Kommunalpolitik: „Bedrohungen dürfen nicht zum Mandat dazugehören.“
Frau Klose, ihr Ratgeber trägt den Titel: „Bedroht zu werden, gehört nicht zum Mandat“. Inwiefern spiegelt das im Jahr 2021 die tatsächliche Realität wieder?
Die Angriffe und Bedrohungen gegen Kommunalpolitiker*innen nehmen zu. Das zeigen zwei aktuelle Umfragen: Die Forsa-Umfrage im Auftrag der Körber-Stiftung, der zufolge mehr als die Hälfte (57 Prozent) der Bürgermeister*innen in Deutschland schon einmal beleidigt, bedroht oder tätlich angegriffen worden ist. Eine weitere Umfrage des Magazins „Kommunal“ im Auftrag von report München zeigt, dass die Anfeindungen im Zuge der Corona-Krise nochmal zugenommen haben. Doch nicht erst seit der Corona-Pandemie und den dadurch notwendigen staatlichen Maßnahmen, sondern bereits in den Vorjahren sind politische Verantwortungsträger*innen und Mitarbeitende in der Verwaltung verstärkt in den Fokus rechter Bedrohungen und Angriffe gerückt. Das deckt sich auch mit den Beobachtungen aus der Beratungspraxis der Mobilen Beratungsteams: Für Berlin verzeichnen wir seit 2018 einen Anstieg der Erstberatungen und Fortbildungen zum Thema Bedrohungen. In anderen Bundesländern sieht es ähnlich aus.
Insofern, ein klares Ja: Bedrohungen gegen Politiker*innen sind 2021 leider Alltag. Aber: Mit dem Titel der Broschüre wollen wir deutlich machen: Die Bedrohungen dürfen nicht zum Mandat dazugehören. Auch wenn viele Kommunalpolitiker*innen täglich angefeindet werden und sich an die Angriffe beinahe gewöhnt haben, darf nicht der Eindruck entstehen, dass Anfeindungen zum Amt gehören und hingenommen werden müssen. Wir sagen: Nein, bedroht zu werden, gehört nicht zum Mandat! Die kommunalpolitisch Engagierten können nicht verhindern, dass sie bedroht werden, aber sie können sich so gut wie möglich darauf vorbereiten – und dafür zeigen wir Handlungsmöglichkeiten auf und geben praktische Tipps zum Umgang.
Ihre Broschüre widmet sich insbesondere den rechtsmotivierten Bedrohungen. Was wissen Sie über die Täter*innen? Sind das mehrheitlich spontane Kommentare, die jemand als wütende Reaktion im Internet postet – oder steckt dahinter eine Strategie?
Längst geht die Bedrohung nicht mehr nur von organisierten Rechtsextremen aus. Seit den rassistischen Mobilisierungen gegen die Aufnahme von Geflüchteten im Jahr 2015 und mit Beginn der Corona-Pandemie treten zunehmend auch scheinbar nicht in der extremen Rechten organisierte Männer und Frauen bedrohlich auf und schrecken auch vor Gewaltanwendung nicht zurück. Die Täter*innen sind also nicht immer aus dem klassisch rechtsextremen Milieu, immer häufiger handelt es sich um Personen aus der sogenannten Mitte der Gesellschaft. Sie knüpfen aber nahtlos an extrem rechte Erzählungen an, zum Beispiel an rassistische, antisemitische, minderheitenfeindliche oder antidemokratische Positionen. Mit ihnen werden Feindbilder konstruiert wie „Die Juden“, „Die Ausländer“ oder „Die da oben“, gegen die sich der Hass dann richtet.
In diesem Jahr kommt dann noch dazu, dass sich während der Pandemie größere Teile des gesellschaftlichen Lebens und der politischen Kommunikation ins Netz verlagert haben. Hier sind auch viele rechtsextreme, rechtspopulistische Akteure aus Parteien, sogenannten alternativen Medien oder reichweitenstarke Online-Aktivisten präsent, die bestimmte Themen aufgreifen oder gezielt Personen in den Fokus nehmen. Nicht selten „ermutigt“ das Einzelne, selbst „aktiv“ zu werden. Gerade in den sozialen Medien ist die Hemmschwelle oft erschreckend niedrig, ob aus der Anonymität oder sogar mit Klarnamen, Drohungen zu äußern.
Das Ziel rechter Angriffe ist, Angst auszulösen und einzuschüchtern. Dahinter steckt also durchaus eine Strategie. Ein gutes Beispiel dafür sind die gewalttätigen Angriffe auf Kommunalpolitiker*innen, etwa auf den Bürgermeister von Altena oder die Kölner Oberbürgermeisterin: Das sind öffentlichkeitswirksame Signaltaten, die alle Kommunalpolitiker*innen in Angst und Schrecken versetzen sollen. Ein weiteres Beispiel ist die AfD, die mit Anfragen und Anträgen versucht, integrationspolitische Maßnahmen in Kommunen als Teil einer angeblichen korrupten „Sozialindustrie“ darzustellen – oder Engagierte, die sich vor Ort für die Demokratie einsetzen, als „linksextrem“ zu verunglimpfen.
Die Drohungen sollen Angst machen – und oft funktioniert das auch, manche Betroffenen fühlen sich ohnmächtig. Welche Tipps können Sie ihnen geben?
