Petersberger Klimadialog

„Klimaschutz ist gelebte internationale Solidarität“

Johanna Schmeller20. Juni 2018
Der Gletschersee Arhueycocha in den südamerikanischen Anden: In den vergangenen vierzig Jahren haben die Gletscher des längsten Gebirges der Welt zwischen 30 und 50 Prozent an Oberfläche verloren, Tendenz steigend.
Der Gletschersee Arhueycocha in den südamerikanischen Anden: In den vergangenen vierzig Jahren haben die Gletscher des längsten Gebirges der Welt zwischen 30 und 50 Prozent an Oberfläche verloren, Tendenz steigend.
Am Dienstagabend ist der Petersberger Dialog zu Ende gegangen, der zur Vorbereitung der UN-Klimakonferenzen dient. Die deutsche Politik hat das Potential, Brücken zu bauen, meint Manuela Mattheß, Klimaexpertin der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Manuela Mattheß, der diesjährige Petersberger Dialog, der gerade zu Ende gegangen ist, hat den Schwerpunkt auf soziale Aspekte des Klimaschutzes gelegt. Welche Weichen müssen diesbezüglich bis COP24 in Kattowitz noch gestellt werden? 

Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit müssen zusammengedacht werden. Es ist erfreulich, dass erstmalig an prominenter Stelle über eine sozial verträgliche Gestaltung von Strukturwandelprozessen – über eine „just transition“ (dt.: „gerechter Übergang“) – gesprochen wurde. „Just transition“ und „decent work“, also angemessene Arbeitsbedingungen, sind als Begriffe in der Präambel des Pariser Klimaabkommens verankert. Bundesumweltministerin Svenja Schulze sieht „just transition“ als Maßstab für eine moderne Klimapolitik: Chancen auf neue Arbeitsplätze mit guten Arbeitsbedingungen, die nachhaltige Modernisierung ganzer Regionen und eine solidarische globale Klimapolitik, die die ärmsten und schwächsten Staaten unterstützt, sind damit verbunden. Bei der COP24 wird es darum gehen, dass diese Konzepte in den Klimaschutzpolitiken der Länder berücksichtigt und umgesetzt werden. Die internationale Gewerkschaftsbewegung setzt sich dafür ein. 

Seit dem Paris-Abkommen wird über jede COP gesagt, es sei eine „Arbeitskonferenz“ – also eine zur operativen Ausgestaltung des Pariser Abkommens. Wo liegen aus deutscher Sicht die politischen Herausforderungen für Kattowitz?

Ich sehe drei zentrale Herausforderungen: Zum einen muss ein robustes Regelwerk zur Umsetzung des Pariser Klimaabkommens verabschiedet werden, das strittige Fragen – etwa Transparenzregelungen – nicht ausspart. Die Interessen zwischen Industrie- und Schwellenländern divergieren teilweise stark. Die deutsche Verhandlungsdelegation hat das Potential, Brücken zu bauen – auch innerhalb der EU.

Zweitens müssen die nationalen Klimaschutzziele ambitionierter ausfallen. Anders kann die globale Erderwärmung nicht auf weit unter 2 °C gegenüber vorindustriellem Niveau begrenzt werden, wie im Pariser Abkommen vereinbart wurde. Deutschland muss also ehrgeizigere Klimaziele formulieren – und einen Plan für die Umsetzung erarbeiten.

Drittens wird in Polen das Thema „just transition“ sehr relevant werden. Die polnische Zivilgesellschaft und die Gewerkschaften müssen in diesen Dialog eingebunden werden. Das Pariser Klimaabkommen ist nicht nur eine umweltpolitische, sondern auch eine wirtschaftspolitische Errungenschaft – das müssen wir klarstellen.

Welche Pfeiler in Hinblick auf die weitere klimapolitische Zusammenarbeit mit der US-Regierung müssten von der Bundesregierung noch vor Kattowitz und welche während der kommenden COP unbedingt eingerammt werden, damit globale Solidarität im Klimaschutz keine Worthülse bleibt? 

Die USA sprechen in der Energie- und Klimapolitik aktuell mit zwei Stimmen – mit einer offiziellen und einer inoffiziellen. Die offizielle US-Delegation sollte nicht überschätzt werden. Auch bei COP23 kam es nicht zum gefürchteten Eklat. Eine inoffizielle US-Delegation, der die Zivilgesellschaft, lokale Akteure, Städte und einige Bundesstaaten angehören, ist viel wichtiger: Sie verfolgen schon jetzt eine ambitionierte Klimapolitik und bekennen sich zum Pariser Abkommen. 

