Homeoffice: Was Arbeitnehmer*innen beachten sollten
Ute Grabowsky/photothek.net
In Deutschland arbeiten – zu normalen Zeiten – nach einer Studie nur zwölf Prozent der Arbeitnehmer*innen überwiegend oder gelegentlich im Homeoffice. Woran liegt das?
Deutschland ist tatsächlich im europäischen Vergleich im hinteren Mittelfeld, was die Anzahl der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen im Homeoffice angeht. In Ost- und Südeuropa wird Homeoffice noch seltener praktiziert. Skandinavien, Großbritannien und auch die Schweiz sind da weiter als Deutschland. Das hat sicherlich etwas mit der national-typischen Arbeitskultur zu tun. In Deutschland scheint die durchschnittliche Arbeitskultur weniger vertrauensbasiert zu sein als in anderen Ländern, stattdessen basiert sie mehr auf Auflagen und Kontrollen. Solche kulturspezifischen Fragen sind aber extrem schwierig zu untersuchen und zu belegen, weil Kultur so schwierig messbar ist.
Was noch ins Gewicht fallen könnte sind die Branchen in Deutschland. Wenn mehr Menschen in Jobs arbeiten, in denen das flexible Arbeiten von den Joberfordernissen her nicht möglich ist – wie zum Beispiel in der Produktion –, dann hat das Auswirkungen auf die Statistik zum Homeoffice. Welche der beiden Hypothesen das Homeoffice in Deutschland mehr beeinflusst kann ich nicht sagen. Das ist in dem Sinne noch unerforscht.
Die SPD möchte in Deutschland per Gesetz ein Recht auf Homeoffice einführen. Halten Sie das für eine gute Idee?
Das kommt stark auf die Art der Umsetzung an. Ich kenne den Vorschlag der SPD zu wenig, um ihn im Detail beurteilen zu können, aber finde es grundsätzlich sehr gut, dass man sich auf politischer Ebene Gedanken darüber macht. Ein solches Gesetz müsste der Komplexität des Themas Rechnung tragen. Man muss sich fragen: Für wen trifft das zu? Wer darf das einfordern? Darf das dann auch die Arbeiterin an der Maschine oder der Krankenpfleger im Homeoffice? Da würde man erstmal mit Nein antworten, weil es klar ist, dass es in einigen Fällen nicht geht. Aber es kann Grenzfälle geben.
In den Niederlanden gibt es bereits ein Recht darauf, Homeoffice einzufordern. Hier ist der Arbeitgeber in der Pflicht, auf das Gesuch des Arbeitnehmers einzugehen. Außerdem muss der Arbeitgeber im Zweifelsfall begründen können, warum Homeoffice nicht zustande kommen kann. Dieses Modell könnte sich Deutschland zum Vorbild nehmen.
Zwei Drittel der Arbeitnehmer*innen in Deutschland, die ihren Beruf auch zu Hause ausüben könnten, würden die Möglichkeit des Homeoffice nutzen. Wie verändert das ihren Arbeitsalltag?
Das ist hochindividuell. Der Witz an der ganzen Sache ist schließlich, dass das Arbeiten flexibel wird. Die Ausgestaltung und der Umfang des Homeoffice sollten bei konsequenter Umsetzung den Mitarbeitenden überlassen sein. Das erfordert aber auch eine gewisse Reflexion darüber, was man eigentlich braucht, um seine Arbeit gut zu machen. Man muss für sich selbst herausfinden, welche Art des flexiblen Arbeitens zu einem passt.
Was sich durch Homeoffice häufig ändert ist die Einstellung zur Arbeit. Je mehr man darüber bestimmen kann, wann und wo man arbeitet, desto mehr wird die Arbeit zum eigenen Projekt. Dadurch wendet man sich ab von dem Gefühl, dass man die Arbeit für andere ableistet. So kann der Wunsch entstehen, auch die Inhalte mitzugestalten. Ändern könnte sich auch die Zusammenarbeit im Team. Damit das Teamwork nicht leidet, bedarf es neuer Absprachen, zum Beispiel einen festen Tag in der Woche an dem die Kollegen sich im Büro treffen.
