sozial-ökologischer Wandel

Klimaneutrales Deutschland 2050: „ambitioniert, aber erreichbar“

Kai Doering05. Februar 2021
Power-to-Gas-Anlage in Hamburg: Im Übergang kann sogenannter blauer Wasserstoff eine Brückenfunktion haben.
Power-to-Gas-Anlage in Hamburg: Im Übergang kann sogenannter blauer Wasserstoff eine Brückenfunktion haben.
Bis 2050 will Deutschland klimaneutral wirtschaften. Dafür muss es zu einer umfassenden Transformation der gesamten Industrie kommen, sagt die Wirtschaftsweise Veronika Grimm. Entscheidend würden die kommenden zehn Jahre.

Bis 2050 will Deutschland treibhausgasneutral werden. Was bedeutet das für unser Wirtschaftssystem?

Das Ziel ist ambitioniert, aber erreichbar. Das klare Bekenntnis zur Treibhausgasneutralität vereinfacht auch einiges, denn nun sind Szenarien vom Tisch, in denen bestimmte Sektoren gar nicht dekarbonisiert werden. Wir müssen nun also auf die direkte Elektrifizierung setzen und auf die Nutzung von Wasserstoff und klimaneutraler synthetischer Energieträger. Die Frage, ob wir grünen Wasserstoff für die Energiewende tatsächlich in großen Mengen brauchen, war lange nicht geklärt. Mit der Entscheidung für ein klimaneutrales Wirtschaften kommen wir darum nun definitiv nicht herum.

Auf dem sogenannten grünen Wasserstoff ruhen große Hoffnungen, etwa in der Stahlproduktion. Welche Weichen müssen gestellt werden, damit er als Energieträger zuverlässig genutzt werden kann?

Die Voraussetzungen sind in Deutschland eigentlich gut. Die Expertise und das Potenzial für die Entwicklung der klimaneutralen Wertschöpfungsketten sind vielerorts vorhanden. Das gilt für die Industrie wie auch für den Mobilitätsbereich. Die Entscheidung für die Klimaneutralität bedeutet allerdings, dass es zu einer sehr umfassenden Transformation der gesamten Industrie kommen wird. Knapp 30 Jahre sind für diesen Umbau keine lange Zeit. Ob wir das Ziel der Klimaneutralität 2050 erreichen können, wird sich in den kommenden zehn Jahren entscheiden.

Deutschland deckt rund 70 Prozent seines Energieaufkommens durch Importe verschiedener Energieträger. Wird diese Abhängigkeit durch die verstärkte Nutzung von Wasserstoff verringert?

Nein. Deutschland wird immer einen großen Anteil seiner Primärenergie importieren müssen. Zurzeit sind das in erster Linie fossile Energieträger wie Öl, Kohle und Gas. Künftig werden es klimaneutrale Energieträger wie etwa grüner Wasserstoff oder seine Folgeprodukte sein. Allerdings erlaubt der Umstieg auf grünen Wasserstoff und andere klimaneutrale Energieträger eine Diversifizierung der Abhängigkeiten. Dadurch geraten Regionen als Energiehandelspartner in den Blick, die bisher keine Rolle gespielt haben. Das sind Regionen, die zwar keine Öl- oder Gasvorkommen haben, wohl aber hohes Potential bei den erneuerbaren Energien.

Eine Kontroverse gibt es zurzeit über die Frage, ob der Import von Gas den Ausbau der Erneuerbaren Energien in Deutschland verlangsamt. Wie sehen Sie das?

Wir müssen die Erneuerbaren konsequent ausbauen, weit stärker als im EEG 2021 vorgesehen. Das wird aufgrund von Flächenrestriktionen und Akzeptanzproblemen nicht einfach werden. Der Stromverbrauch wird aber bis 2030 nochmal deutlich ansteigen durch Wachstumstrends in der Elektromobilität, im Wärmemarkt und in der Industrie sowie durch den Markthochlauf von grünem Wasserstoff.

Wird Erdgas – gerade vor dem Hintergrund des beschlossenen Kohleausstiegs – überhaupt noch als Brückentechnologie benötigt oder ist das überflüssig, weil bis 2038 die Erneuerbaren Energie so weit ausgebaut sind, dass sie den Energiebedarf decken können?

Brückentechnologien wird es sicher geben müssen. Wir können nicht Kernkraft und Kohle abschalten und gleichzeitig auch noch aufs Erdgas verzichten. Aber wir können die Abhängigkeit von fossilem Gas schneller verringern, wenn wir zügig den Import klimaneutraler Energieträger vorbereiten. Bis wir große Mengen grünen Wasserstoffs importieren können dauert es noch. Im Übergang kann zum Beispiel blauer Wasserstoff eine Rolle spielen. Er wird zwar aus fossilem Gas gewonnen, aber das entstandene CO2 wird aufgefangen und gespeichert. Über bestehende Pipelines können immer auch verschiedene klimaneutrale Energieträger transportiert werden. Unabhängig vom Transformationspfad muss der Wasserstoff im Jahr 2050 aber grün sein.

