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Wie das Grundeinkommen die Menschen für die Digitalisierung wappnet

Meera L. Zaremba01. Oktober 2018
Die Digitalisierung wälzt die Arbeitswelt um. Ein Bedingungsloses Grundeinkommen würde Arbeitnehmern Sicherheit geben, meint Meera Zaremba.
Die Digitalisierung wälzt die Arbeitswelt um. Ein Bedingungsloses Grundeinkommen würde Arbeitnehmern Sicherheit geben, meint Meera Zaremba.
Die Digitalisierung hat eine gesellschaftliche Umwälzung in Gang gesetzt, auf welche die Sozialpolitik in keiner Weise vorbereitet ist. Um die Menschen für die digitale Zukunft zu wappnen, muss ein Bedingungsloses Grundeinkommen ihnen Sicherheit garantieren.

Mit unserem gemeinnützigen Experiment Mein Grundeinkommen haben wir bereits rund 200 Menschen ein Jahr lang ein Bedingungsloses Grundeinkommen von 1.000 Euro pro Monat ausgezahlt. Die Grundeinkommens-Pioniere machen mit dem Geld unterschiedlichste Sachen. Sie reisen, sparen, gründen, bilden sich weiter. Doch eine Erfahrung vereint sie. Bei allen stellt sich mit der Zeit eine existentielle Entspannung ein.

Mit dem Grundeinkommen anfangen zu leben

Wir nennen es das „Grundeinkommens-Gefühl“: Die beruhigende Gewissheit, dass man versorgt ist. Dass man seinen Platz in der Gesellschaft nicht bis zum Burn-Out erkämpfen muss. Das Gefühl von Durchatmen und Ankommen. Aber auch Motivation, Neugierde und Unternehmergeist: Wer nicht mehr ums Überleben kämpfen muss, fängt an zu leben.

Die Arbeitsmotivation sinkt übrigens nicht, wenn Menschen Grundeinkommen erhalten. Im Gegenteil. Noch nie hätten sie so viel gearbeitet und seien dabei so wenig gestresst gewesen, berichten viele der Teilnehmer. Andere Experimente, z.B. aus den USA und Kanada, kommen zu ähnlichen Ergebnissen.

Die überforderte Gesellschaft

Es mangelt unserer Gesellschaft eben nicht an Arbeitsmotivation. Wohl aber an existenzieller Sicherheit. Wohin das führt, zeigt eine groß angelegte Stress-Studie der Techniker Krankenkasse (TK): Rund die Hälfte der Deutschen leidet unter Stress, also einem Zustand der Überforderung. Die Arbeit überlastet jeden zweiten. Finanzielle Sorgen hat jeder fünfte. Ältere haben Angst, nicht mithalten zu können. Vor allem Frauen zerreiben sich zwischen Familie und Karriere.

Die Digitalisierung wird dieses Problem weiter verschärfen. Sie bedeutet Automatisierung auf allen Gebieten – in der Industrie, im Handel, im Dienstleistungsbereich. Die Arbeitswelt wird sich in kurzer Zeit vollständig verändern. Die Angst, nicht mithalten zu können, wird sich intensivieren.

Die überforderte Sozialpolitik

Nicht nur die Menschen sind überfordert, sondern auch die Sozialpolitik. Immer mehr Menschen fühlen sich von ihr vollständig im Stich gelassen. Für jede noch so einfache Leistung muss jahrelang gekämpft werden, meist mit enttäuschenden Ergebnissen: Der Bafög-Regelsatz sieht immer noch eine Wohnpauschale von 250 Euro vor, während WG-Zimmer mittlerweile für mehr als das Doppelte vermietet werden. Der Hartz-IV-Satz ist viel zu niedrig berechnet und wird regelmäßig brutal unter das Existenzminimum gekürzt. Der Mindestlohn ist gerade so hoch, dass weder ein gutes Leben noch eine angemessene Rente finanzierbar sind. Mit einer solchen Politik des Mangels hinkt der deutsche Wohlfahrtsstaat dramatisch hinter der gesellschaftlichen Entwicklung hinterher.

