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Heiko Maas: „Sicherheit schaffen wir nur mit- und nicht gegeneinander.“

Für zwei Jahre hat Deutschland einen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Im Interview sagt Außenminister Heiko Maas, wie er diesen nutzen möchte, um Krisen besser vorzubeugen – und warum der Klimawandel künftig über Krieg und Frieden entscheiden könnte.
von Kai Doering · 6. November 2019
Willy Brandt zeitgemäß interpretieren: Außenminister Heiko Maas
Willy Brandt zeitgemäß interpretieren: Außenminister Heiko Maas

Vor 30 Jahren begann mit dem Fall der Mauer auch das Ende des Kalten Kriegs. Damals war die Welt voller Hoffnung, dass die Trennung dauerhaft überwunden wird. Heute herrscht eher Ernüchterung. Hat die Außenpolitik versagt?

Die Situation von 1989 und von heute ist schwer zu vergleichen. Die sehr konkreten Bedrohungsszenarien zwischen Ost und West gibt es nicht mehr. Heute haben wir es mit anderen Herausforderungen zu tun – insbesondere mit einer neuen Großmächtekonkurrenz zwischen den USA, Russland und China. Die außenpolitische Lage ist nicht schlechter, aber anders.

Woran machen Sie das „anders“ fest?

Die Welt war vor 1989 übersichtlicher. Es gab zwei Blöcke, die sich gegenüberstanden und die sich gegenseitig bedroht haben. Heute sind die Krisenherde und Bedrohungen zahlreich, einiges an Gewalt und Auseinandersetzungen entstaatlicht. Und es kommen immer neue Konflikte hinzu – sei es in Syrien, dem Jemen oder Libyen. Gleichzeitig sind weltweit Nationalisten und Populisten auf dem Vormarsch. Immer mehr Länder meinen, ihre eigenen Interesse nur durchsetzen zu können, wenn Sie ihr Land vor andere stellen. Eine Politik des „America first“, des „Russia first“ oder „China first“ wird allerdings nicht dazu führen, dass wir bei den großen Fragen unserer Zeit weiterkommen. Klimaschutz, Migration, Digitalisierung – wenn wir das nach dem Moto „jeder gegen jeden“ angehen, werden am Ende alle verlieren. Wir müssen stattdessen an gemeinsamen Antworten arbeiten. Denn alle diese Herausforderungen haben eins gemeinsam: Sie kennen schon lange keine Grenzen mehr.

Wie müsste sich der Sicherheitsrat, in dem Deutschland ja gerade für zwei Jahr Mitglied ist, ändern, damit er die neuen Herausforderungen meistern kann?

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ist zurzeit ein Krisenreaktionszentrum. Da werden die Krisen zu oft erst aufgerufen, wenn sie entstanden sind. Eigentlich müsste er aber viel mehr ein Krisenpräventionszentrum sein. Deshalb wollen wir in den beiden Jahren, in denen wir jetzt im Sicherheitsrat sind, dafür sorgen, dass wir uns frühzeitig mit Themen auseinandersetzen, die in Zukunft Ursache von Krisen und Konflikten sein werden. Nehmen wir zum Beispiel den Klimawandel. Der ist längst nicht mehr nur eine ökologische Herausforderung für die Menschheit, sondern immer öfter eine Frage von Krieg und Frieden.

2018 haben Sie gemeinsam mit der kanadischen Außenministerin Chrystia Freeland die „Allianz für den Multilateralismus“ gegründet. Was war der Auslöser?

Wir werden in Zukunft noch mehr kämpfen müssen für Menschenrechte, für Gleichberechtigung, für unsere regelbasierte Ordnung – für all die Errungenschaften, die wir für selbstverständlich halten. Und das gelingt nur mit Partnern an unserer Seite. Genau darin besteht die Idee unserer Allianz für den Multilateralismus. Der Zuspruch ist groß. Mittlerweile sind mehr als achtzig Länder Teil dieser Allianz geworden. Sie wissen, dass in der Konkurrenz, die wir zwischen den USA, Russland und China erleben, die meisten Staaten dieser Welt nur dann eine Chance haben, ihre Interessen zu behaupten und ihre Werte zu reklamieren, wenn sie das zusammen machen. Gerade für uns in Europa ist das ein ganz wichtiges Thema.

Dennoch gehen immer mehr europäische Staaten, seien es Polen, Ungarn oder zuletzt auch Österreich lieber nationale Wege und verletzten dabei sogar EU-Recht. Was lässt sich dagegen tun?

Einer der größten Streitpunkte innerhalb Europas ist das Thema Rechtsstaatlichkeit. Die Stärke des Rechts und Unabhängig der Justiz müssen aber elementare Grundwerte bleiben, die uns in der Europäischen Union zusammenhalten. Auf Rechtsstaatlichkeit kann es keinerlei Rabatte geben. Ich bin fest davon überzeugt, dass alle Mitglieder ein großes Interesse an der Europäischen Union haben sollten. Auch, weil sie von ihr profitieren. Da gibt es nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten. Das machen wir sehr klar.

Sie haben bereits mehrfach davon gesprochen, dass das Tandem Deutschland-Polen Motor der europäischen Entwicklung sei. Sieht die polnische Regierung das genauso?