Da gibt es kein „Patentrezept“, weil die Bedrohungen und Angriffe verschieden sind, aber vor allem auch weil die Menschen sie unterschiedlich wahrnehmen und unterschiedliche Bedürfnisse im Umgang damit haben. Wir raten in jedem Fall dazu, Bedrohungen und Anfeindungen ernstzunehmen. Die Betroffenen müssen letztendlich selbst entscheiden, welche Schritte sie gehen möchten und was sie sich zumuten können. Grundsätzlich hilft es online wie offline oft, mit den Anfeindungen, Beleidigungen und Bedrohungen nicht alleine zu bleiben – Freund*innen, Familienmitglieder oder Bekannte zu informieren. Denn so kann, falls gewünscht, auch Unterstützung und Solidarität organisiert werden.
Einigen hilft der Schritt an die Öffentlichkeit. Betroffene von zum Beispiel rassistischer Gewalt oder rechten Anfeindungen können sich hier in Berlin zudem an die Betroffenenberatungsstelle ReachOut oder an die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR) wenden. Entsprechende Stellen gibt es auch in den anderen Bundesländern. In vertraulichen Gesprächen kann dann gemeinsam die individuelle Situation in Bezug auf die eigene Person, Familie und Angehörige aber auch auf Arbeitsplatz und im Ehrenamt analysiert werden und man kann und geeignete Schutzmaßnahmen und Handlungsstrategien ausloten. Vielleicht hilft es auch, sich klarzumachen: Drohungen und Attacken sind in der Regel nicht persönlich begründet. Sie richten sich gegen die Betroffenen als Repräsentant*innen des Staates, einer Partei oder einer aus Sicht der Täter*innen „falsche“ Politik.
Was können die Parteien und Fraktionen tun, um ihren Mandatsträger*innen zur Seite zu stehen?
Partei-Kolleg*innen bedrohter Kommunalpolitiker*innen können sich zum Beispiel ebenfalls beraten und schulen lassen, wie sie individuell die bedrohte Person aus ihrer Mitte unterstützen können. An erster Stelle steht dabei: Haltung zeigen und den Betroffenen den Rücken stärken – am Besten öffentlich und durch kommunale Schlüsselpersonen, beispielsweise die Oberbürgermeister*in, Partei- oder Fraktionsvorsitzende. Das Signal an Betroffene sollte immer lauten: Ihr seid nicht allein!
Darüber hinaus ist es enorm hilfreich, für solche Situationen gewappnet zu sein und nicht abzuwarten, bis der Fall eingetreten ist. Alle Partei-Kolleg*innen können sich überlegen, wie sie sich präventiv gegen Anfeindungen und Bedrohungen aufstellen wollen und wie sie als Verband reagieren können. Langfristig ist es ratsam, Strukturen zu schaffen, die auf den Umgang mit Bedrohungen und Angriffen vorbereitet sind: In der Partei zum Beispiel Ansprechpartner*innen zu benennen, an die sich Betroffene wenden können oder sogar eine interne Meldestelle für Hassmails einzurichten, damit Betroffene etwa Mails nicht selber lesen müssen, regelmäßig Fortbildungen anzubieten und Vernetzung und Wissenstransfer mit anderen Kommunen zu organisieren.
Vielen stellen sich die Frage: Soll ich die Bedrohungen öffentlich machen? Schließlich erhöht das die Aufmerksamkeit für die Täter*innen. Welchen Rat geben Sie in solchen Fällen?
Es gibt Gründe, die dafür sprechen, Angriffe öffentlich zu machen, beispielsweise das Ausmaß des Problems sichtbar zu machen und Täter*innen gegebenenfalls durch eine Anzeige zur Verantwortung zu ziehen. An einige Täter*innen kann das auch ein Signal sein, dass ihre Strategie der Einschüchterung nicht aufgegangen ist. Es zeigt vielleicht auch anderen Betroffenen, dass sie mit dem Problem nicht alleine sind. Auf der anderen Seite schrecken viele davor zurück, weil sie sich nicht zusätzlichem Druck aussetzen oder so ihre Familie schützen wollen. Das ist auch völlig nachvollziehbar und muss respektiert werden. Wir schauen in jedem Fall individuell, was die Bedürfnisse und Wünsche der Beratungsnehmenden sind und entwickeln daraus bei Bedarf gemeinsam Strategien für die Öffentlichkeitsarbeit. Aber es bleibt eine individuelle Entscheidung.
Wie viel bringt es den Betroffenen, Hasskommentare zur Anzeige zu bringen?
Das gibt zumindest die Möglichkeit, Täter*innen zur Verantwortung zu ziehen und das Ausmaß rechter Bedrohungen und Angriffe realistischer abzubilden. Bei Sachschäden ist eine Anzeige notwendig, damit Versicherungen zahlen. Aber auch hier gilt: Es gibt nicht den einen richtigen Weg, sondern wir überlegen gemeinsam mit den Beratungsnehmenden, was deren Bedürfnisse sind. Einige wollen zum Beispiel keine Anzeige erstatten, weil sie langwierige Verfahren mit geringen Strafen befürchten – oder aber Reaktionen aus der rechten Szene.
Das Interview erschien zuerst auf demo-online.de.
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arbeitet als Redakteur für die DEMO – die sozialdemokratische Fachzeitschrift für Kommunalpolitik.