Es gibt einen direkten Weg nach vorne. Die Digitalisierung kann zum Sprungbrett für eine zufriedenere Gesellschaft werden, wenn wir das Sozialsystem um einen entscheidenden Faktor ergänzen: Jeder Einzelne bekommt eine bedingungslose Existenzsicherung.

Wenn Menschen zu Bittstellern werden

Insbesondere Sozialdemokraten entgegnen gerne, dass wir erst einmal günstigen Wohnraum, mehr Kitaplätze oder einen besseren Zugang zu Bildung brauchen. Das steht absolut nicht im Widerspruch zum Bedingungslosen Grundeinkommen: Natürlich muss der Sozialstaat dringend seine Hausaufgaben machen! Er muss die öffentliche Infrastruktur ausbauen und die gerechte Teilhabe am technologischen Fortschritt garantieren. Das ist das Mindeste.

Behörden können mit ihren Formularen jedoch niemals die Komplexität der Lebensrealität abbilden. Sie können eine unberechenbare Zukunft nicht verwalten. Sie sabotieren im schlimmsten Fall das Wohlergehen der Menschen, wenn sie diese massenweise zu Bittstellern machen, bürokratisch kontrollieren und in schlechte Arbeit drängen.

Eine Zukunft ohne Angst

Ein Bedingungsloses Grundeinkommen ist für genau diese Komplexität erdacht. Es hilft jedem individuell, dort wo er ist. Es mildert die Angst vor der Zukunft. Es schützt Menschen vor der sozialpolitischen Wetterlage. Es macht das ganze Sozialsystem zu einer Plattform der Selbstbestimmung.

Menschen wollen ihr Leben würdevoll in die Hand nehmen. Die Aufgabe des Sozialstaats ist es, ihnen dafür die Chancen und die Sicherheit zu geben. Lasst uns also diese Vision verwirklichen: Ein Grundeinkommens-Gefühl für alle.

Grundeinkommen – Zukunftskonzept oder Utopie?

Am Montag, 8. Oktober, diskutiert Meera Zaremba im Willy-Brandt-Haus mit dem stellvertretenden SPD-Vorsitzenden Ralf Stegner über die Frage "Grundeinkommen – Zukunftskonzept oder Utopie?" Los geht es um 19 Uhr. Da die Anzahl der Plätze begrenzt ist, wird um Anmeldung unter Tel.: 030 / 252 99 871 oder E-Mail: info@vorwaerts-buchhandlung.de gebeten.

Lesen Sie hier die Replik von SPD-Vize Ralf Stegner.

Grundeinkommen – Utopie oder Zukunftskonzept?

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Kommentare

Grundeinkommen

In dem Artikel werden zahlreiche Misstände in unserer Gesellschaft aufgezeigt - Mißstände die auch und gerade durch die Schröderpolitik herbeigeführt wurden. Die Brüder und Schwestern im Geiste dieses Herrn bestimmen immer noch die Politik der SPD. Und nun wird der Popanz Digitalisierung angeführt - seit den 1980er Jahren erleben wir die computerisierung und roboterisierung in der Arbeitswelt, also ist das alles gar nix Neues. Damals würde Arbeitszeitverkürzung gefordert, und heute hält man es für links freigesetzte Menschen mit "Grundeinkommen" abzuspeisen um den resourcenverschlingenden kapitalistischen Konsumerismus aufrecht zu erhalten. Arbeitshetze, Stress, Überstunden, Burnout für die in Arbeit gehen davon nicht weg. Grundeinkommen forciert die Spaltung in Arbeitende und Grundeinkömmler aufdass die reale Spaltung in unten und oben nicht wahrgenommen wird, und gegen die gibt es nur ein Heilmittel: der gute alte Klassenkampf. Der DGB und die linken Parteien sind gefordert eine Gesellschaft zu gestalten, die den Bedürfnissen - auch nach sinnvoller Arbeit - der Menschen gerecht wird.

