Klausur in Schwante: Wie die Ost-SPD gleiche Lebensverhältnisse schaffen will
Am 9. November 1989 fiel nach der Friedlichen Revolution in der DDR die Mauer. Ein Jahr später wurden die beiden deutschen Staaten wiedervereinigt. „Auch nach 30 Jahren gibt es noch viele Unterschiede zwischen Ost und West“, sagt Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig. Gemeinsam mit vielen anderen Vertreterinnen und Vertretern der SPD aus den ostdeutschen Bundesländern hat sie am Freitag und Samstag bei einer Klausur in brandenburgischen Schwante darüber beraten, wie diese Unterschiede beseitigt werden können.
Selbstbewusst Politik aus dem Osten formulieren
„Der Osten muss insgesamt eine größere Rolle spielen“, fordern die Klausur in einem Papier unter der Überschrift „Jetzt ist unsere Zeit“. Zu häufig herrsche in der Politik – und auch in der SPD – ein „Westblick“, kritisieren sie. „Spezifische ostdeutsche Bedingungen und Bedürfnisse werden oft zu wenig mitgedacht.“ Damit sich das ändert, will die Ost-SPD „selbstbewusst Politik aus dem Osten für Deutschland formulieren“.
Zentrales Ziel ist, endlich die im Grundgesetz garantierten „gleichwertigen Lebensverhältnisse in Ost und West zu erreichen“. In ihrem Papier formuliert die Ost-SPD dafür eine Reihe von Zielen. So soll nach dem Auslaufen des Solidarpakts II Ende dieses Jahres ein Solidarpakt III „für strukturschwache Regionen in ganz Deutschland“ aufgelegt werden. Um klamme Kommunen zu unterstützen, fordert die Ost-SPD einen Altschuldenfonds. Eine „Infrastrukturoffensive“ soll auch in bevölkerungsarmen Gegenden eine ausreichende Versorgung mit Einkaufsmöglichkeiten, medizinischer Betreuung und kulturellen Angeboten sicherstellen.
Ostdeutschland als „Experimentierraum für autonomes Fahren“
In diesem Zusammenhang fordert die Ost-SPD die Bundesregierung auch auf, den geplanten Verkauf der 5G-Mobilfunklizenzen nur an solche Anbieter vorzunehmen, die „eine flächendeckende Versorgung sicherstellen“. Auch bringen die Vertreter aus den ostdeutschen Bundesländern ihre Region „als Experimentierraum für autonomes Fahren“ ins Spiel und fordern, dass künftig „alle neu geschaffenen Einrichtungen des Bundes in Ostdeutschland angesiedelt werden“ – zumindest „bis eine annähernd gleiche Verteilung von Arbeitsplätzen in diesen Einrichtungen in Ost und West vorliegt“.
Besonders umfangreich sind die Forderungen in der Sozialpolitik. So will die Ost-SPD die Bezugsdauer des Arbeitslosengelds I verlängern und die Voraussetzungen für dessen Bezug erleichtern. Eine sogenannte Grundrente soll sicherstellen, dass Arbeitnehmer, die viele Jahre Beiträge bezahlt haben, am Ende ihres Berufslebens nicht in die Grundsicherung fallen. Für Arbeitnehmer, „die durch die Rentenüberleitungen der Nachwendezeit Nachteile erlitten haben“ – wie etwa ehemalige Reichsbahner – soll ein sogenannter Gerechtigkeitsfonds aufgelegt werden.
Hartz IV: Anreize statt Sanktionen
Auch für Hartz-IV-Bezieher fordert die Ost-SPD Erleichterungen. So sollen „die härteren Sanktionen für junge Menschen“ abgeschafft, alle anderen Sanktionen „überarbeitet und abgemildert“ werden. Stattdessen soll stärker mit Anreizen gearbeitet werden. Auch sollen künftig weniger Zuverdienste, etwa für gemeinnützige Arbeit, auf den Hartz-IV-Satz angerechnet werden. Der Mindestlohn soll „perspektivisch“ auf 12 Euro steigen.
Um „Nachwendeungerechtigkeiten“ aufzuarbeiten und zu beseitigen, fordert die Ost-SPD „einen gesamtgesellschaftlichen Diskurs in ganz Deutschland über die Nachwendezeit und die Deutsche Einheit“. Der SPD-Parteivorstand soll eine Arbeitsgruppe einsetzen, „die zeitnah konkrete Vorschläge ausarbeitet, wie ein solcher Aufarbeitungsprozess aussehen kann“. Erste Ideen der Ost-SPD sind ein „Ost-West-Kulturzentrum“ und die dauerhafte Förderung von Demokratieprojekten, „um Vertrauen in Demokratiearbeit zu schaffen“.
SPD-Ostkonvent im April
Am Montag soll das Papier im Parteivorstand der SPD diskutiert werden. Zentrale Punkte dürften in das neue Sozialstaatskonzept einfließen, an dem die Partei zurzeit arbeitet und das bei der Parteivorstandsklausur Mitte Februar verabschiedet werden soll. Die Diskussion über die Ergebnisse aus Schwante soll bei einem „Ostkonvent“ der SPD im April fortgesetzt werden.
„Wir wollen die SPD als starke Stimme Ostdeutschlands positionieren“, gibt Manuela Schwesig die Richtung vor. Die Ost-SPD habe den Anspruch, künftig stärker mitzumischen. Die Treffen vor den Toren Berlins könnten dabei zur Regel werden. „Wir wollen, dass Schwante für die Ost-SPD das wird, was Wildbad Kreuth für die CSU lange war“, so Schwesig.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.