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Hate Speech-Gesetz: Das wird man ja wohl noch mal sagen dürfen!

Die Bundesregierung will noch vor der Bundestagswahl das Netzwerkdurchsetzungsgesetz durch den Bundestag bringen. Soziale Netzwerke sollen unter Androhung hoher Strafen verpflichtet werden, rechtswidrige Beiträge schnell zu löschen. Henning Tillmann, Vorstandsmitglied von D64, kritisiert den Entwurf scharf.
von Henning Tillmann · 12. April 2017
Facebook
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Nippel statt Hetze – so hieß eine Aktion des Berliner Fotografens Olli Waldhauer im Herbst 2015. Zu sehen war eine halbnackte Frau und ein Mann, der eine Hassbotschaft in die Kamera hielt. Der Untertitel war: „Eine dieser Personen verstößt gegen die Regeln von Facebook“. Und tatsächlich wurde der Beitrag recht schnell gelöscht – wegen der Brustwarzen der Frau.

Niedrige Löschquoten bei Facebook und Twitter

Viele Nutzerinnen und Nutzer, die bereits Hasskommentare bei Facebook gemeldet haben, wurden mehrfach enttäuscht. Häufig war die Rückmeldung, dass der entsprechende Beitrag nicht gegen die Community-Regeln verstoßen würde. Die Bundesregierung versuchte lange Zeit, die sozialen Netzwerke mit Selbstverpflichtungen zu einem besseren Kampf gegen Hass im Netz zu motivieren. Doch diese brachten nicht den gewünschten Erfolg: laut Bundesregierung löschte Facebook nur in 39 Prozent und Twitter nur in einem Prozent der Fälle. Dies war die Motivation für das Bundeskabinett, das so genannte Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) zu verabschieden. Der Bundesjustizminister möchte mit diesem Gesetzesentwurf noch vor der Bundestagswahl Hate Speech und „Fake News“ im Internet bekämpfen.

Soziale Netzwerke müssen nun vierteljährig berichten, wie sie mit Beschwerden umgegangen sind. Ebenso, und dies ist der sehr problematische Aspekt, müssen die Anbieter offensichtlich rechtswidrige Inhalte innerhalb von 24 Stunden und generell rechtswidrige Inhalte generell innerhalb von sieben Tagen entfernen (löschen oder sperren). Andernfalls drohen Bußgelder bis zu fünf Millionen Euro.

Rechtsdurchsetzung bei Hasskommentaren verbessern

In der „Deklaration für die Meinungsfreiheit“, die viele Digitalvereine und -verbände unterzeichnet haben, wird vor allem die zuletzt genannte Übertragung von Rechtsdurchsetzung an Privatunternehmen kritisiert. Das soziale Netzwerk muss entscheiden: Ist ein Post, ein Bild oder ein Kommentar rechtswidrig? Da hohe Strafen drohen, wird vermutlich im Zweifel gelöscht. Wurde in der Vergangenheit also zweifelsfrei zu wenig gelöscht, könnte sich die Situation nun umkehren: das Melden eines Beitrags könnte fast immer zu einer Löschung führen.

Im Gesetzesentwurf ist eine verpflichtende Kontaktstelle bei den Anbietern von sozialen Netzwerken vorgesehen. Diese ist dringend nötig, um Auskünfte zu den Urhebern mutmaßlich strafbarer Inhalte zu erhalten und diese strafrechtlich zu verfolgen. Ein von Facebook gelöschter Post lässt sich schließlich auch umformulieren und neu veröffentlichen. Das NetzDG sollte sich daher vor allem um die Verfolgung der Verantwortlichen von Hassbeiträgen kümmern, nicht um das Löschen durch Privatanbieter.

„Fake News“ werden sich kaum aufhalten lassen

Propaganda, die in letzter Zeit häufig als „Fake News“ beschrieben wurde, wird sich mit dem Gesetz kaum aufhalten lassen. Gewisse Falschbehauptungen lassen sich nur schwerlich als rechtswidrig einstufen. Hier wäre das Recht der Gegendarstellung deutlich sinnvoller. Ähnlich wie im Presserecht müssten Personen die Möglichkeit erhalten, Gegendarstellungen ausgeben lassen zu können. Es ist beispielsweise technisch möglich, genau jedem auf Facebook eine Gegendarstellung anzuzeigen, der auch zuvor die (falsche) Tatsachenbehauptung zu sehen bekam. Wie auch im Presserecht würde sich die Gegendarstellung nur auf Tatsachenbehauptungen, nicht aber auf Meinungen beziehen. Die Meinungsfreiheit wäre somit nicht betroffen.

Die ursprüngliche Intention des NetzDG, gegen Hass und Propaganda vorgehen zu wollen, ist nicht falsch. Die sozialen Netzwerke haben hier zu wenig gemacht. Dennoch ist die Umsetzung des NetzDG ein Schnellschuss. Das Gesetz kann möglicherweise mehr Schaden anrichten als es hilft. Ebenso sind Hassbeiträge und Propaganda („Fake News“) zwei unterschiedliche Dinge, die nicht in einen Topf gehören. Generell stellt sich aber die Frage, was überhaupt schief läuft, dass sich manche Menschen so dem Hass ergeben. Hier sind soziale Netzwerke nicht die Ursache, sondern lediglich Schauplatz. Ein Löschen oder Verbergen von hasserfüllten Inhalten verschleiert das Problem nur.

Autor*in
Henning Tillmann
Henning Tillmann

ist selbständiger Softwareentwickler und lebt in Berlin. Er ist u. a. Vorstandsmitglied des Vereins D64 – Zentrum für digitalen Fortschritt e.V.

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