Freiheit

Mit dem Grundeinkommen hätte ich die Möglichkeit meinen Boss vor die Wahl zu stellen: Endweder du bezahlst mich gescheit oder ich nehme das BGE und gehe. Das wären also beste Vorraussetzungen für Arbeitskampf, für Klassenkampf. Und das beste dazu ich könnte das jederzeit ganz individuell machen ohne auf irgendeine Gewerkschaft oder Partei und deren Bürrokratien angewiesen zu sein. Müsste also nicht warten bis der DGB mal einen Streik beschließt (Was in der kleinen Firma wo ich maloche sowieso nie der Fall sein wird).

Nicht zuletzt würde das BGE auch denjenigen welche Teilzeit oder Selbständig arbeiten eine bessere Verhandlungspostion gegenüber dem Kapital bescheren. Das die Gewerkschaften das nicht wollen ist ja klar, die würden dann ja überflüssig und alle die schönen Verwaltungsposten wären dann weg.

Gerade in einer Individualistischen Neoliberalen Gesellschaft ist es daher wichtig das Individuum zu stärken, nicht institutionen. Genau das liese sich mit dem BGE realisieren.

von hinten, durch die Brust, ins Auge...

Hatte das Kind schon verschiedene Namen wie "negative Einkommenssteuer", "Ulmer Transfergrenzenmodell" oder "solidarisches Bürgergeld", gibt es jetzt verschiedene Anlässe. Humanitär der Anspruch auf ein menschenwürdiges Leben, ökonomisch die Besteuerung von Konsum, Geldverkehr oder einer unternehmerischen Sozialrendite, ökologisch die Besteuerung von natürlichen Ressourcen. Neu ist der Aspekt der Digitalisierung nicht, allerdings nicht so bekannt. Über die industrielle Mechanisierung und Automatisierung hinaus erreicht die Digitalisierung einen der geringsten Beschäftigungsgrade postmoderner Gesellschaften. Wenige hochspezialisierte [Neu-]Fachkräfte stehen nächst einer Masse von Altkräften und Ungelernten entgegen. Interessant sind hier nicht die Experimente wie Betroffene mit solchen Geldern umgingen, sondern wie der Leistungstransfer aus den verschiedenen Wirtschaftsbranchen simuliert wird. Dafür würde sich ein Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften wirklich lohnen, damit auch die mikro- wie makroökonomischen Wechselwirkungen bekannt werden sowie die außen- wie innenpolitischen Folgen. Bitte mal nicht von unten denken, sondern von oben. Wie sieht der Sozialstaat von morgen aus?

Völlig neue Wege

Es müssen in jedem Falle völlig neue Wege beschritten werden. Ob ein, wie auch immer geartetes, Grundeinkommen dazu beitragen kann, die Fragen der Zukunft im Bezug auf Arbeit zu beantworten, kann ein einzelner Mensch kaum beurteilen. Dazu sind so viele Aspekte und Gedankenmodelle nötig, dass man so etwas nur in der Gemeinschaft wird lösen können. Wen ich Gemeinschaft sage, dann meine ich natürlich 'die' Gemeinschaft, und nicht einen abgehobenen Kreis von elitären und industrienahen Experten. Es wird in jedem Falle sehr entscheidend sein, für die Zukunft der gesamten deutschen Bevölkerung, wie und wann wir die ersten Antworten auf all diese dringenden Fragen parat haben. Viel Zeit bleibt jedenfalls nicht, denn der Kessel kocht bereits an vielen Stellen über und ich spreche hier nicht nur von Vorfällen wie in Chemnitz. Das ist 'nur' eine der bisherigen Stilblüten von sozialer und menschlicher Verelendung. Echte Demokratie, die Freiheit eines jeden Einzelnen und die damit einhergehende Selbstbestimmung müssen bei der Entscheidungsfindung jedenfalls tragende Rollen spielen, sonst fällt das Kind in den tiefsten Brunnen den man sich vorstellen kann.

Eine Parteispitze, die den Eisberg nicht sieht oder sehen will !

