Parteileben

Jasmina Hostert: Bosnien, Bonn, Böblingen, Bundestag

Durch eine Granate verliert Jasmina Hostert im Bosnien-Krieg ihren rechten Arm. Als Kriegsflüchtling kommt sie 1992 aus Sarajevo nach Deutschland. Heute sitzt sie für die SPD im Bundestag.
von Jonas Jordan · 17. November 2021
Jasmina Hostert ist SPD-Bundestagsabgeordnete.
Jasmina Hostert ist SPD-Bundestagsabgeordnete.

„Als der rote Balken kam, war für mich klar: Wahnsinn, ich ziehe tatsächlich in den deutschen Bundestag ein“, berichtet Jasmina Hostert vom Abend der Bundestagswahl. Über Platz neun der Landesliste der SPD in Baden-Württemberg schafft die 38-Jährige aus Böblingen den Sprung ins Parlament. Erstmals seit mehr als 20 Jahren ist die Region nun wieder mit einer SPD-Abgeordneten im Bundestag vertreten. Wenige Wochen vor der Wahl sah es in Wahlkreisprognosen sogar danach aus, als könne sie etwas Historisches schaffen und den Wahlkreis erstmals seit 1972 für die SPD direkt gewinnen.

„Ich habe das für unrealistisch gehalten, weil der Wahlkreis schon immer eine CDU-Hochburg war. Früher holte sie hier sogar über 50 Prozent. Doch die Diskrepanz wird immer kleiner“, sagt Hostert. Sie selbst trat nach 2017 zum zweiten Mal an und verringerte den Abstand beim Erststimmenergebnis von 19,2 auf 8,6 Prozentpunkte. Anders als vor vier Jahren hat es diesmal über die Landesliste geklappt. Nun hat Hostert vier Jahre Zeit, um das Ergebnis auszubauen und möglicherweise in vier Jahren den Wahlkreis direkt zu gewinnen. Aber erst einmal muss sie in ihre neue Rolle als Bundestagsabgeordnete hineinwachsen: „Es überschlägt sich alles ein bisschen, aber ich glaube, so erleben viele neue Abgeordnete diese aufregende Zeit.“

Eine Granate zerfetzt ihren rechten Arm

Bosnien, Bonn, Böblingen und jetzt Berlin. Zumindest mit Blick auf die Anfangsbuchstaben ihrer Stationen verfolgt sie einen konsequenten Weg. Tatsächlich ist ihre Lebensgeschichte schon früh geprägt von Krieg und Nationalismus. Als Jasmina Pašić wächst sie in Sarajevo auf. Als sie neun Jahre alt ist, zerfetzt eine Granate ihren rechten Arm. Sie flieht mit ihrem Vater zusammen nach Deutschland. In Bonn wird sie von der pensionierten Gymnasiallehrerin Maria Hostert adoptiert, nimmt ihren Namen an und wohnt bis zu deren Tod 2003 bei ihr.

„Manchmal kann ich selbst gar nicht glauben, dass das mein Leben ist, weil es so etwas heftiges ist und ich weiß, dass es für andere noch heftiger wirkt, weil man Kriegserfahrungen nicht kennt“, sagt Jasmina Hostert. Seit 2011 ist sie in Böblingen heimisch. Dort lebt sie mit ihrer Familie. Vor wenigen Tagen kam ihr Sohn Leonard zur Welt. Ihre Tochter ist zehn Jahre alt. „In den letzten Jahren bin ich immer mal mit meiner Tochter nach Bonn gefahren, um ihr den rheinischen Karneval zu zeigen. Das ist schön und nett, aber mein Zuhause ist Böblingen geworden“, sagt Hostert. Wenn sie spricht, hört man einen leichten schwäbischen Einschlag. 

Für Vielfalt und Kindergrundsicherung

Zwar tritt sie noch zum Ende ihres Studiums der Politikwissenschaft in Bonn in die SPD ein. Doch richtig aktiv wird sie in Baden-Württemberg. Dort ist sie inzwischen Gemeinderätin, stellvertretende Landesvorsitzende und nun eben auch Bundestagsabgeordnete. Als solche liegt ihr die Familienpolitik besonders am Herzen, auch um an die Themen anzuknüpfen, die sie bereits auf kommunaler Ebene vorangetrieben hat. Besonders am Herzen liegt ihr die Einführung einer Kindergrundsicherung, die auch im Sondierungspapier der Ampel-Parteien bereits erwähnt wird. „Das würde wirklich vielen Familien und Alleinerziehenden helfen und wäre ein enormer Fortschritt“, sagt Hostert.

22 Abgeordnete vertreten die SPD Baden-Württemberg in dieser Legislaturperiode im Bundestag, fast die Hälfte von ihnen hat eine Migrationsgeschichte. Das spiegele zum einen die vielfältige Gesellschaft in Baden-Württemberg wider, sagt Hostert. Zum anderen haben sie und andere sich innerhalb der Partei in den vergangenen Jahren vehement dafür eingesetzt: „ Wir haben immer darauf hingewiesen, dass wir nicht nur darüber reden wollen, wie wir vielfältiger werden können, sondern die Leute auch in Verantwortung und Position kommen müssen. Es gab Zeiten, da war ich immer eine der wenigen mit Migrationshintergrund.“

Gegen Nationalismus in Bosnien

Auch die gesamte Bundestagsfraktion ist mit Blick auf die Lebensläufe der einzelnen Parlamentarier*innen so divers wie noch nie. Mit Adis Ahmetovic aus Hannover ist dort ein weiterer Sozialdemokrat vertreten. dessen Eltern einst aus Bosnien geflohen sind. „Die gemeinsame Herkunft verbindet einen sofort. Ich könnte den Adis gar nicht blöd finden“, sagt Hostert.

Gemeinsam treten sie kurz nach der Wahl auch im bosnischen Fernsehen auf und sprechen sich massiv gegen wieder aufkeimende nationalistische Tendenzen aus. Dagegen helfen würde aus Hosterts Sicht auch ein möglicher EU-Beitritt Bosniens: „Das wäre eine Perspektive für den Gesamtstaat. Dann würde man nicht mehr ständig über irgendwelche möglichen Teilungen sprechen und die Menschen hätten auch das Gefühl, es geht etwas vorwärts.“

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

0 Kommentare
Noch keine Kommentare