Warum Hilfskredite Studierenden in der Coronakrise nicht helfen
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Mitte April beginnt regulär an den Universitäten und Hochschulen das Sommersemester – auch in der Corona-Krise. Doch während Vorlesungen online stattfinden, Seminare per Videokonferenz abgehalten werden, fürchten sich Studierende derzeit weniger vor der nächsten Prüfungsnote. Es geht bei den Fachkräften von morgen um die blanke Existenz. Oliver Nerger, Mitglied im Bundesvorstand der Juso-Hochschulgruppen, spart deswegen nicht mit Kritik an der zuständigen Bildungsministerin Anja Karliczek: „Die Ministerin versagt auf ganzer Linie.“ Denn die Liste ungelöster Probleme ist aus seiner Sicht lang.
Viele Studierende ohne Job
Da ist zuallererst die finanzielle Situation vieler Studierender. „Etwa zwei Drittel sind eigentlich erwerbstätig“, sagt Nerger mit Blick auf die offiziellen Zahlen des deutschen Studentenwerks. „Ein großer Teil davon arbeitet in der Gastronomie, Bars, Kneipen oder in Kultureinrichtungen.“ Allerdings sind die gegenwärtig alle zu, Kellner*innen, Kassierer*innen oder Barkeeper werden nicht gebraucht. Nebenjobs, die vielen Studierenden die finanzielle Unabhängigkeit sicherte. Für Minijobs kann ein Betrieb aber keine Kurzarbeit anmelden – und so haben derzeit viele Studierende keine Arbeit und stattdessen ein Loch im Portemonnaie, das jeden Monat größer wird, denn weiterhin müssen Miete und Essen bezahlt werden.
Wer nicht auf einen Zuschuss aus der Familie hoffen kann oder will, schaut deswegen in die Röhre. „Die Studierenden fallen komplett hinten runter“, beklagt sich Nerger, der in Berlin Jura studiert. CDU-Ministerin Karliczek hatte zur Überbrückung der finanziellen Not ein zinsloses Darlehen für Studierende vorgeschlagen, das hält der Juso aber für völlig ungeeignet: „Das ist überhaupt keine Lösung.“ Damit würde nur der Schuldenberg weiterwachsen, den Studierende oft ohnehin schon anhäufen. Denn auch das Bafög, die staatliche Unterstützung, auf die viele ohnehin angewiesen sind, muss zumindest zur Hälfte irgendwann zurückgezahlt werden. Mit einem zinslosen Darlehen wäre also niemand geholfen, schlussfolgert Nerger: „Das ist geradezu tückisch.“
Einfacher Zugang zum Bafög gefordert
Nerger befürchtet deswegen, dass nun die Zahl der Studienabbrecher steigen könnte, weil sich viele ein Studium unter diesen Bedingungen nicht leisten können. „Die Studierenden können ja auch nicht einfach woanders arbeiten“, gibt Nerger zu bedenken. Fernab des Studienorts irgendwo auf einem Feld Spargel zu stechen oder ähnliche Jobangebote seien überhaupt nicht mit den anderen Verpflichtungen des Studienalltags zu vereinbaren. „Viele haben auch noch andere Verpflichtungen, arbeiten teilweise ehrenamtlich oder kümmern sich um ihre Eltern oder Großeltern.“ Andere seien widerrum selbst schon Eltern, müssten sich um den Nachwuchs kümmern.
Deswegen fordert Nerger eine schnelle Nothilfe für Studierende über das Bafög. Denn genau der Topf ist vom Vorjahr noch gefüllt. So wurden 2019 rund 900 Millionen Euro weniger Studienunterstützung abgerufen als von der Bundesregierung geplant. „Das ist eine riesige Summe, die vielen über die nächsten Monate helfen könnte“, meint Nerger. Er geht zwar davon aus, dass es vorab eine Bedürftigkeitsprüfung geben könnte, aber: „Jetzt wo Not besteht, sollte das Geld schnell und unbürokratisch ausgezahlt werden können.“ Beispielsweise könnte die Vorlage einer Job-Kündigung schon ausreichen.
Viele Baustellen in den Studiengängen
Für solche unkomplizierten, schnellen Lösungen müsse aber natürlich der politische Wille da sein, den er derzeit bei der CDU-Ministerin nicht erkennen kann. Rückenwind gibt es dafür aber von der SPD-Bundestagsfraktion, die in den vergangenen Tagen auch Karliczek für ihre Sturheit angegriffen hat. „Das, was die Ministerin bislang vorgelegt hat, reicht nicht aus“, kritisierte Fraktionsvize Bärbel Bas beispielsweise gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Auch die Kultusminister*innen der Länder haben sich in einem Brief an Karliczek für einen einfacheren Zugang zum Bafög ausgesprochen. „Viele der Punkte, die wir fordern, wurden da bereits aufgegriffen“, lobt Nerger, „hoffentlich geht’s bald voran.“
Neben der Lösung der Finanzprobleme, die ein Großteil der Studierendenschaft umtreibt, gibt es aber auch ganz individuelle Baustellen in den Studiengängen: Pflichtpraktika wurden vorzeitig abgebrochen oder können derzeit nicht angetreten werden, viele haben keinen Zugang mehr zu der Literatur, die sie für Hausarbeiten und Abschlussarbeiten benötigen und obendrein bergen die digitalen Vorlesungen weitere Ungerechtigkeiten, zählt Nerger nur einige Probleme auf. „Nicht alle haben einen problemlosen Zugang ins Internet oder die Hardware für die Online-Angebote der Universitäten“, gibt der angehende Jurist zu bedenken, „wer das einfach so voraussetzt, vergisst die Menschen, die sich die notwendige Technik nicht leisten können.“
Seine Hoffnung ist zunächst, dass diese Probleme bei den nächsten Prüfungsleistungen auch berücksichtigt werden, es individuelle, kulante Regelungen gibt.