Statt die tatsächlichen Probleme anzugehen, tut unsere Parteispitze den Neoliberalen den Gefallen und übernimmt unbedacht der dahinterstehenden rechten Strategie deren Themen. Heimat ist dort, wo es den Menschen gut geht, dabei ist Heimat für jeden ein individuell definierter Begriff (Ende der Diskussion). In unserem Land geht es vielen Menschen schon lange nicht mehr gut: den Befristeten, den Mietern, den Leiharbeitern, den Werkarbeitern, Arbeitslosen, den Kranken, den Pflegebedürftigen, den Alten, dem personell unterbesetzten Öffentlichen Dienst in Schule und der übrigen Verwaltung, den Gemeinden und der diesbezüglichen Daseinsvorsorge, kaputte Schulen und Straßen, eine unpünktliche Bahn, Hartz 4 Betroffene und sonstige Sozialhilfeempfänger, etc. Und unsere Parteispitze statt sich diesen drängenden Themen zu stellen und Maßnahmen zu ergreifen, geht den Rechten auf Leim und verschleppt die notwendige Erneuerung. Bei den PVs auf Bundes- und Landesebene kann man sich als einfaches Mitglied nur noch an den Kopf fassen (Zitat: „Ich kann gar nicht soviel fressen, wie kotzen könnte“), Entschuldigung, aber der Frust musste raus.

Wo ist meine Zeitmaschine ?

BGE war in den 1970ern kein Thema und aufgrund starker Arbeitnehmerrechte und wirksamer Gewerkschaften auch eher unnötig.
Heute braucht es lediglich die komplette Abschaffung der Epressungsmaschine Hartz IV.
- Sanktionsfreiheit
- Für realistische Alterssicherung taugliches "Schonvermögen"
- Auskömmlicher "Regelsatz"

Sicher wird es da "Mißbrauch" geben, es mag auch so sein das Menschen sich einfach aus dem Arbeitsleben zurückziehen wenn die Arbeitgeber noch weiter ihre heutzutage nahezu unbegrenzte Erpessungsmacht mißbrauchen wollen aber selbst wenn man diese Schiene lediglich 10 Jahre durchgehend fährt liegt darin eine Chance, die Agenda-Schäden zurückzubauen.

Leider nicht durchsetzbar mit den Seeheimern, die ein auf die Bedürfnisse der Lohndumpingfetischisten zugeschnittenes "Einwanderungsgesetz" vorbringen möchten, mit Allem, was der Lohndumper sich nur wünschen kann:

- Bezahlung und Beschäftigung unterhalb und ungeachtet der tatsächlichen Qualifikation
- Wegfall der Prioritätsprüfung für einheimische Facharbeiter
- 6 Monate Zeit, um den neuen Kollegen in die Schuldenfalle arbeiten zu lassen.

Applaus, liebe "Sozialdemokraten". Agenda 2020.

Grenzen der Gerechtigkeit

Die Grenzen der umsetzbaren Gerechtigkeit wird uns sicher wieder unsere Verfassung setzen. Möglicherweise muss, wenn nicht anders möglich, unsere Verfassung dahingehend verändert werden, dass der soziale Frieden nicht dadurch weiterhin massiv gefährdet wird, dass sich Reichtum, und damit auch Macht, einseitig verstetigt !
Ich denke, dass selbst gewiefte Steuerrechtsfachleute sich bisher noch nicht zutrauen, eine bis in´s Detail gehende Aussage zu einem gerechten Einkommensmodell in Zeiten von Klima-,Umweltbedrohung-, Robotertechn. und klaffender Scheren zwischen Arm und Reich zu machen ! Ideen und Begriffe werden voreilig diskreditiert, die fachliche Diskussion ist kaum entwickelt ! Siehe "bedingungsloses Grundeinkommen". (Gewerkschafter schlottern vor Angst um ihre Posten) Soziologen, Philosophen und progressive Wirtschaftswissenschaftler haben sich des Themas Grundeinkommen längst im positiven Sinne ermächtigt !
Ich als wirtschaftlicher Laie, denke mir: Vielleicht liegt der Stein der Weisen ja auch in einer Kombination von bedingungslosen und solidarischen Grundeinkommen, also ein bedingungsloses Grundeinkommen für Alle, aufgestockt mit einem solidarischen Grundeinkommen!?