Seit dem 1. Januar gibt es eine CO2-Abgabe in Deutschland. Energie aus fossilen Trägern wie Benzin wird damit teurer. Ist eine solche Abgabe der richtige Weg, um Menschen zu klimaverträglicherem Verhalten zu bewegen?

Eine CO2-Bepreisung ist ein wichtiger Baustein und muss zum Leitinstrument der Energie- und Klimapolitik werden. Appelle verpuffen sehr häufig, auch weil der Einzelne oft gar nicht abschätzen kann, welche Auswirkungen sein Verhalten auf das Klima hat. Perspektivisch soll ja sektorübergreifend ein Handel mit CO2-Zertifikaten eingeführt werden. Über eine Verschärfung der Mengenziele von Jahr zu Jahr und den Handel der Emissionszertifikate können die Emissionen verlässlich reduziert werden. Der Preis bestimmt dann, wo die Emissionen eingespart werden. Es werden diejenigen Emissionen vermeiden, für die es am einfachsten ist. Die Entscheidung jedes Einzelnen trägt damit dazu bei, dass das Gesamtziel erreicht wird. Es ist aber auch klar, dass ein CO2-Preis die Belastungen der Haushalte und auch der Unternehmen erhöht. Deshalb müssen gleichzeitig zwingend die Abgaben und Umlagen bei der Energiebepreisung reformiert werden.

Woran denken Sie dabei?

Es gibt sehr viele Abgaben und Umlagen, die Strom verteuern. Sie kommen oft aus einer Zeit, in der Stromverbrauch noch per se umweltschädlich war. Dies verhindert nun, dass man den zunehmend erneuerbaren Strom nutzt, um die Sektoren Mobilität und Wärme sowie die Industrie zu dekarbonisieren. Strom sollte also billig sein, CO2-Emissionen dagegen teuer. Daher sollte im Gegenzug zur Einführung der CO2-Bepreisung die EEG-Umlage wegfallen und die Stromsteuer auf ein Minimum reduziert werden. So würden einkommensschwache Haushalte unterm Strich sogar entlastet. Finanzierungslücken einer solchen Reform könnten durch den Wegfall direkter und indirekter Subventionen fossiler Energieträger gedeckt werden. Da müsste man allerdings politisch sehr konsequent agieren.

Diskussion bei der Klausur des SPD-Parteivorstands

Bei der Klausur des SPD-Parteivorstands diskutiert Veronika Grimm am Sonntag um 15 Uhr mit Kanzlerkandidat Olaf Scholz, dem IGBCE-Vorsitzenden Michael Vassiliadis, dem Präsidenten des Deutschen Naturschutzrings Kai Niebert und dem BASF-Vorstandsvorsitzenden Martin Brudermüller. Die Diskussion kann live auf spd.de verfolgt werden.

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Kommentare

Wichtiges Thema

Aber ob das aufgebotene Prsonal für die Diskussion den Anforderungen gerecht wird ? Man kann ja noch so oft den "grünen Wasserstoff" beschwören, anscheinend ist der jetzt "in", und nichtfosile Flüssigbrennstoffe. Klar im Reagenzglas geht das, aber ist das ökonomisch? Daran und am politischen Willen ist schon so oft vieles gescheitert. Decarbonisierung, ein tolles Schlagwort, und dazu die neoliberale CO2-Bepreisung - sozial ist die nicht. Ich lass mich mal überraschen.

Das Märchen von der "Wahl"

Wie alle anderen Umweltfetischabgaben auch so ist die CO2-Bepreisung lediglich ein vollständig an den Endverbraucher durchgereichter Posten, wie jede andere Steuer eben auch.
Diese Art von Pseudo-Umwelt-Abgaben schädigt allein die Endverbraucher, eine steuernde Wirkung wie immer wieder fälschlich behauptet existiert bei den Verursachern nicht.
Nun hat aber der Endverbraucher eben NICHT die Wahlmöglichkeit, seine CO2-Erzeugung wirksam einzudämmen. Weder mit der massiv umweltschädlichen und technisch unsinnigen und in keinster Weise masssentauglichen "E-Mobilität" noch durch Reduktion seiner Arbeitswege, von den wenigen Gesegneten, die tatsächlich ihren Arbeitsplatz in Radreichweite haben eventuell abgesehen.

Kerosin, als genau DER fossile Brennstoff der genau dort verbrannt wird wo es der Umwelt richtig weh tut,wird weiterhin subventioniert, da hilft auch eine Ticketpreisabgabe nichts. Überhaupt ist die Debatte um CO2 bestenfalls grenzwertig, eher verlogen, da Methanemissionen und andere weit klimaschädlichere Substanzen durch den CO2-Bohei effektiv verdeckt und ausgeklammert werden.

