Wie das Grundeinkommen die Menschen für die Digitalisierung wappnet
Thomas Imo/photothek.net
Mit unserem gemeinnützigen Experiment Mein Grundeinkommen haben wir bereits rund 200 Menschen ein Jahr lang ein Bedingungsloses Grundeinkommen von 1.000 Euro pro Monat ausgezahlt. Die Grundeinkommens-Pioniere machen mit dem Geld unterschiedlichste Sachen. Sie reisen, sparen, gründen, bilden sich weiter. Doch eine Erfahrung vereint sie. Bei allen stellt sich mit der Zeit eine existentielle Entspannung ein.
Mit dem Grundeinkommen anfangen zu leben
Wir nennen es das „Grundeinkommens-Gefühl“: Die beruhigende Gewissheit, dass man versorgt ist. Dass man seinen Platz in der Gesellschaft nicht bis zum Burn-Out erkämpfen muss. Das Gefühl von Durchatmen und Ankommen. Aber auch Motivation, Neugierde und Unternehmergeist: Wer nicht mehr ums Überleben kämpfen muss, fängt an zu leben.
Die Arbeitsmotivation sinkt übrigens nicht, wenn Menschen Grundeinkommen erhalten. Im Gegenteil. Noch nie hätten sie so viel gearbeitet und seien dabei so wenig gestresst gewesen, berichten viele der Teilnehmer. Andere Experimente, z.B. aus den USA und Kanada, kommen zu ähnlichen Ergebnissen.
Die überforderte Gesellschaft
Es mangelt unserer Gesellschaft eben nicht an Arbeitsmotivation. Wohl aber an existenzieller Sicherheit. Wohin das führt, zeigt eine groß angelegte Stress-Studie der Techniker Krankenkasse (TK): Rund die Hälfte der Deutschen leidet unter Stress, also einem Zustand der Überforderung. Die Arbeit überlastet jeden zweiten. Finanzielle Sorgen hat jeder fünfte. Ältere haben Angst, nicht mithalten zu können. Vor allem Frauen zerreiben sich zwischen Familie und Karriere.
Die Digitalisierung wird dieses Problem weiter verschärfen. Sie bedeutet Automatisierung auf allen Gebieten – in der Industrie, im Handel, im Dienstleistungsbereich. Die Arbeitswelt wird sich in kurzer Zeit vollständig verändern. Die Angst, nicht mithalten zu können, wird sich intensivieren.
Die überforderte Sozialpolitik
Nicht nur die Menschen sind überfordert, sondern auch die Sozialpolitik. Immer mehr Menschen fühlen sich von ihr vollständig im Stich gelassen. Für jede noch so einfache Leistung muss jahrelang gekämpft werden, meist mit enttäuschenden Ergebnissen: Der Bafög-Regelsatz sieht immer noch eine Wohnpauschale von 250 Euro vor, während WG-Zimmer mittlerweile für mehr als das Doppelte vermietet werden. Der Hartz-IV-Satz ist viel zu niedrig berechnet und wird regelmäßig brutal unter das Existenzminimum gekürzt. Der Mindestlohn ist gerade so hoch, dass weder ein gutes Leben noch eine angemessene Rente finanzierbar sind. Mit einer solchen Politik des Mangels hinkt der deutsche Wohlfahrtsstaat dramatisch hinter der gesellschaftlichen Entwicklung hinterher.
Es gibt einen direkten Weg nach vorne. Die Digitalisierung kann zum Sprungbrett für eine zufriedenere Gesellschaft werden, wenn wir das Sozialsystem um einen entscheidenden Faktor ergänzen: Jeder Einzelne bekommt eine bedingungslose Existenzsicherung.
Wenn Menschen zu Bittstellern werden
Insbesondere Sozialdemokraten entgegnen gerne, dass wir erst einmal günstigen Wohnraum, mehr Kitaplätze oder einen besseren Zugang zu Bildung brauchen. Das steht absolut nicht im Widerspruch zum Bedingungslosen Grundeinkommen: Natürlich muss der Sozialstaat dringend seine Hausaufgaben machen! Er muss die öffentliche Infrastruktur ausbauen und die gerechte Teilhabe am technologischen Fortschritt garantieren. Das ist das Mindeste.
Behörden können mit ihren Formularen jedoch niemals die Komplexität der Lebensrealität abbilden. Sie können eine unberechenbare Zukunft nicht verwalten. Sie sabotieren im schlimmsten Fall das Wohlergehen der Menschen, wenn sie diese massenweise zu Bittstellern machen, bürokratisch kontrollieren und in schlechte Arbeit drängen.
Eine Zukunft ohne Angst
Ein Bedingungsloses Grundeinkommen ist für genau diese Komplexität erdacht. Es hilft jedem individuell, dort wo er ist. Es mildert die Angst vor der Zukunft. Es schützt Menschen vor der sozialpolitischen Wetterlage. Es macht das ganze Sozialsystem zu einer Plattform der Selbstbestimmung.
Menschen wollen ihr Leben würdevoll in die Hand nehmen. Die Aufgabe des Sozialstaats ist es, ihnen dafür die Chancen und die Sicherheit zu geben. Lasst uns also diese Vision verwirklichen: Ein Grundeinkommens-Gefühl für alle.
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Lesen Sie hier die Replik von SPD-Vize Ralf Stegner.