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Jörg Hofmann „Es braucht einen handlungsfähigen Staat, der investiert“

Mitten in der Corona-Krise ist der IG Metall ein viel beachteter Tarif-Abschluss gelungen. IG Metall-Chef Jörg Hofmann sagt, wie der die Branche auf die Zukunft vorbereiten soll und warum er gegen ein festes Ende für den Verbrennungsmotor ist.
von Kai Doering · 4. Mai 2021
Auch in schwierigen Zeiten handlungsfähig: IG Metall-Chef Jörg Hofmann
Auch in schwierigen Zeiten handlungsfähig: IG Metall-Chef Jörg Hofmann

Ein gutes Jahr dauert die Corona-Pandemie in Deutschland nun schon an. Wie sind die Betriebe der Metall- und Elektroindustrie bisher durch die Krise gekommen?

Das ist sehr unterschiedlich. Viele Beschäftigte waren – gerade in der ersten Welle vor einem Jahr – in Kurzarbeit. Manche sind es noch immer. Einige Betriebe stecken tief in der Krise, etwa die Luftfahrtindustrie. Andere Branchen sind bisher durch die Krise gesegelt, ohne Auftragseinbrüche. Aber auch dort war die Arbeit durch Home-Office und Einhaltung der Gesundheitsschutzstandards in der Pandemie geprägt. Insgesamt muss man festhalten, dass wir im vergangenen Jahr die tiefste Krise der Industriebranchen seit dem Zweiten Weltkrieg erlebt haben. Dank eines handlungsfähigen Sozialstaats sind wir da aber durchgesteuert, ohne dass es einen massiven Anstieg der Arbeitslosigkeit gegeben hat. Das Kurzarbeitergeld und Tarifverträge, die die Beschäftigungssicherung in den Mittelpunkt stellen, haben da sehr zu beigetragen.

Anfang des Jahres begannen dann die Verhandlungen über einen neuen Tarifvertrag in der Metall- und Elektroindustrie. Wie war es, in diesen Zeiten über einen neuen Tarifabschluss verhandeln zu müssen?

Die wichtigste Frage war erstmal, ob wir es überhaupt schaffen, in einem vergleichbaren Umfang Beschäftigte zu mobilisieren und aktiv in die Tarifrunde mit einzubeziehen, wenn sie – wegen Kurzarbeit oder der Arbeit im Homeoffice – gar nicht im Betrieb sind. Das hat uns viel Kreativität abverlangt, aber wir haben es geschafft. Mit mehr als einer Million Beteiligten an den Warnstreiks hatten wir eine mindestens so gute Beteiligung wie in früheren Tarifrunden – wenn auch nicht dicht gedrängt vorm Werkstor, sondern beispielsweise per Video-Livestream. Das Ergebnis wurde von diesem Einsatz wesentlich mitgeprägt.

Ende März hat die IG Metall im Bezirk Nordrhein-Westfalen einen Tarifabschluss erreicht, den die meisten anderen Bezirke bereits übernommen haben. Vorgesehen ist u.a. eine Corona-Prämie von 500 Euro, die im Juni ausbezahlt werden soll. Haben Sie mit solch einem Ergebnis in diesen Zeiten gerechnet?

Das Ergebnis unterstreicht, dass wir als Gewerkschaft auch in schwierigen Zeiten handlungsfähig sind. Wir sind mit vier Forderungen angetreten und haben in allen vier Punkten vernünftige Ergebnisse erzielt. Wir haben deutliche Verbesserungen bei der Beschäftigungssicherung erreicht. Wir haben die Vier-Tage-Woche verankert als Möglichkeit, Arbeitsvolumen gerechter zu verteilen. Wir haben den Einstieg in Zukunftstarifverträge erreicht und wir wollten Auszubildende bzw. Studierende, die in dualen Ausbildungsgängen sind, mit in den Tarifvertrag einbeziehen. Und zudem galt es die Realentgelte zu sichern und Einkommen zu stabilisieren. Auch das ist uns gelungen. Insofern passt dieses Tarifergebnis gut in die Zeit.

Ab 2022 wird es zudem eine jährliche Einmalzahlung geben, das sogenannte Transformationsgeld, das auch genutzt werden kann, um die Arbeitszeit zu senken. Was ist der Gedanke dahinter?

Wir haben uns bereit 2018 entschieden, dass wir den Kolleginnen und Kollegen individuelle Wahlmöglichkeiten eröffnen wollen zwischen einen tarifdynamischen Geldbestandteil oder zusätzlichen freien Tagen für all diejenigen, die Angehörige pflegen, Kinder betreuen oder in Schicht arbeiten. Diesmal sind wir etwas anders an die Sache herangegangen und haben überlegt, wie wir mit Herausforderungen für die Beschäftigten umgehen, die sich aus der Transformation der Branche ergeben. Wir wollen für Abfederung sorgen, wenn es hier zu Brüchen kommt, Fachkräfte sichern und jungen Menschen eine Ausbildungs- und Übernahme-Perspektive geben. Ein gutes Beispiel für eine Win-Win-Situation ist die Vier-Tage-Woche: Sie entlastet auf der einen Seite die Arbeitgeber von Kosten, ermöglicht Fachkräfte zu halten und jungen Menschen Perspektive zu geben. Sie bedeutet für die Beschäftigten attraktive Arbeitszeitmodelle, Sicherheit in der Beschäftigung und Stabilität in den Monatsentgelten. Das Transformationsgeld eröffnet diese Wahloption und so mehr Freiheiten, die allen helfen.

