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Was wir von Joe Biden für Deutschland und die EU erwarten können

Nach vier Jahren voller Hass, Rassismus, Lügen und irren Twitter-Kaskaden ist ein Ende des Spuks in den USA in Sicht. Was ein Präsident Joe Biden für den Kampf gegen Covid-19, den Klimawandel und die internationalen Beziehungen bedeutet.
von Rolf Mützenich · 23. November 2020
Mit Joe Biden als Präsident der USA dürfte sich die Außenpolitik der USA grundlegend ändern – vor allem im Umgang mit Verbündeten und Kooperationspartner*innen.
Mit Joe Biden als Präsident der USA dürfte sich die Außenpolitik der USA grundlegend ändern – vor allem im Umgang mit Verbündeten und Kooperationspartner*innen.

Der größte Unterschied zwischen dem neuen Präsidenten und seinem erratischen Vorgänger dürfte in der Außen- und Sicherheitspolitik darin liegen, dass Biden nicht in Deals und Kategorien wie gewinnen oder verlieren denkt, sondern Interesse an der Aufrechterhaltung der regelbasierten internationalen Ordnung haben wird. Für Deutschland und Europa ist das eine gute Nachricht, allerdings lohnt ein genauerer Blick auf seine Agenda und was sich daraus ergeben könnte.

Die drei „C“: Covid-19, Climate change und China

Unmittelbar nach der Wahl stellte Joe Biden am 9. November eine Corona-Task-Force zur Eindämmung der Pandemie zusammen. Ziel des neuen Präsidenten ist es, schon am Tag seiner Amtseinführung am 20. Januar einen Aktionsplan zur Überwindung der Corona-Krise auf den Weg zu bringen. Zudem hat Biden eine baldige Rückkehr in die Weltgesundheitsorganisation (WHO) angekündigt.

Denkbar wäre auch ein baldiger Beitritt der USA zur Global Response-Initiative der EU, der sich bereits zahlreiche Drittstaaten, Organisationen und Unternehmen angeschlossen haben. Bei einem Gipfel im Juni 2020 wurden 16 Milliarden Euro an Spenden mobilisiert, die insbesondere der WHO sowie mehreren staatlichen, gemeinnützigen sowie privatwirtschaftlichen Allianzen zu Gute kommen sollen, die Impfstoffe und Heilmittel entwickeln. Zudem hat die Kommission den Staaten in unmittelbarer Nachbarschaft bislang 9,8 Milliarden Euro zugesagt, die diesen einen Zugang zu erschwinglichen Impfungen, Behandlungen und Tests ermöglichen sollen.

Brüssel und Washington sollten möglichst bald eine transatlantische Impfstoff-Allianz vereinbaren, um möglichst vielen Menschen weltweit Zugang zu einem bezahlbaren Covid-19-Impfstoff zu verschaffen. Zudem sollten beide eine Agenda für eine globale Gesundheitspolitik vereinbaren, mit dem Ziel, die Gesundheitssysteme weltweit zu stärken und sie besser auf künftige Krisen vorzubereiten.

Joe Biden hat die Bekämpfung des Klimawandels als einen Schwerpunkt seiner Amtszeit angekündigt. Er will die USA bis Mitte des Jahrhunderts klimaneutral machen, den Stromsektor bis 2035 komplett auf Erneuerbare Energien umstellen und Subventionen für fossile Energieträger streichen. Zudem hat er angekündigt wieder dem Pariser Klimaabkommen beizutreten.

Die Bekämpfung des Klimawandels dürfte auch ein potenzielles Feld sein, auf dem die drei wichtigsten Wirtschaftsmächte der Welt gemeinsame Interessen haben. Hier kommt insbesondere der EU eine wichtige Aufgabe zu, sich grundsätzlich mit den USA und China über die jeweiligen energiepolitischen Konzepte und deren Vereinbarkeit mit den Pariser Klimazielen auszutauschen. 

Joe Biden hat bereits im Wahlkampf klar gemacht, dass auch er in China den großen geopolitischen Rivalen sieht, den es militärisch und ökonomisch einzudämmen gilt. Vermutlich wird die neue US-Administration erwarten, dass Berlin und Brüssel sich eindeutiger und klarer als in den vergangenen vier Jahren an die Seite Washingtons stellen. Es könnte sein, dass die Rückkehr zur Kooperation mit Washington für Europa eventuell geringere Bewegungsfreiheit gegenüber China und höhere Kosten zur Folge haben wird – ökonomisch wie politisch.

Ein neuer trilateraler Gesprächsansatz (USA, China, Europa) könnte hier neue Möglichkeiten ausloten. Ein fairer Wettbewerb und konstruktive Beiträge Chinas zur internationalen Ordnung sind jedenfalls ein gemeinsames Anliegen Europas wie der Vereinigten Staaten. Hinzu kommt die gemeinsame Sorge über das zunehmend expansivere Auftreten Pekings: Das Ermächtigungsgesetz für Hongkong, Drohungen gegen Taiwan, der Landraub und das zunehmend aggressive Auftreten Chinas im Südchinesischen Meer, die Grenzgefechte mit Indien und die brutale Unterdrückung von Minderheiten im Innern. Es ist zweifelsohne notwendig, dem chinesischen Expansionsdrang etwas entgegenzusetzen – im Idealfall mit einer gemeinsamen transatlantischen nicht-militärischen China-Strategie und im Rahmen einer reformierten Welthandelsorganisation (WTO).

Die Selbstbehauptung Europas

Auch wenn sich der weltpolitische Horizont mit dem Amtsantritt Joe Bidens aufhellen wird, führt an mehr europäischer Souveränität und Eigenständigkeit kein Weg vorbei.

Deutschland als international vernetzte Handels- und Exportmacht muss, ebenso wie Europa, Interesse an einer Deeskalation der bestehenden Handelskonflikte mit den USA haben. Gleichzeitig sollte es sich, trotz des gemeinsamen Wertefundaments mit den USA, nicht in den US-amerikanisch-chinesischen Hegemonialkonflikt hineinziehen lassen, sondern vielmehr, zusammen mit den USA und China, alles dafür tun, um den freien Welthandel zu retten und das Denken in Nullsummenspielen zu überwinden. Es kann weder im deutschen noch im europäischen Interesse liegen, dass die Welt künftig in drei konkurrierende Wirtschaftsblöcke (USA, China, Europa) und ihre jeweiligen Peripherien zerfällt.

Ökonomisch ist Europa bereits eine Macht. Ob es auch politisch ein selbstbewusster Akteur werden wird, hängt im geringsten Maße von höheren Verteidigungsausgaben ab. Europa braucht nicht nur eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, sondern auch eine gemeinsame Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik und ein eigenes Budget.

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