Deutschland und die EU sollten sich dennoch ambitionierte Klimaschutzziele setzen und diese glaubwürdig nach außen vertreten. Zusagen bei der Klimafinanzierung und Zugeständnisse bei klimabedingten Schäden und Verlusten müssen jetzt erst recht eingehalten werden, um ein klares Signal internationaler Solidarität in die Welt zu senden.  

Manuela Mattheß, Referentin für Internationale Energie- und Klimapolitik, Friedrich-Ebert-Stiftung

Welche der „Sustainable Development Goals“ (SDGs), der nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen, sind dabei besonders wichtig?

Mit den SDGs und dem Pariser Klimaabkommen existieren seit 2015 zwei globale Rahmenabkommen, die für kommende Generationen eine nachhaltige Zukunft sichern sollen. Bezahlbare saubere Energie, nachhaltige Stadtentwicklung, Klimaschutz, menschenwürdige Arbeitsbedingungen, Wirtschaftswachstum (also die Ziele 7, 8, 11 und 13) sind für den Bereich der Klima- und Energiepolitik natürlich besonders interessant. Aber grundsätzlich müssen alle Ziele umgesetzt werden, damit ein gutes Leben für alle Menschen möglich wird.  Das Bewusstsein für die Relevanz der SDGs muss in der Öffentlichkeit, in der Politik und der Wirtschaft noch gesteigert werden.

Welche Rolle spielt die Zivilgesellschaft bei globaler Solidarität im Klimaschutz? (Stichwort Talanoa-Dialog)

Zivilgesellschaftliche Akteure sind extrem wichtig: Sie weisen auf Missstände hin, unterbreiten konkrete Verbesserungsvorschläge und erzeugen so politischen Handlungsdruck. Der sogenannte Talanoa-Dialog hat zum Ziel, für ehrgeizigere Vorgaben im Klimaschutz zu sorgen. Damit dies Erfolg hat, müssen breite, stabile Allianzen aus Vertretern der Zivilgesellschaft, der Politik, der Gewerkschaften und der Wissenschaft gebildet werden.

In Kattowitz sollen die Umsetzungsregeln des Pariser Klimaschutzabkommens beschlossen werden. Klimaschutzmaßnahmen einzelner Staaten sollen messbar und vergleichbar gemacht werden. Welche Ergebnisse erhoffen Sie sich?

Ich erhoffe mir vor allem die Verabschiedung eines robusten Regelwerkes, das die Umsetzung der Ziele von Paris überhaupt erst möglich machen wird. Außerdem ist es zwingend notwendig, dass die nationalen Klimaschutzbeiträge überarbeitet werden, damit eine Begrenzung der globalen Erderwärmung auf weit unter 2 °C gegenüber vorindustriellem Niveau Realität werden kann. Aktuell lägen wir bei etwa 3-4 °C. Die Auswirkungen auf die Lebensgrundlagen von Millionen von Menschen wären verheerend, besonders in den Ländern des Globalen Südens. Klimaschutz bedeutet hier gelebte internationale Solidarität. Wir dürfen gerade diesen Menschen, die den Klimawandel nicht oder kaum mitverursacht haben, aber bereits jetzt massiv unter ihm leiden, nicht im Regen stehen lassen.

 

Manuela Mattheß ist Referentin für Internationale Energie- und Klimapolitik im Referat Globale Politik und Entwicklung bei der Friedrich-Ebert-Stiftung

 

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Kommentare

Klimaschutz ist gelebte internationale Solidarität

Frau Manuela Mattheß, Referentin für Internationale Energie- und
Klimapolitik, Friedrich-Ebert-Stiftung, hat hier sinnvolle und ernst zunehmende Argumente und Anforderungen an die Politik genannt. Die SPD-Haupthandelnden müssten nur noch die Einsicht gewinnen und den Willen kundtun und exekutieren - das zu tun, was erforderlich ist, um dem global existenziell eminent wichtigen Klimaschutz wirkungsvoll zum
Durchbruch zu verhelfen - um ein Klimaschutz-Desaster zu verhindern.
Die Industriestaaten müssen im Umwelt- und Klimaschutz machtvoll vorangehen - also auch und besonders Deutschland. Sie sind dies dem ganzen Globus schuldig! Dabei genügt es nicht lediglich an ökologischen Stellschrauben zu drehen - sich in grünem Kapitalismus zu ergehen. Auch wenn VIELE es nicht wahrhaben wollen: die sozial-ökologische Systemfrage muss gestellt und beantwortet werden. Der Konkurrenz bedingte Wachstumszwang und damit verbundene ungezügelte Ressourcen-/Naturverbrauch im Kapitalismus muss in absehbarer Zeit
von einem Ressourcen schonenden, schädliches Wachstum unterbindenden und deshalb kooperativen/solidarischen globalen Wirtschaftssystem abgelöst werden. Die Zeit drängt unerbittlich !