Die gesamte Industrie steckt in einem Wandel. Bis 2050 will Deutschland klimaneutral wirtschaften. Sind die Betriebe darauf ausreichend vorbereitet?

Zum jetzigen Zeitpunkt sicher noch nicht. Die ganze Branche steckt mitten im Umbau und der wird auch noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Gerade wenn ich mir die Stahlproduktion ansehe, geht es darum, eine komplette Prozess-Strecke umzukrempeln, wenn im Hochofen nicht mehr mit Koks, sondern mit Wasserstoff das Erz verhüttet werden soll. Dafür sind Milliardeninvestitionen notwendig, die nicht von der Stahlindustrie alleine gestemmt werden können. Ähnliches gilt im Fahrzeugbau, wo die Antriebstechnik komplett neu gedacht werden muss mit deutlichen Auswirkungen auf Unternehmen, Beschäftigte, aber auch Zulieferer. Und es gilt für die Luftfahrtindustrie, die maritime Wirtschaft und die Schiene. Die Mobilitätswende stellt sie alle vor enorme Herausforderungen. Nicht nur wir als Gewerkschaft müssen darauf achten, dass die Beschäftigten bei diesen Umwälzungen nicht unter die Räder kommen.

Wo erwarten Sie Unterstützung der Politik?

Die Bundesregierung hat ja – zumindest in Teilen – bereits versucht, Antworten zu geben. Zum einen in der Frage, wie kleine und mittlere Unternehmen in der Transformation unterstützt werden können. Dazu trägt das Konjunkturpaket bei. Bisher hapert es eher an der praktischen Umsetzung. Ob die Transformation erfolgreich ist, wird sich daran entscheiden, ob sie vor Ort in den Regionen gelingt. Da kann und muss die Politik natürlich noch mehr unterstützen, sei es im Bereich der regionalen Strukturpolitik oder mit neuen arbeitsmarktpolitischen Instrumenten. Die sozialdemokratischen Ministerien der aktuellen Bundesregierung haben da bereits einiges zu beigetragen. Die größte Herausforderung für die Zukunft liegt aus meiner Sicht in der Frage der Infrastruktur: Elektroautos brauchen eine ausreichende Anzahl von Ladesäulen, ohne die die ganze E-Mobilität keinen Sinn macht. Und für die Industrie ist die Wasserstoffstrategie entscheidend. Ohne Wasserstoff wird es z.B. keinen grünen Stahl geben. Für all das braucht es einen handlungsfähigen Staat, der investiert und die Perspektive Deutschlands und Europas darin sieht, dass technologischer Fortschritt und auch Klimaschutz nicht gegen Wohlstand und Arbeit ausgespielt werden.

Die Automobilindustrie ist eine deutsche Schlüsselindustrie und mit am stärksten vom Wandel betroffen. Wo sehen Sie die Branche in zehn Jahren?

Im Jahr 2030 werden zwei von drei verkauften Fahrzeugen elektrisch sein. Und das wird eine riesen Herausforderung, nicht nur für die Beschäftigten, die an der Fertigung von Verbrennungsmotoren beteiligt sind. Hier wird entscheidend sein, neue Arbeit zu schaffen und die Beschäftigten weiterzuqualifizieren. Gleichzeitig müssen wir dafür sorgen, dass die neuen Komponenten, die für Elektroantriebe notwendig sind, nicht irgendwo in der Welt produziert werden, sondern in Deutschland und Europa. Die vergangenen Monate haben ja gezeigt, wie sensibel Lieferketten sind und wie wichtig eine resiliente Automobilindustrie ist.

Die Grünen fordern in ihrem Wahlprogramm, dass ab 2030 keine Autos mit Vebrennungsmotor mehr verkauft werden dürfen. Sie haben das mehrfach abgelehnt. Warum?

Weil das aus meiner Sicht eine Fake-Debatte ist. Niemand weigert sich, den Antriebswechsel möglichst schnell hinzukriegen. Wir müssen aber vorher die Voraussetzungen dafür schaffen! Die Ladeinfrastruktur habe ich ja bereits erwähnt. Eine weitere Frage ist, wie wir es schaffen, dass Klimaschutz nicht Massenarbeitslosigkeit und die wirtschaftliche und gesellschaftliche Verelendung von Regionen bedeutet. All das geht nicht in drei, vier oder fünf Jahren. Wenn die Bedingungen erfüllt sind, bin ich gerne der Erste, der das Ende des Verbrenners erklärt. Aber einfach eine Jahreszahl in die Welt zu setzen, kann nicht der richtige Weg sein. Hinzu kommt, dass die deutsche Automobilindustrie eine Exportindustrie ist. Und weltweit wird es sicher noch über 2030 hinaus Autos mit Verbrennungsmotoren geben.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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