Was zeigen Ihre Untersuchungen in der Schweiz: Welchen Einfluss hat es auf die Zufriedenheit der Arbeitnehmer*innen, wenn sie im Homeoffice arbeiten können?
Wenn Menschen sich wünschen im Homeoffice zu arbeiten, sind sie auch zufriedener wenn sie es dürfen. Was ich aber fast noch spannender finde: In unsere Befragungen geben die meisten Menschen an, im Homeoffice produktiver zu arbeiten. Sie leisten letztlich mehr. Unsere Untersuchungen zeigen auch, dass die Mehrleistung dann am besten gegeben ist, wenn man das Homeoffice für konzentrationsintensive oder kreative Tätigkeiten nutzt. Für Besprechungen benutzt man am besten die Zeit, in der man im Büro ist.
Homeoffice kann zu mehr unbezahlten Überstunden und einer Vermischung von Arbeits- und Freizeit führen. Wie können sich Arbeitnehmer*innen davor schützen?
Es findet eine Aufweichung der klassischen Grenzen Arbeit und Freizeit statt. In traditionellen Arbeitsverhältnissen werden diese Grenzen im Kollektiv gesetzt, da gibt es eine Gewerkschaft oder den Betriebsrat, die Arbeitszeiten verhandeln. Im neuen Modell wird diese Verantwortung auf das Individuum übertragen. Das heißt, ich muss als Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer in der Lage sein, meine Arbeit selbst einzuteilen. Die Arbeit drängt erstmal in alle Bereiche des Lebens, wenn man mit Homeoffice beginnt. So müssen Angestellte sich selbst Grenzen setzen und damit auch die Entscheidung treffen, wie viel sie eigentlich arbeiten wollen. Diese Grenzsetzungsfähigkeiten kann man prinzipiell erlernen. Man muss über seine Grenzen aber situativ immer neu entscheiden.
Haben Sie praktische Tipps für die Unternehmen, wenn es um Homeoffice geht?
Zunächst sollte sich jedes Unternehmen erst einmal überlegen, warum es Homeoffice anbieten möchte. Häufig geht es dabei um Arbeitgeberattraktivität. Manche Unternehmen streben eher an, die Art und Weise des Zusammenarbeitens weiterzuentwickeln. Neben der räumlich-zeitlichen Flexibilisierung erhofft man sich auch eine interne Flexibilisierung der Strukturen. Meiner Meinung nach kann Homeoffice dafür aber nur ein Teilschritt sein.
Für die Einsteiger ist es erstmal praktikabler mit klaren Regeln zu operieren, welche die Flexibilität zunächst einschränken. Damit gibt man Raum, um zu wachsen und Erfahrungen zu sammeln. Erfahrungen sind wichtig, unsere Untersuchungen zeigen, dass Unternehmen mit mehr Erfahrungen im Bereich Homeoffice weniger formale Regeln brauchen.
Ist das Homeoffice ein Modell der Zukunft?
Dass von Arbeitgeberseite ermöglicht wird, im Homeoffice zu arbeiten, hat sicherlich Zukunft. Vor allem, wenn man es in der Konsequenz denkt, dass damit eine Transformation des Zusammenarbeitens begründet ist. So distanziert man sich von dem alten Führungsmodell, von Anweisung und Kontrolle zu mehr Eigenverantwortung der Beschäftigten. Homeoffice kann so eine Art Katalysator für diese Entwicklung sein.
Es gibt viele gute Gründe, Homeoffice anzubieten. Doch diese Arbeitsform betrifft immer nur einen Teil der Beschäftigten. Es ist nicht für alle eine gute Lösung. Von daher denke ich, es ist sinnvoll, da Möglichkeiten zu schaffen. Aber ein generelles Verordnen von Homeoffice ist sicherlich nicht sinnvoll.
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Das Interview wurde vor Ausbruch der Corona-Pandemie geführt.
studiert Sozialwissenschaften und war im Frühjahr 2019 Praktikantin beim vorwärts-Verlag.