Es liegt in der Verantwortung der deutschen Außenpolitik, gegenüber einem Land wie Polen nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern mit der ausgestreckten Hand für Gemeinsamkeit einzutreten. Das tun wir. Im Rahmen dieser wirklich sehr engen Zusammenarbeit, die es dort gibt, muss es natürlich genauso möglich sein, die Unterschiede anzusprechen. Wir dürfen bei dem, was wir Deutschen in Polen angerichtet haben, aber niemals den Eindruck erwecken, wir würden unsere historische Verantwortung in der aktuellen Politik nicht genügend berücksichtigen. Deshalb ist eines meiner großen persönlichen Anliegen, die deutsch-polnischen Beziehungen kontinuierlich zu vertiefen und weiterzuentwickeln.

Sozialdemokraten haben, wenn sie an Polen denken, sofort Willy Brandt und seinen Kniefall in Warschau vor Augen. Gibt es eine speziell sozialdemokratische Sichtweise auf Außenpolitik?

Na klar. Willy Brandt hat mit seiner Ostpolitik einen sozialdemokratischen Weg geprägt, der auch heute nach wie vor aktuell ist. Wir verfolgen das gleiche Ziel wie Willy Brandt: Es geht um eine europäische Friedensordnung und darum, sich mit unseren osteuropäischen Nachbarn nicht nur auszusöhnen, sondern unsere Beziehungen weiterzuentwickeln, und zwar auf Augenhöhe. Damals war es notwendig, den Weg über Moskau zu gehen. Wenn wir Willy Brandts Grundsätze zeitgemäß interpretieren, ist der Weg heute ein anderer. Denn die Rahmenbedingungen haben sich umgekehrt: Unsere osteuropäischen Nachbarn fühlen sich nicht mehr von Russland beschützt, sondern teilweise sogar bedroht. Nicht nur in ihrem Interesse müssen wir deutlich machen: Den Frieden gefährdet, wer sich nicht an Regeln hält. Ein sozialdemokratischer Auftrag muss immer sein, dass unsere osteuropäischen Nachbarn für uns ganz besonders wichtig sind. Deshalb ist Deutschland auch innerhalb der Europäischen Union die Brücke zwischen Ost und West.

Haben sich Deutschlands Beziehungen zu Russland in den letzten Jahren verschlechtert?

Den Eindruck habe ich nicht. Die Beziehungen sind in den letzten anderthalb Jahren sogar intensiver gewesen als in der Zeit davor. Es gibt nahezu kein großes internationales Thema, bei ich mich nicht regelmäßig mit meinem Kollegen Lawrow bespreche. Es gibt niemanden, der in Abrede stellt, dass wir Russland brauchen, um die großen Konflikte dieser Welt – in Syrien, Iran, Jemen oder Libyen – zu lösen. Und wir haben in den letzten anderthalb Jahren mehr bilaterale Projekte mit Russland auf den Weg gebracht, als in der Zeit davor. Das hat mich in meiner Haltung bestärkt: Nichts wird besser, wenn wir etwa Völkerrechtsbrüche einfach stillschweigend akzeptieren. Im Gegenteil: Wir brauchen feste Positionen, die wir mit eindeutigen Angeboten verbinden.

Sie haben bei Ihrer Reise nach Libyen erwähnt, es soll ein Treffen in Berlin stattfinden, um den Bürgerkrieg im Land zu befrieden. Gibt es bereits einen Termin?

Wir hoffen auf eine Konferenz noch in diesem Jahr. Die Zeit drängt. Das Land ist zersplittert. Die Menschen leiden unter den Folgen des Krieges, vor allem den willkürlichen Angriffen auf die zivile Bevölkerung durch Milizen. Wir tun alles, um die Bemühungen der Vereinten Nationen für den politischen Prozess zur Beendigung des Bürgerkriegs zu unterstützen.

Noch einmal zurück zum UN-Sicherheitsrat: Deutschlands Sitz endet Ende 2021. Was wollen Sie bis dahin erreicht haben?

Das Thema Klima muss uns im Sicherheitsrat weiter beschäftigen, aber auch die Themen Abrüstung und Rüstungskontrolle. Denn: Ähnlich bedrohlich und genauso menschengemacht wie der Klimawandel ist die Erosion unserer Rüstungskontrollarchitektur. Abkommen wie der INF-Vertrag, der jahrzehntelang für Sicherheit in Europa gesorgt haben, werden verletzt und brechen weg. Gemeinsam mit einer wachsenden Zahl von Partnern fordern wir deshalb eine Rückkehr zu konkreten realistischen Abrüstungsschritten. Unser Ziel ist, das Verständnis neu aufzubauen, dass Rüstungswettläufe die Welt kein Stück sicherer machen. Sicherheit schaffen wir nur mit- und nicht gegeneinander. Und: In den letzten Jahrzehnten sind viele neue Waffensysteme entwickelt worden: autonome Waffen, Cyber-Waffen, Killer-Roboter. Für diese neuen Technologien brauchen wir neue Regeln. Dafür werden wir uns einsetzen, auch im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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