Große Koalition beschließt Aufnahme minderjähriger Flüchtlinge aus Griechenland
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Die große Koalition ist sich einig darüber, dass gefährdete minderjährige Geflüchtete schnellstmöglich aus den griechischen Flüchtlingslagern geholt werden sollen. Im Beschluss ist die Rede von „1000 bis 1500 Kindern“, denen möglichst schnell geholfen werden soll. Es gehe dabei um Kinder, die entweder schwer erkrankt und dringend behandelt werden müssen oder als unbegleitete Minderjährige Geflüchtete in Griechenland angekommen sind. Die meißten der unter 14-Jährigen seien außerdem Mädchen. Der Koalitionsausschuss hatte am Sonntag bis spät in die Nacht getagt.
„Auf europäischer Ebene wird in diesen Tagen über eine humanitäre Lösung verhandelt“, heißt es in dem Beschluss der Koalition weiter. In einer „Koalition der Willigen“, sei auch Deutschland bereit, einen angemessenen Anteil von Geflüchteten aufzenehmen. Der migrationspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Lars Castellucci, zeigte sich in einer ersten Reaktion erfreut über die Lösung. Im gleichen Atemzug forderte er aber dauerhafte Lösungen.
Die SPD-Spitze zeigte sich einerseits erleichtert über die Einigung, kritisierte allerdings auch, dass es so lange gedauert hat: Parteivorsitzender Norbert Walter-Borjans sprach in Sozialen Medien von einem „harten Ringen“ um eine Lösung für die Geflüchteten und sprach von einem achtbaren Erfolg. Co-Vorsitzende Saskia Esken sagte im ZDF-Morgenmagazin, dass die Verhandlungen beschämend lange gedauert hätten. Der Ausschuss tagte nach Aussage von Esken bis tief in die Nacht, erst gegen drei Uhr wurde die Einigung verkündet.
Für die AG Migration und Vielfalt ist der Beschluss allerdings zu wenig. Die SPD-Arbeitsgemeinschaft forderte als erste Reaktion eine Lösung für alle Geflüchteten, die sich derzeit in den großen Flüchtlingslagern in Griechenland aufhalten. „Die Zustände auf den griechischen Inseln sind zutiefst menschenunwürdig“, heißt es in einer Stellungnahme zu den Ergebnissen des Koalitionsausschusses. Entweder solle eine Gruppe von EU-Staaten voranschreiten oder Deutschland notfalls eigene Schritte gehen, „sollte es keine kurzfristige Lösung geben“.
Kritik an EU und Griechenland
Darüber hinaus kritisiert die AG auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und die konservative griechische Regierung für ihr Vorgehen. Es könne nicht sein, dass ein Mitgliedsstaat auf Kosten der Menschenrechte seine Grenzen abriegele.
Die SPD hatte in den vergangenen Tagen darauf gedrängt, vor allem unbegleitete und akut gefährdete Minderjährige, die in den großen Flüchtlingslagern in Griechenland ausharren, nach Deutschland zu holen. Anders als die Grünen hatten die Sozialdemokraten aber auf eine europäische Lösung gedrängt statt eines deutschen Alleingangs. Die Situation an der EU-Außengrenze zur Türkei hatte sich noch einmal verschärft, nachdem der türkische Präsident Erdogan angekündigt hatte, die Grenze für Geflüchtete wieder zu öffnen – trotz des Flüchtlingspakts mit der EU.
Die SPD-Bundestagsfraktion sprach in ihrem Beschluss vom Mittwoch von einem „ersten und notwendigen humanitären Schritt“. Zu der „Koalition der Willigen“, an der sich Deutschland beteiligen will, werden nach ersten Informationen auch Portugal, Frankreich und Finnland gezählt. Weitere EU-Länder könnten sich dem Bündnis anschließen.
In Deutschland hatten sich schon im Vorfeld mehrere Bundesländer und Kommunen dazu bereit erklärt, Geflüchtete aufzunehmen. Niedersachsen gehörte zu den ersten Bundesländern, die Bundesinnenminister Horst Seehofer unter Druck gesetzt hatten, seine Zustimmung für eine Umsiedelung der Geflüchteten zu geben. Der Ablauf und die Organisation der Aufnahme der minderjährigen Geflüchteten soll laut Walter-Borjans nun in den nächsten Tagen geklärt werden.
Die nächsten Schritte
Nach der Einigung im Koalitionsausschuss ist allerdings noch unklar, wie eine Dauerhafte Lösung für die griechischen Flüchtlingslager aussehen könnte. „Die Lage erfordert unmittelbares Handeln", sagte Lars Castellucci am Montagabend dem „vorwärts". So wie derzeit könne es nicht weitergehen. Die Arbeitsgruppe Inneres der SPD-Fraktion fordere daher, die Leitung der Flüchtlingszentren in einem ersten Schritt auf den UNHCR zu übertragen. „Für die Einrichtung europäisch getragener Asylzentren sind Rechtsakte notwendig", erklärte Castellucci weiter. In Griechenland könnte ein EU-Asylzentrum als Pilotprojekt entstehen, hatte Castellucci schon am Donnerstag einen Plan skizziert. „Jetzt gilt es aber zunächst umgehend die Verabredungen aus dem Koalitionsausschuss umzusetzen.“ Seine Hoffnung: Die Maßnahmen könnten der Wiederbeginn gemeinsamen europäischen Handelns sein.
Aktuell würden auf den griechischen Inseln weiterhin rund 40.000 Geflüchtete verbleiben, schätzt Castellucci, „bei 19.000 Einwohnerinnen und Einwohnern", ergänzt der Bundestagsabgeordnete. „Die vorhandenen Kapazitäten sind seit Monaten überlastet. Die Menschen müssen umgesiedelt werden, wie das die griechische Regierung zugesagt hat, zunächst auf das Festland." Insgesamt dürfe Griechenland aber nicht länger allein gelassen werden. „Die europäischen Staaten müssen wieder einen Mechanismus zur Umsiedlung vereinbaren, der greift, sobald Staaten an der Außengrenze Überlastungen anzeigen", so der Sozialdemokrat weiter.
Entscheidend sei allerdings eine Nachverhandlung mit der Türkei, um Ordnung an der griechisch-türkischen Grenze zu bekommen. Noch eine andere Sache bereitet Castellucci Sorgen: Gegen die Umtriebe von Rechtsradikalen auf den griechischen Inseln, über die in den vergangenen Tagen berichtet wurde, hilft seiner Meinung nach nur ein starker Rechtsstaat: „Das ist eine bedrohliche Situation und zeigt, wie Rechtsradikale versuchen, staatliche Ordnung zu überwinden.“ Deswegen forderte er eine enge Zusammenarbeit mit den griechischen Behörden. Wenn jemand aus Deutschland ausreisen wolle, um anderswo die öffentliche Ordnung zu stören, müsse das Innenministerium im Zweifel die Ausreise untersagen. „Die Mittel dazu gibt es."