Die Grundrente: Wem sie hilft und warum sie so wichtig ist
Ute Grabowsky/photothek.net
Welches Prinzip steckt hinter der Grundrente?
Wer sein Leben lang gearbeitet hat, soll im Alter gut abgesichert sein. Das ist das Grundprinzip der Rente. Wer sozialversicherungspflichtig angestellt ist, zahlt Jahr für Jahr in die Rentenkasse ein. Aus diesen Zahlungen ergibt sich am Ende der Arbeitszeit dann ein Rentenanspruch, der sich, grob gesagt, nach den Beitragsjahren und den eingezahlten Beiträgen richtet. Wer viele Jahre aber nur wenig eingezahlt hat, bekam bisher nur eine sehr niedrige Rente, teilweise noch unter dem Niveau der Grundsicherung. Das traf selbst auf Menschen zu, die Jahrzehnte lang gearbeitet hatten, was viele als ungerecht empfanden.
Eine Ungerechtigkeit, die sich mit der Grundrente ändern soll: Wer 35 Jahre lang gearbeitet hat und Rentenbeiträge gezahlt hat, soll auf jeden Fall so viel Geld bekommen, dass es deutlich über der Grundsicherung liegt. Deswegen war von SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil oder auch der kommissarischen Parteivorsitzenden Malu Dreyer immer wieder zu hören, dass es um Anerkennung der Lebensleistung geht, nicht um eine soziale Unterstützung. Rentner sollten keine Bittsteller sein, sondern für ihre Arbeitsleistung belohnt werden. „Respekt-Rente“, war ein anderes Wort für die Grundrente, das Hubertus Heil in der Debatte oft benutzte.
Warum bezeichnet die SPD die Grundrente als „Meilenstein“?
Die Union wollte die Grundrente auch, aber unter anderen Voraussetzungen. Konkret sprachen die Unions-Politiker immer von einer Sozialleistung. Ein großer Unterschied, denn damit wird die Grundrente in die Nähe von Hartz IV oder Grundsicherung gerückt – das ist aber eine Unterstützung, die jede*r bekommt, egal ob er oder sie vorher gearbeitet hat oder nicht. Eine Rente soll aus Sicht der SPD aber eben keine Hilfe für Bedürftige, sondern eine Anerkennung der Lebensleistung sein. „Es gibt keine neue Sozialleistung, sondern einen Anspruch auf eine Höherwertung der Rente, wenn man über 35 Jahre gearbeitet hat“, stellte Malu Deyer nach der Einigung Ende 2019 ausdrücklich fest.
Einkommensprüfung statt Bedürftigkeitsprüfung – gibt es da einen Unterschied?
Bei dem ausgehandelten Kompromiss soll der Anspruch auf eine Grundrente automatisch geprüft werden. Niemand soll für die Grundrente zum Sozialamt gehen müssen, das war ein zentrales Anliegen der SPD. Denn der Gang „zum Amt“ ist für viele Bürger gleichbedeutend mit einer Armutserklärung. Wie groß diese Scham ist, zeigt eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) aus dem Jahr 2020: Demnach haben rund eine Million Rentner*innen einen Anspruch auf Grundsicherung, nur die Hälfte stellt aber tatsächlich einen solchen Antrag. Entweder, weil sie nicht wissen, dass sie darauf ein Anrecht haben, oder weil sie sich dafür schämen.
Die Einkommensprüfung hingegen soll automatisch ablaufen. Die Daten dafür erhält die Rentenversicherung vom Finanzamt. Es muss kein Antrag ausgefüllt werden, sondern das zu versteuernde Einkommen ist die Grundlage für den Anspruch auf Grundrente. Der daraus berechnete Wert wird für jedes Jahr mit dem Durchschnittseinkommen in Deutschland verglichen. Wer am Ende der Rechnung deutlich unter dem Schnitt liegt, dessen Rentenanspruch wird deutlich aufgewertet. Das Ziel: Wer lange gearbeitet hat, darf nicht nur mit einer Rente abgespeist werden, die nur knapp über der Grundsicherung liegt – oder gar darunter.
Bei einer Bedürftigkeitsprüfung, wie beispielsweise bei einem Antrag auf Grundsicherung, müssen die Antragsteller hingegen alles angeben, ihre kompletten Eigentums- und Vermögensverhältnisse bis ins Detail öffentlich machen. Bei der Einkommensprüfung zählt nur das zu versteuernden Einkommen. Die Union hatte nach langer Debatte den Widerstand gegen die Einkommensprüfung aufgegeben, die SPD setzte sich mit dem Modell von Hubertus Heil in der großen Koalition durch.
Was wird bei der Berechnung der Grundrente alles berücksichtigt?
Bei den 35 Beitragsjahren werden auch Zeiten für die Kindererziehung, die Pflege von Angehörigen und vieles mehr berücksichtigt. Außerdem gibt es Freibeträge: Wer alleine lebt, bis zu 1250 Euro im Monat verdienen, Paare zusammen 1950 Euro, ohne dass dies mitberechnet wird. Für Rentner, die zusätzlich noch Wohngeld erhalten, soll es ebenfalls einen Freibetrag geben, damit die Grundrente nicht direkt wieder abgezogen wird.
