten, wurden enttäuscht.

Vor ihrer Wahl im Europäischen Parlament hat Ursula von der Leyen deshalb den Europaabgeordneten eine Konferenz über die Zukunft Europas in Aussicht gestellt, auch um das Spitzenkandidaten-Prinzip zukünftig rechtlich wie politisch verbindlich zu verankern. Das Europäische Parlament hat diese Initiative aufgegriffen und ein innovatives Konzept für diese Zukunftskonferenz ausgearbeitet. Wir Abgeordneten fordern einen klaren Rahmen für diesen auf zwei Jahre angesetzten Prozess in dessen Mittelpunkt die europäischen Bürger*innen stehen sollen und zwar von Anfang an. Das hat das Parlament in seiner Resolution vom 15. Januar mit großer Mehrheit bekräftigt.

Eine zweijährige Konferenz mit drei Ebenen

Wenn es nach dem Parlament geht, umfasst die zweijährige Konferenz, die am 9. Mai dieses Jahres starten soll, drei Ebenen: ein Institutionen-Panel, Bürger-Versammlungen (Agoras) und eine Jugend-Agora. Das institutionelle Panel wird mit Vertreter*innen der nationalen Parlamente und der europäischen Institutionen/Organe besetzt, wie das auch beim letzten Konvent der Fall war. Ergänzend dazu sollen Bürger*innen aus allen EU-Mitgliedstaaten zusammenkommen, um in thematischen Versammlungen (Agoras) Vorschläge zur Zukunft Europas zu erarbeiten. Zufällig ausgewählte Bürger*innen, die die Vielfalt der europäischen Gesellschaft abbilden, sollen sich direkt mit Vorschlägen zur Zukunft Europas einbringen können. Auch junge Europäer*innen im Alter zwischen 16 und 25 Jahren sollen zu Wort kommen.

Die Institutionen müssen sich mit den Bürger-Vorschlägen beschäftigen und anschließend Rede und Antwort stehen, ob und wie sie deren Vorschläge berücksichtigt haben. Diese in verschiedenen Ländern bereits erprobte Form der repräsentativen Bürgerbeteiligung kann eine neue Dynamik entfalten und diejenigen stärker einbeziehen, die zu den bisherigen Dialogformaten keinen Zugang finden.

Eine Neuausrichtung der EU nach dem Brexit

Die Konferenz über die Zukunft Europas könnte so den Blick nach vorn richten und der EU die Chance bieten, sich nach dem Brexit wieder neu auszurichten. Das betrifft mehr als nur das Spitzenkandidaten-Prinzip oder transnationale Listen. Es geht vielmehr um die Frage, wie die EU ihre Kräfte stärker bündeln und handlungsfähiger werden kann, um die aktuellen Herausforderungen wie Klimakrise, Digitalisierung, Migration oder wachsende Ungleichheit gemeinsam besser zu bewältigen. All dies lässt sich nicht mehr rein national regeln.

Innerhalt der Union geht es um Initiativen für ein demokratischeres, sozialeres und nachhaltigeres Europa. Außenpolitisch geht es um Europas Rolle in der Welt und den Anspruch, die Globalisierung gerecht zu gestalten.

Zweifel an der Rolle der EU-Kommission

Inzwischen scheint die EU-Kommission jedoch Angst vor der eigenen Courage zu haben. Weil viele Mitgliedstaaten Vorbehalte äußern, ist auch die Kommission zurückgerudert. Ihre „Mitteilung zur Konferenz“, die sie im Januar 2020 vorgelegt hat, lässt keinen großen Ehrgeiz erkennen, neue verbindlichere Wege der Bürgerbeteiligung zu gehen. Zu Fragen möglicher Vertragsänderungen äußert sie sich erst gar nicht. Das lässt bei manchem Zweifel aufkommen, ob sie weiterhin ihre Rolle als Motor der europäischen Integration ausreichend wahrnimmt.

Die einzige Institution, die sich bisher nicht auf eine gemeinsame Position zur Konferenz einigen konnte, ist der Rat. Bei vielen Staats- und Regierungschefs hält sich die Begeisterung über den Vorschlag in Grenzen. Den Status quo zu verwalten, scheint vielen Regierungen einfacher zu sein, als neue Wege zu gehen. Die unterschiedlichen nationalen Interessen blockieren oftmals substantielle Lösungen, sei es beim gemeinsamen EU-Haushalt oder etwa in Fragen der Migration. „Business as usual“ hilft der EU deshalb nicht aus dem Knick. Die Furcht vor möglichen Referenden paralysiert zusätzlich. Es scheint, als sei die Gemeinschaftsmethode in ihrer jetzigen Form an ihre Grenzen geraten. Der Neuaufbruch ist lange überfällig.

Die konkrete Ausgestaltung der Konferenz über die Zukunft Europas wird jetzt zwischen den drei EU-Institutionen verhandelt. Das Europäische Parlament geht mit einem innovativen Konzept zu neuen und verbindlicheren Formen der Bürgerbeteiligung selbstbewusst in diese Verhandlungen mit Rat und Kommission. Denn das Parlament hat ein großes Interesse daran, dass diese Initiative zum Erfolg wird. Wir sind überzeugt, dass der Neustart gelingen kann, wenn die EU es jetzt ernsthaft und mutig angeht.

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