Inland

Kohle-Embargo: Wie Deutschland unabhängig von russischer Energie wird

Seit Donnerstag darf keine Kohle mehr aus Russland in die EU exportiert werden. Deutschland hat sich rechtzeitig um Ersatz gekümmert. Langfristig hilft jedoch nur ein anderer Weg.
von Kai Doering · 17. März 2022
Die Kohle kommt jetzt per Schiff: niederländisches Frachtschiff auf dem Rhein bei Duisburg
Die Kohle kommt jetzt per Schiff: niederländisches Frachtschiff auf dem Rhein bei Duisburg

Um Punkt Mitternacht war Schluss. Seit dem 11. August darf kein EU-Land mehr Kohle aus Russland importieren. So wurde es vor drei Monaten beschlossen. Deutschland hat sich rechtzeitig um Ersatz bemüht. Die Kohle kommt nun, meist per Schiff, etwa aus Indonesien, China oder Australien. Laut Statistischem Bundesamt hatte die Bundesrepublik im vergangenen Jahr noch Steinkohle im Wert von 2,2 Milliarden Euro aus Russland importiert, mehr als die Hälfte ihres Bedarfs. Beim Erdgas waren es 55 Prozent und beim Rohöl 34 Prozent.

„Die Abhängigkeit ist zu groß. Das war vielen Entscheidungsträgern auch schon vor dem Überfall auf die Ukraine bewusst“, sagt die Wirtschaftsweise Veronika Grimm. Es habe allerdings bis zum Beginn des Krieges keinen Druck gegeben, diese zu reduzieren. Zumal die Importe aus Russland zuverlässig und verhältnismäßig günstig zu haben gewesen seien. Warum also etwas ändern? „Resilienz ist teurer als der Status Quo“, so Grimm.

Was, wenn Putin den Gashahn zudreht?

Mit Kriegsbeginn ist die Lage allerdings eine völlig andere. Spätestens nach der Drosselung der Gasversorgung durch die Ostsee-Pipeline Nordstream 1 auf nur noch 20 Prozent der regulären Durchflussmenge geht die Sorge um, Russland könne den Gashahn vor dem Winter komplett zudrehen. „Für die deutsche Energieversorgung wäre ein Importstopp für russische Energie überhaupt nicht trivial“, sagt der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Matthias Miersch. Sie würde Wirtschaft und Industrie mindestens ebenso hart treffen wie Verbraucherinnen und Verbraucher, hätte also „extreme Verwerfungen für die Wirtschaft und ganz sicher auch steigende Arbeitslosenzahlen zur Folge“, so Miersch.

Was also tun? „Es kann passieren, dass wir kurzfristig bei der Stromerzeugung mehr Kohle werden verfeuern müssen, um Gas zu ersetzen“, meint Ökonomin Grimm. Bei der Wärmeerzeugung sei ein Ersatz dagegen schwieriger. Der Vorteil der Kohle: Sie könnte relativ problemlos per Schiff aus anderen Regionen der Erde nach Deutschland geholt werden, was beim Gas nicht ohne weiteres möglich wäre. „Wir werden länger auf die Kohle setzen müssen“, ist deshalb auch Olaf Lies überzeugt. Der niedersächsische Umweltminister ist in diesem Jahr auch Vorsitzender der Bundesenergieministerkonferenz. Auch er schlägt vor, Kohle international zu kaufen und in Deutschland Vorräte anzulegen. Das bei der Verbrennung zusätzlich entstehende CO2 will Lies durch den schnelleren Ausbau der Erneuerbaren Energien ausgleichen.

Die Energiewende beschleunigen

Was aber tun beim Gas? Gerade beim Heizen gibt es kaum Ersatzmöglichkeiten. Bundeskanzler Olaf Scholz will deshalb möglichst schnell zwei Terminals für Flüssiggas (LNG) in Deutschland bauen lassen. Als Standorte sind Wilhelmshaven, Brunsbüttel und Stade geplant. Hier könnten entsprechende Tankschiffe aus Katar oder den USA mit ihrer Ladung anlanden und sie deutschlandweit verteilen. „Wir brauchen den LNG-Import“, sagt Umweltminister Lies. Die bereits vorhandenen Kapazitäten könnten auch noch besser ausgelastet werden.

Doch auch das Ausweichen auf neue Lieferanten kann nur eine kurzfristige Lösung sein. Da sind sich Expert*innen wie Politiker*innen einig. „Mittelfristig machen wir uns unabhängiger vom Gas, wenn wie die Energiewende schneller vorantreiben“, sagt die Wirtschaftsweise Veronika Grimm. Neben dem Ausbau der Erneuerbaren Energien bedeute das auch den massiven Import von Wasserstoff und den schnellen Aufbau der notwendigen Infrastruktur.

„Der Ausbau der Erneuerbaren Energien ist überragend für das öffentliche Interesse, nicht nur, um das Klima zu schützen, sondern um eine sichere Energieversorgung zu gewährleisten“, sagt SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch. Auch das habe der Krieg in der Ukraine gezeigt. „Wir brauchen einen klaren Vorrang zu Gunsten der Erneuerbaren Energien“, fordert Miersch deshalb. Das könne im Zweifel auch bedeuten, Einspruchsmöglichkeiten gegen geplante Windkraft- oder Solaranlage deutlich zu beschneiden. Die Beschlüsse des „Osterpakets“ kurz vor der Sommerpause des Bundestags ebnen hierfür den Weg. „Klimaschutz, Versorgungssicherheit, aber auch Bezahlbarkeit von Energie und letztlich sozialer Zusammenhalt“, müssten zusammengesehen werden.

Keine neuen Abhängigkeiten schaffen

Auch Forscher*innen der Deutschen Akademie „Leopoldina“ empfehlen mittelfristig die Ausweitung von Flüssiggas-Importen. Langfristig setzen sie auf den massiven Ausbau der Wind- und Sonnenkraft. Die Erneuerbaren müssten um mindestens 40 Prozent gegenüber der bereits heute installierten Leistung ausgebaut werden, schrieben sie Anfang März in einer Studie. Wichtig sei dabei auch eine enge Abstimmung mit den anderen Staaten der EU. Richtig angepackt könne das die ohnehin geplante Energiewende deutlich beschleunigen.

Auch Ökonomin Veronika Grimm betont die Chancen, die in der schwierigen Situation lägen. „Der Krieg in Europa ist ein unendlich schmerzhafter Weckruf“, sagt sie. „Wir müssen uns nun im Schnelldurchlauf an die Realitäten einer machtbasierten Weltordnung anpassen, in der wir schon eine Weile leben.“ Im Energiesektor, aber auch in der Industrie werde sich die Transformation nun massiv beschleunigen, sagt Grimm voraus. „Wir müssen dabei besonders darauf achten, dass wir nicht unbeabsichtigt in neue Abhängigkeiten geraten.“

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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