Von Aufforsten oder Regenwälder wenigstens nicht gar so schnell wegbrennen hört man nichts.

Klimaneutrales Deutschland 2050

Zum Thema:

www.bund-rlp.de/mainzerappell

Helmut Gelhardt, 56566 Neuwied, Mitglied des BUND und der NaturFreunde

Mainzer Appell

Viele gute Anregungen und Forderungen, aber ich vermisse die Stellungnahme zu Frieden und Abrüstung.

Mainzer Appell // Frieden und Abrüstung

Ja das stimmt Armin Christ.

Aber der Mainzer Appell wurde in allererster Linie für die Landtagswahl im März 2021 in
Rheinland-Pfalz konzipiert. Daher liegt der weit überwiegende Schwerpunkt auf Landespolitik von RLP.

Trotzdem: Frieden und Abrüstung hätten generell angesprochen werden können! Ich gebe die insoweit berechtigte Kritik gerne weiter.

Die Fragen sind geklärt - die Verschwendung muss weitergehen!

Die Fragen sind geklärt? Deutschland braucht grünen Wasserstoff in großen Mengen? Deutschland wird immer einen großen Anteil seiner Primärenergie importieren müssen?
Geklärt ist dann wohl auch: Deutschland setzt immer auf Technologien, die die Menschen abhängig machen? Deutschland setzt immer die Konsumrechte Deutscher vor die Menschenrechte Aller? Ökologischer Kolonialismus ist der sozialdemokratischen Weisheit letzter Schluss?

Sicco Mansholt, sozialdemokratische EU-Kommissar, schrieb 1972:"Überleben wird die Menschheit nur, wenn es ihr gelingt, dem Wirtschaftswachstum Grenzen zu setzen, die Natur zu schützen, äußerst sparsam mit den natürlichen Ressourcen und nicht regenerierbaren Brennstoffen, umzugehen, das soziale Gefälle zwischen Nord und Süd rigoros einzuebnen und die allgemeine und vollständige Abrüstung herbeizuführen."
Wir werden uns zwischen Frau Grimms und Sicco Mansholts Fahrplänen entscheiden müssen. Nur einer davon wäre sozialdemokratisch. Nur einer davon enthält: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.

da wird soviel

geredet , was "wir" in 30 Jahren wohl erreichen können, und wir es "uns" dann gehen wird, usw...
Das ist recht anmaßend, denn es setzt voraus, dass wir in 30 Jahren noch dieselben sind , es uns noch gibt, so wie wir wir heute dastehen.
Das ist unrealistisch angesichts der Veränderungsdynamik nicht nur der letzten 5 Jahre und der Dynamik unserer Bevölkerungsentwicklung, die ihrerseits die Veränderungsdynamik noch potenziert. Kurzum: In 30 haben wir (aus heutiger Sicht) nicht mehr das sagen.
Die ökologischen Fragen hängen im Wesentlichen von der Bevölkerungsdichte ab. Jedem gramm CO2, das wir noch weiter einsparen können, steht ein Vielfaches an Ressourcenbedarf und damit einhergehendem CO2 Verbrauch gegenüber, den man den zusätzlichen Menschen nicht vorenthalten darf oder nicht wird vorenthalten können, selbst wenn man dies wollte. Ich weiß ja nicht, ob man dies hier so sagen darf, vielleicht findet sich in der Netiquette etwas , was an Grund herhalten könnte- lassen Sie es mich wissen, ich versuch es dann ein weiteres mal, denn an den Fakten kommen wir ja nicht vorbei, so oder so

Optimismus des Willens

Was wir brauchen, meinte Antonio Gramsci, "ist Nüchternheit: einen Pessimismus des Verstandes, aber einen Optimismus des Willens".
Heute emittieren die reichsten 10% der Weltbevölkerung 52% aller Treibhausgase, die ärmeren 50% dagegen nur 7%. Auf wen es ankommt, ist sonnenklar. Es fehlt der Wille der reichsten 10%. Dazu gehört der größte Teil der Bevölkerung unseres Landes.
Außerdem: der Schlüssel zur Lösung der Pandemie- wie der Klimakrise ist der Ausstieg aus der industriellen Landwirtschaft. Der globale Wiederaufbau der durch Übernutzung zerstörter Humusböden um 4 Promille pro Jahr kann den aktuellen menschengemachten Co2-Ausstoß eines Jahres binden. Verabredet in Paris, fehlt allein der Wille.

Optimismus des Willens

Bitte lesen:

www.infosperber.ch > Umwelt > Luft / Klima

Die Reichsten schaden dem Klima am meisten - infosperber

Stimmt. Und haben in der

Stimmt. Und haben in der Vergangenheit den größten Reibach gemacht, auf Natur und Umwelt gepfiffen und werden in der Zukunft auch die großen Absahner sein in Bezug auf die Maßnahmen, die der Umweltzerstörung Einhalt gebieten sollen. Der Kreislauf dreht sich.