Kohleausstieg: Bundesregierung und Kohlekommission müssen weiter verhandeln
Bund und Länder haben sich in der vergangenen Woche auf einen konkreten Ausstiegspfad aus der Kohleverstromung geeinigt. Sie waren Mitglied der Kommission, die zentrale Schritte des Kohleausstiegs klären sollte – wie fällt Ihre Bewertung des vorgelegten Ausstiegspfads aus?
Eine abschließende Bewertung kann ich aktuell nicht vornehmen. Wir werden uns den vorliegenden Gesetzentwurf sorgfältig anschauen und ihn auch mit denjenigen, die jetzt Kritik äußern, beraten. Leider ist viel Zeit verlorengegangen, weil der Abschlussbericht ein Jahr lang auf dem Schreibtisch von Wirtschaftsminister Peter Altmaier lag. Insofern ist es gut, dass die Verhandlungen endlich im Kabinett abgeschlossen werden konnten. Der in der Kohlekommission erarbeitete gesellschaftliche Konsens ist ein hohes Gut.
Die Regionen, die Wirtschaft, die Wissenschaft, die Umweltverbände, die Gewerkschaften: Alle saßen mit am Tisch und haben sich auf den Weg geeinigt. Er muss jetzt umgesetzt werden. Wir werden den nun vorliegenden Gesetzentwurf ausführlich beraten und zusammen mit dem Strukturstärkungsgesetz und den Regelungen zum Ausbau der erneuerbaren Energien im Bundestag beschließen.
Ehemalige Mitglieder der Kohlekommission werfen der Bundesregierung nun vor, mit dem vorgelegten Ausstiegspfad von Vereinbarungen der Kommission abgerückt zu sein – Meiler würden zu spät vom Netz genommen, die Entschädigungszahlungen seien zu hoch. Haben Sie Verständnis für den Unmut der Umweltverbände und Wissenschaftler?
Ich nehme diese Kritik sehr ernst. Wenn mehrere Mitglieder der Kommission den Konsens gefährdet sehen, dann muss offen darüber geredet werden. Das sollte nicht nur über die Medien, sondern auch im direkten Dialog geschehen. Ich habe deshalb die Bundesregierung dazu aufgefordert, die Kommissionsmitglieder zu einem Gespräch einzuladen und darzulegen, aus welchen Gründen sie zu ihren Entscheidungen gekommen ist. Insbesondere die von der Kohlekommission und auch im Klimaschutzgesetz geforderte stetige CO2-Emissionsminderung muss gewährleistet sein. Zum Konsens gehört auch ein gesetzlich verankerter Ausbaupfad der erneuerbaren Energien einschließlich des regelmäßigen Monitorings. Für eine erfolgreiche Energiewende brauchen wir einen belastbaren Kompromiss, der über Wahlperioden hinweg Bestand hat.
Der zentrale Vorwurf lautet, die Interessen der Kohleregionen, der Konzerne und der Beschäftigten würden berücksichtigt, der Klimaschutz aber komme zu kurz. Liegen die Ziele der verschiedenen Gruppen schlicht zu weit auseinander, um in Einklang gebracht werden zu können?
Ich kann die Ungeduld der Klimaschützer gut verstehen. Wir können mit der Natur nicht verhandeln und müssen unsere Klimaziele einhalten. Die Klimawissenschaft macht uns zu Recht immer wieder darauf aufmerksam, dass die Staaten noch lange nicht auf Kurs sind, um das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen. Wenn wir die Klimaziele erreichen wollen, brauchen wir in der Demokratie aber auch gesellschaftliche Mehrheiten, die diese Ziele unterstützen. Der Kompromiss der Kommission zeigt, dass es möglich ist, diese Mehrheiten zu bilden. Er ermöglicht Deutschland als hochindustrialisiertem Land den Ausstieg aus Kohle und Atom. Dabei ist uns Sozialdemokraten der Zusammenhalt der Gesellschaft sehr wichtig. Unsere Aufgabe wird es immer wieder sein, die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen an einen Tisch zu bringen. Nur so können wir zu Ergebnissen kommen, die dann auch belastbar sind.
Sie sagen, dass es auch in Zukunft wichtig sein wird, verschiedene Interessengruppen an einen Tisch zu bekommen und Kompromisse auszuhandeln, so beispielsweise bei der Windenergie. Wie soll es nach dem jetzigen Protest aber künftig noch gelingen, die Umweltverbände von einer Mitarbeit zu überzeugen?
Weil wir in Bereichen wie dem Verkehrs- oder Landwirtschaftssektor mit dem Klimaschutz nicht vorankommen werden, wenn sich die unterschiedlichen Gruppen in politisch aufgeheizten Debatten gegenüberstehen. Fortschritte werden wir nur in einem ehrlichen Dialog erreichen, wenn wir miteinander reden, nicht übereinander, faktenbasiert und wertschätzend. Eine Landwirtschaftspolitik, die die Interessen der Landwirte und gesellschaftliche Erwartungen an sie zusammenbringt, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Um einen gesellschaftlichen Konsens zu erreichen, ist ein Vorgehen wie bei der Kohlekommission erforderlich. Das gilt auch für den Verkehrsbereich.
Da Sie die Windkraft ansprachen: Für den Ausbau der Windkraft an Land brauchen wir eine Vielzahl an Maßnahmen. Nötig sind Wege, die zu einer breiten Akzeptanz auch bei den Anwohnern führen. Eine finanzielle Beteiligung von Kommunen und Bürgern, in deren Umfeld die Windanlagen stehen, ist ein Beispiel. So bleibt Wertschöpfung vor Ort. Aber auch schnellere Genehmigungsverfahren und der Abbau bürokratischer Hürden, wie zu großer Abstandsregelungen bei Radaranlagen, sind notwendig.
Die Kohlekommission fand auch international Beachtung, indem sie verschiedene Interessengruppen an einen Tisch brachte, um den Übergang in die CO2-neutrale Wirtschaft auszuhandeln. Wie kann Deutschland wieder Vorreiter in der Klimapolitik werden?
Indem Klimaziele gesetzlich fixiert werden und ihre Einhaltung regelmäßig überwacht wird. Dies haben wir mit der Verabschiedung des Klimaschutzgesetzes erreicht. Für die internationale Debatte ist es wichtig, dass wir das einzige hochindustrialisierte Land der Welt sind, das gleichzeitig aus Kohle und Atom aussteigt. Wichtig ist aber nicht nur der Ausstieg, sondern vor allem der Einstieg. Deshalb ist es zentral, dass wir im Jahr 2030 65 Prozent unseres Stroms aus erneuerbaren Energien beziehen. Das müssen wir jetzt mit einem gesetzlich verankerten Ausbaupfad festlegen. Nur wenn wir das schaffen, zeigen wir, dass wir sowohl Versorgungssicherheit als auch Klimaschutz erreichen. Hierzu führen wir gerade harte Verhandlungen mit unserem Koalitionspartner. Wie diese Transformation hin zu einer klimafreundlichen Wirtschaftsweise gelingen kann, haben wir als SPD in einem ausführlichen Antrag auf unserem Parteitag im Dezember beschlossen. Diesen Antrag kann ich jeder und jedem zur Lektüre empfehlen, der sich für dieses Thema interessiert.
Dieser Artikel erschien zunächst im ipg-Journal.
leitet die Redaktion des IPG-Journals. Sie ist Soziologin und war Herausgeberin der sozialwissenschaftlichen Zeitschrift Nueva Sociedad mit Sitz in Buenos Aires. Von 2008 bis 2012 leitete sie das Büro der FES in Ecuador.