Außerdem gibt es für diejenigen, die knapp unter den 35 Beitragsjahren liegen, einen Übergangsbereich von zwei Jahren: Zuschläge auf niedrige Renten gibt es also schon bei 33 Berufsjahren.
Steigen jetzt die Rentenbeiträge?
Das Bundesarbeitsministerium rechnet bei der Grundrente mit Kosten von ungefähr 1,5 Milliarden Euro. Das Geld dafür soll zu Beginn aus dem Staatshaushalt finanziert werden. Die Beiträge zur Rentenversicherung sollen nicht erhöht werden. In einem ersten Kompromiss hatte der Koalitionspartner noch auf eine zwingende Gegenfinanzierung über die Finanztranskationssteuer bestanden, dieser Widerstand wurde aber aufgegeben.
Wie viele Menschen werden von der Grundrente profitieren?
Nach der aktuellen Berechnung der Bundesregierung sollen rund 1,5 Millionen Menschen von der Grundrente profitieren. Mehrheitlich sind es Frauen, die von der Grundrente profitieren werden, wiederholte Hubertus Heil auch im Zukunftsdialog der SPD im Juni. Nach Schätzungen seines Arbeitsministeriums hätten rund 85 Prozent von ihnen einen Anspruch auf Grundrente. Die Gründe dafür: Frauen arbeiten häufiger in Niedriglohnjobs, haben in ihrem Arbeitsleben häufiger in Teilzeit gearbeitet. Im Osten von Deutschland dürfte der Anteil höher sein als im Westen, weshalb sich auch Manuela Schwesig, SPD-Ministerpräsidentin Mecklenburg-Vorpommern, besonders für die Grundrente eingesetzt hatte.
Wie hoch fällt die Grundrente aus?
Das lässt sich nur individuell beantworten, denn die Grundrente ist keine Basisrente. Grundsätzlich soll die Grundrente aber über der Grundsicherung liegen. Das Arbeitsministerium rechnet das anhand mehrerer, fiktiver Beispiele aus der Arbeitswelt vor.
Erstes Beispiel: Eine Bauingenieurin, die insgesamt 39 Jahre gearbeitet hat. Sie war zwischendurch arbeitslos, arbeitet im Anschluss nur unterhalb ihrer Qualifikation und bekam auch weniger Gehalt. Nach der alten Rechnung hatte sie deswegen nur eine Rente von 746 Euro. Da sie unterdurchschnittlich verdient hat, wird ihr Rentenanspruch aufgewertet, durch den Grundrentenzuschlag von 195 Euro steigt ihre Rente künftig auf 941 Euro.
Zweites Beispiel: Ein Hilfsarbeiter, der auf Mindestlohn-Niveau bezahlt wurde: 20 Jahre arbeitete er in Vollzeit, später musste er aus gesundheitlichen Gründen seine Arbeitszeit reduzieren. Dadurch hatte er nach 35 Jahren Berufsleben nur 463 Euro Rente, musste mit Grundsicherung aufstocken. Mit der Grundrente verdoppelt sich der Rentenbetrag fast, er kommt auf 868 Euro, außerdem muss er keine Grundsicherung mehr beantragen, muss seine Ersparnisse nicht mehr offenlegen. Dass er zusätzlich Mieteinnahmen von 300 Euro monatlich hat, spielt bei der Bewertung keine Rolle, denn insgesamt liegt sein zu versteuerndes Einkommen noch unter dem Freibetrag von 1250 Euro.
Drittes Beispiel: Eine Friseurin, die 40 Jahre in Vollzeit gearbeitet hat. In der Zeit hat sie stets unterdurchschnittlich verdient. In der Beispielrechnung des Arbeitsministeriums hat sie deswegen bisher nur ein Rente von 528 Euro pro Monat. Über den Grundrentenzuschlag bekommt sie 400 Euro zusätzlich, ab 2020 wird sie also rund 934 Euro pro Monat bekommen.
Warum hat das alles so lange gedauert?
Tatsächlich wird die Debatte über die Grundrente schon seit Jahren geführt, Konservative und Sozialdemokrat*innen haben lange über die Grundrente gestritten. Im Koalitionsvertrag ist das Projekt aber festgeschrieben, weshalb die SPD auch immer wieder auf eine Einigung gepocht hat. Widerstand gegen die Grundrente gab es bei der Union vor allem aufgrund der Einkommensprüfung, die für die SPD eine zentrale Bedingung war. Doch auch nach dem gefundenen Kompromiss Ende 2019 ging es mit den Debatten weiter, denn über Details wie die Finanzierung, den Ablauf der Einkommensprüfung und vieles mehr wurde weiter gestritten.
ist Leitende Redakteurin beim Vorwärts-Verlag und verantwortlich für die DEMO – Das sozialdemokratische Magazin für Kommunalpolitik.