Kohleausstieg: Die Lausitz zwischen Skepsis und Hoffnung
„Die Begeisterung hält sich in Grenzen“, sagt Ute Liebsch, Bezirksleiterin der IGBCE in Cottbus, So oder so sei es ein gravierender Einschnitt für die Kolleg*innen in der Braunkohle-Industrie in der Lausitz. Trotzdem ist die Gewerkschafterin auch ein bisschen froh: „Die Ungewissheit hat ein Ende.“ Denn mit dem Ausstiegsplan steht auch der Plan für das ostdeutsche Revier zwischen Brandenburg und Sachsen: Während das Kraftwerk Jänschwalde schrittweise ab 2025 stillgelegt wird, folgt ab 2029 die erste Hälfte des Kraftwerks Boxberg. Die Schwarze Pumpe und die zweite Hälfte in Boxberg sollen erst Ende 2038 vom Netz gehen.
Doch es bleiben Aspekte in diesem Fahrplan, die noch nicht ganz klar sind. Die Idee, in einigen Jahren zu überprüfen, ob der Kohleausstieg nicht doch noch beschleunigt werden könnte, gehört dazu. „Es wäre schöner gewesen, zu sagen: 2038 ist der Kompromiss der Kommission und der Kompromiss hält“, urteilt Liebsch über die Vereinbarung. Hauptkritik der Gewerkschafterin aus der Lausitz: „Das bringt nochmal Unruhe rein.“ Es fehle die Verlässlichkeit.
Braunkohle „der Industriezweig" in der Lausitz
Rund 8600 Arbeitsplätze hängen nach Angaben des Bundesverbandes Braunkohle an der Stromerzeugung und dem Kohleabbau in der Lausitz. In den Tagebauen vor Ort stecken die größten Braunkohle-Vorkommen in Deutschland. Hinzu kommen Arbeitsplätze für Zuliefererunternehmen sowie die Industrie, die von den Kraftwerken vor Ort abhängig ist, weil sie beispielsweise die produzierte Abwärme für die eigene Produktion nutzt. Sprembergs Bürgermeisterin Christine Herntier – dort steht das Kraftwerk Schwarze Pumpe – spricht in anderen Medien von „dem Industriezweig“ in der Lausitz – weitere 20.000 Jobs würden von dem fossilen Energieträger abhängen.
Dass die Kohle-Kumpel in der Lausitz nicht begeistert von den Plänen der Bundesregierung sind, durfte schon Svenja Schulze im vergangenen Jahr spüren: Als die SPD-Umweltministerin im Sommer das Kohlekraftwerk Schwarze Pumpe besuchte, drehten ihr die Kraftwerker*innen schweigend den Rücken zu. Den Mitarbeiter*innen fehle ein klarer Ausstiegsplan, feste, verbindliche Aussagen, rief ihr damals stellvertretend Uwe Teubner zu. Er ist Gesamtbetriebsratschef des Lausitzer Energiekonzerns LEAG. Mündliche Zusagen der Politiker*innen würden nicht reichen, solange es keine verbindlichen Gesetze gebe.
Skepsis bei jüngerer Generation höher
Der Fahrplan für diese verbindlichen Gesetze steht nun. Doch die Skepsis der Mitarbeiter*innen bleibt. Denn die Lausitzer*innen haben schon einmal einen harten, wirtschaftlichen Einschnitt erlebt. „Der hat uns über Nacht ziemlich hart getroffen“, erklärt Liebsch den Wandel nach der friedlichen Revolution. Treuhand-Abfindungen, tausende Arbeitsplätze, die plötzlich wegfielen. „Wir machen jetzt ein zweites Mal einen Strukturwandel durch“, erklärt Liebsch die historische Erfahrung, die in der Form nur die Bewohner*innen in den ostdeutschen Revieren gemacht haben. „Wir verlieren jetzt wieder tausende Arbeitsplätze.“
Eine Skepsis gegenüber der Politik. die laut Liebsch nun vor allem bei der jüngeren Generation wieder stärker wird – also bei der Generation, die noch über den vereinbarten Kohleausstieg 2038 hinaus auf gut bezahlte Arbeitsplätze in der Region hofft, meint Liebsch: „Diejenigen, die nah an der Rente sind, die sagen: ‚Das ist ordentlich verhandelt, damit können wir leben.“ Bei den Jüngeren hingegen ist die Situation schwieriger, erklärt sie weiter: „Manche haben gerade eine Familie gegründet oder ein Haus gebaut. Die bauen mit den hohen Tarifgehältern ihre Schulden ab. Die werden nach adäquaten Jobs suchen müssen.“ Aus einem Bergmann mache man eben nicht unbedingt eine Pflegekraft, bringt es Liebsch auf den Punkt – von dem Bezahlungsniveau ganz zu schweigen. „Da ist aber auch die LEAG in der Verantwortung“, nennt Liebsch den Energiekonzern, „auch das Unternehmen ist auf der Suche nach neuen Geschäftsfeldern.“
Verglichen mit dem Strukturwandel nach der Wende ist Liebsch bei der jetzt getroffenen Vereinbarung positiver gestimmt: „Jetzt wird der Lausitz die Zeit gegeben, um die Defizite, die wir in der Struktur haben, ausgleichen zu können“, lobt Liebsch mit Blick auf die Gegenwart. Straßen könnten mit den zugesagten Milliarden saniert, der Schienenverkehr ausgebaut werden. Voraussetzungen, damit künftig andere Industriezweige in der dünn besiedelten Region wachsen können. Die Lausitz bekommt dafür viel Geld, Liebsch ist aber auch wichtig zu betonen, dass die Kohlereviere bei den Verhandlungen gemeinsam aufgetreten sind: „Wir werden auch künftig zusammenhalten, wir schmeißen nicht mit Dreck auf andere.“
„Brauchen das Anpassungsgeld-Gesetz"
Für die betroffenen Mitarbeiter*innen fordert Liebsch weiterhin klare, verbindliche Gesetze: „Was wir brauchen, ist das Anpassungsgeld-Gesetz“, sagt sie mit Blick auf die soziale Absicherung der Mitarbeiter*innen. Mit dem Geld sollen die Bergarbeiter*innen und Kraftwerker*innen finanziell vom Staat unterstützt werden, wenn sie frühzeitig in Rente gehen. Von Seiten der Politik hatte SPD-Finanzminister Olaf Scholz dieses Anpassungsgeld Anfang Januar zugesagt. In den Verhandlungen mit den Energiekonzernen will die Industriegewerkschaft erreichen, dass das Anpassungsgeld außerdem aufgestockt wird, ergänzt Liebsch.
„Wir wollen Energieland Brandenburg bleiben“, sagt die Gewerkschafterin mit Blick in die Zukunft, „wenn hier wieder Industriearbeitsplätze geschaffen werden, kann etwas Gutes entstehen.“ Sie sieht gute Chancen auf neue Arbeitsplätze in der chemischen Industrie, im Bereich der Elektromobiliät. „Das ist eine Industrie, die gut bezahlte Arbeit schaffen kann.“ Ein Lichtblick gibt es für Brandenburg dabei schon: Das US-Unternehmen Tesla will sich zwar nicht direkt in der Lausitz ansiedeln, Liebsch geht aber von einer Sogwirkung des E-Auto-Herstellers aus: „Die brauchen auch eine Zulieferindustrie. Das eine oder andere Produkt könnte dann aus der Lausitz kommen.“