Geschichte

Warum der Holocaust-Überlebende Saul Friedländer im Kampf gegen den Antisemitismus auf Deutschland hofft

Es war eine bewegende Rede, die der israelische Historiker Saul Friedländer im Bundestag hielt. Er zog eine Linie vom Schicksal seiner Familie unter den Nazis zum Antisemitismus der Gegenwart. Er hofft auf die moralische Standfestigkeit der Deutschen.
von Lars Haferkamp · 31. Januar 2019
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Saul Friedländer hält seine Rede zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus auf deutsch, in der „Sprache meiner Kindheit“, wie er erklärt, „eine Sprache, die ich über viele Jahre vergessen“ habe. Im Bundestag berichtet Friedländer über das bewegende Schicksal seiner Familie: Seine Eltern wurden von den Nationalsozialisten in Auschwitz ermordet, er selbst überlebte, weil er in einem katholischen Internat in Frankreich untertauchen konnte.

Seine Eltern wurden in Auschwitz ermordet

1942 versuchten seine Eltern von Frankreich aus in die Schweiz zu fliehen, wurden von dort jedoch an die französische Polizei ausgeliefert. Wenige Monate später erfolgte der Transport nach Auschwitz. „Ich frage mich oft, ob meine Eltern während der drei Tage dieser höllischen Fahrt zusammen waren. Falls ja, was mochten sie einander gesagt haben? Und was mochten sie gedacht haben? Wussten sie, was sie erwartete?“ Viele Deportierte wurden gleich bei der Ankunft in Auschwitz vergast. „Mein Vater muss einer von ihnen gewesen sein, da er schon in den Monaten zuvor krank und schwach gewesen war. Meine Mutter wurde wahrscheinlich zur Sklavenarbeit eingeteilt.“ Von den tausend Juden, die zum Transport der Eltern gehörten, „waren am Kriegsende noch vier am Leben“, so Friedländer.

Er selbst wurde getauft und bekam im Alter von zehn Jahren einen neuen Namen. Und überlebte. „Allmählich, und nicht ohne Wirrungen, begann mein neues Leben, zunächst in Frankreich. Richtig aber begann es erst in Israel; ich kam dort im Juni 1948 an, fünf Wochen nach der Staatsgründung.“ Dann beschreibt er, warum Israel so wichtig war und ist: „Für mich, und für meine Generation europäischer Juden – was von ihr übriggeblieben war – bedeutete Israel damals eine Heimat, ein Gefühl von Zugehörigkeit, und das ist es für mich letztlich bis zum heutigen Tag, ungeachtet meiner Kritik an der Politik seiner Regierung.“

Das Existenzrecht Israels verteidigen

Das Existenzrecht Israels zu verteidigen ist für den Historiker und Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels Friedländer eine grundsätzliche moralische Verpflichtung. „Dies muss in einer Zeit wieder betont werden, in der auf Seiten der extremen Rechten und auf Seiten der extremen Linken Israels Existenz in Frage gestellt wird und der Antisemitismus in seinem traditionellen wie in seinem neuen Gewand wieder unübersehbar zunimmt.“ Für Friedländer ist „der heutige Hass auf Juden ebenso irrational, wie er es immer schon war“, dies gelte vor allem für die Rechtsradikalen.

Bei den antisemitischen Linken sieht er eine „politisch korrekte Art der Rechtfertigung ihres Hasses“, die sich darin äußere, „die israelische Politik obsessiv anzugreifen und dabei zugleich das Existenzrecht Israels in Frage zu stellen“. Selbstverständlich sei es legitim, die israelische Regierung zu kritisieren. „Aber die schiere Heftigkeit und das Ausmaß der Angriffe sind schlicht absurd und enthalten den Beigeschmack eines nur dürftig verhüllten Antisemitismus“, analysiert Friedländer.

Antisemitismus und Nationalismus auf dem Vormarsch

Er warnt eindringlich: „Antisemitismus ist nur eine der Geißeln, von denen jetzt eine Nation nach der anderen schleichend befallen wird. Der Fremdenhass, die Verlockung autoritärer Herrschaftspraktiken und insbesondere ein sich immer weiter verschärfender Nationalismus sind überall auf der Welt in Besorgnis erregender Weise auf dem Vormarsch.“

In diesen Zeiten setzt er große Hoffnungen auf die Bundesrepublik. „Weil ich wie viele Menschen weltweit im heutigen Deutschland ein von Grund auf verändertes Deutschland sehe. Dank seiner langjährigen Wandlung seit dem Krieg ist Deutschland eines der starken Bollwerke gegen die Gefahren geworden, die ich soeben erwähnt habe.“ Und er verbindet seine Hoffnung mit einem Appell an die Deutschen: „Wir alle hoffen, dass Sie die moralische Standfestigkeit besitzen, weiterhin für Toleranz und Inklusivität, Menschlichkeit und Freiheit, kurzum, für die wahre Demokratie zu kämpfen.“

Gang eines anständigen Menschen

Saul Friedländer beendet seine Rede mit einem Satz des von Nationalsozialisten ermordeten Widerstandskämpfers Hans von Dohnanyi. „Mit einem Satz, der in seiner Schlichtheit für alle Zeiten und an jedem Ort seine Gültigkeit hat: ‚Es war einfach der zwangsläufige Gang eines anständigen Menschen‘." Der Bundestag bedankt sich für die Rede mit stehenden Ovationen.

 

 

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