Helga Grebing: wichtige Zeitzeugin und aufrichtige Sozialdemokratin
Michael Gottschalk/photothek.net
Gestern, am 25. September 2017 im Alter von 87 Jahren, ist Helga Grebing von uns gegangen. Mit ihr verliert unsere Partei und sozialdemokratische Bewegung ihre bedeutendste Historikerin, aber auch eine aktive Demokratin, eine Pädagogin und eine große Sozialdemokratin. Bis ihre Kräfte sie endgültig verließen, hat sie sich in ihrer freundlichen, aber auch beharrlichen Art dafür eingesetzt, mit dem Wissen über Geschichte zu einer stabilen Demokratie, zu einem freiheitlichen, demokratischen Sozialismus, zur sozialen Idee und zu sozialdemokratischen Grundwerten wie Gerechtigkeit und Gleichheit beizutragen. Als Mitglied der Historischen Kommission und zeitweise auch der Grundwertekommission beim Parteivorstand begleitete sie den Weg der SPD über viele Jahrzehnte engagiert, kritisch und mit dem Herzen.
Seit 1948 Mitglied der SPD
Aufgewachsen als Arbeiterkind in Berlin war sie 1946, kurz nach Kriegsende, eine der Jüngsten, die das Abitur an der Arbeiter- und Bauern-Fakultät aufnehmen konnten. 1948 trat sie in die SPD ein, um sich nach den Erfahrungen der Nazi-Diktatur für die Demokratie in Deutschland zu engagieren. Doch schon früh geriet sie in einen Konflikt mit ihren Überzeugungen und den Entwicklungen in der frühen DDR. Ihr Studium setzte sie dann in an der Freien Universität im damaligen West-Berlin fort, promovierte dort, bevor sie als Lektorin und Redakteurin von Zeitschriften zu politischer Zeitgeschichte und Dozentin für politische Bildung beim DGB und der SPD tätig war. 1969 habilitierte sie bei so bekannten Hochschullehrern wie Iring Fetscher und M. Rainer Lepsius.
Ab 1971 lehrte sie zunächst als Professorin für politische Wissenschaften in Frankfurt am Main, bevor sie ab Ende 1972 Geschichte in Göttingen unterrichtete und ab 1988 eine Professur für die vergleichende Geschichte der internationalen Arbeiterbewegung an der Ruhr-Universität Bochum innehatte. Dort leitete sie das Institut zur Erforschung der europäischen Arbeiterbewegung, bevor sie 1995 emeritierte und sich von da an mit voller Kraft der Publikation und der politischen Arbeit widmete. Die Erinnerung an das Werk, die Ideen und die Vision Fritz Sternbergs, eines marxistisch inspirierten, freiheitlichen Sozialismus wachzuhalten, war eines ihrer Lebenswerke. Ganz aktuell erscheint der Sammelband „Streiten für eine Welt jenseits des Kapitalismus“, dem sie ihre letzte Kraft gewidmet hat. Ein immens wichtiger Beitrag im Vorfeld des 200. Geburtstages von Karl Marx im Mai 2018.
Scharfsinn, Neugierde und Humor
Ich selbst hatte das Privileg, bei Helga Grebing in den 80er Jahren an der Georg-August-Universität Göttingen studieren zu dürfen. Neben ihrem Scharfsinn haben mich schon damals ihre Offenheit, ihre Neugierde und ihr Humor, mit dem sie mich später in meiner Funktion als Parteivorsitzender der SPD oft erfreute, fasziniert. Die Sozialdemokratie konnte sich stets glücklich schätzen, auf ihr Wissen und ihr kritisches Urteil zurückgreifen zu können. Ihre Fähigkeit, die vergangenen Zeiten sachkundig lebendig werden zu lassen, einzelne Ereignisse in große historische Linien einzuordnen und dabei wertorientiert das Ziel gleicher Freiheit nie aus den Augen zu verlieren – das alles werden wir auch in Zukunft umso mehr brauchen.
Mit Helga Grebing verliert die Sozialdemokratie eine wichtige Zeitzeugin, eine aufrichtige Sozialdemokratin und eine beeindruckende Persönlichkeit, die stets überzeugt war, dass eine Gesellschaft der Gleichen und Freien jenseits des Kapitalismus möglich und notwendig ist.