Meinung

Gorbatschows 90. Geburtstag: Dank an einen Wegbereiter der deutschen Einheit

Heute feiert Michail Gorbatschow seinen 90. Geburtstag. Für Markus Meckel ist er – im Gegensatz zur heutigen Führung Russlands – ein Staatsmann, der das Recht achtete, imperiale Gewalt ablehnte und so seiner eigenen Bevölkerung die Freiheit eröffnete.
von Markus Meckel · 2. März 2021
Ein Wegbereiter der deutschen Einheit: Michail Gorbatschow im Sommer 1990 bei einer Rede in Moskau.
Ein Wegbereiter der deutschen Einheit: Michail Gorbatschow im Sommer 1990 bei einer Rede in Moskau.

Mit Gorbatschow gratulieren wir einem der ganz großen Männer des 20. Jahrhunderts zum 90. Geburtstag. In hohem Maße ist es ihm und seinen Mitstreitern wie Alexander Jakowlew zu verdanken, dass der Kalte Krieg im Wesentlichen unblutig zu Ende ging, und wir Deutschen die Möglichkeit zur deutschen Einheit erhielten. Natürlich ist er nicht nur Lichtgestalt und Mythos, er wollte nicht den Kommunismus beenden und eine Demokratie errichten. Er war ein Suchender, oft genug ein Zauderer, der die Geduld anderer Reformer*innen auch arg strapazierte.

Er wollte etwas für die Menschen seines Landes tun

Als ich 1985 im „Neuen Deutschland“ seine ersten Reden las, merkte ich auf. Das waren nicht mehr die ideologisch geprägten Sprechblasen, sondern eine neue Sprache. Er selbst sprach vom notwendigen „Neuen Denken“. Er folgte – als erster an der Spitze der Sowjetunion – nicht mehr einer Ideologie, sondern wollte etwas für die Menschen seines Landes tun, das er am Abgrund sah – und dabei Mensch sein und bleiben. Er liebte seine Frau Raissa über alles, und zeigte es. Gorbatschow war ein Suchender, der sich den Realitäten stellte – und nach Auswegen und Lösungen suchte, die er für durchsetzbar hielt. Nicht selten irrte er – so wenn er den Kommunismus für reformierbar hielt. Wir können froh über diesen Irrtum sein. Ohne ihn hätte er sein Werk nicht mit Mut und Tatkraft beginnen können! Welche Gegenkräfte musste er nicht überwinden und versuchen, Menschen zu gewinnen – im eigenen Land wie im Westen. Viel ist ihm gelungen. Anfangs staunten wir, wie er versuchte, Lenin positiv von der späteren blutigen Geschichte abzusetzen, in unseren Augen ein problematisches Unterfangen.

Der Name Gorbatschow bleibt verbunden mit der Öffnung seines Landes, mit Aufbruch aus der Diktatur Richtung Freiheit und mit dem Freilassen der Satellitenstaaten der Sowjetunion. Er ließ die Kräfte der Gesellschaft frei gegen die Apparatschiks der herrschenden Partei. Der russische Politiker Jawlinski hat Recht: Er hatte den Käfig geöffnet! Nicht er ist dafür verantwortlich, was seine Nachfolger Jelzin und dann besonders Putin angerichtet haben, sowohl in der eigenen Gesellschaft wie in der Außenpolitik. Die beiden Tschetschenienkriege mit ihren verheerenden Folgen, wären mit Gorbatschow nicht möglich gewesen.

Eine historische Rede vor der UNO 1988

Gorbatschow beendete den Krieg in Afghanistan und mit ihm den internationalen Klassenkampf. Er unternahm erstaunliche Initiativen der Abrüstung, die den Westen zunächst verwirrten. Man erinnere sich an Helmut Kohls Goebbels-Vergleich. Er überwand das Schwarz-Weiß-Denken Ronald Reagans mit einer umwerfenden menschlichen Offenheit, die Vertrauen schuf. Seine Frau Raissa war ihm dabei eine wesentliche Hilfe. So gelang ihm ein Politikwandel und ein Maß an Abrüstung, das vorher undenkbar schien. Seine Rede vor der UNO im Dezember 1988 gehört in jedes Geschichtsbuch – und sollte von den gegenwärtigen Autokraten in Russland und anderen Teilen der Welt täglich gelesen werden. Da bekannte sich der führende Mann der Sowjetunion, die Ronald Reagan kurz zuvor noch dem Reich des Bösen zugeordnet hatte, zum internationalen Recht und den Menschenrechten, gestand den Satellitenstaaten das Recht der Wahl des sozialen Systems zu, also der Wahl der Gesellschaftsordnung und der Selbstbestimmung und kündigte den Abzug von 500 000 Soldaten aus Mitteleuropa an. Hier redete ein Mann, der nicht zuerst an die eigene Größe dachte, sondern an der Lösung der globalen Herausforderungen interessiert war – zum Wohle der Menschen im eigenen Land und weit darüber hinaus.

Gorbatschow erkannte, dass sein Land seine wirtschaftlichen Probleme nur in Kooperation mit dem Westen lösen konnte. Eigene wirtschaftliche Strategien hatte er nicht, sah durchaus manche Probleme des „Kapitalismus“ und hoffte weiterhin auf einen „Sozialismus“. Er sah keine Alternative und setzte auf westliche Hilfe und deren Einfluss auf das eigene Land.

Im Gegensatz zur imperialen Politik Putins

Gorbatschow wollte Freiheit für die Menschen (wenigstens schrittweise) – und hoffte gleichzeitig, die Sowjetunion erhalten zu können. Ein großer Irrtum. Für die meisten Nationen in der Sowjetunion war diese nach langjähriger Erfahrung ein Völkergefängnis, sie sahen Freiheit und nationale Selbstbestimmung nur in der Unabhängigkeit. Gorbatschows Verdienst ist es, dies am Ende zwar widerstrebend, aber doch anerkannt und die Gewalt gestoppt zu haben. Anders als der heutige Präsident Russlands lehnte er Gewalt zum Erreichen seiner Ziele ab!

Wir Deutschen verdanken dem heute 90-Jährigen, dass er unsere Selbstbestimmung und damit die Einheit Deutschlands akzeptierte – und sie so ermöglichte. Damit steht er im grundsätzlichen Gegensatz zur heutigen Führung Russlands, die zur imperialen Politik zurückkehrte und bereit ist, dafür Gewalt anzuwenden und die das Recht auf Selbstbestimmung, das wir Deutschen 1990 erhielten, bis heute für seine Nachbarn verweigert.

Was könnte man dem heutigen Russland mehr wünschen als eine Führungspersönlichkeit vom Format eines Gorbatschow, die das Recht achtet, imperiale Gewalt ablehnt und so Freiheit für die eigene Bevölkerung eröffnet.

Autor*in
Markus Meckel

geboren 1952 in Müncheberg, war 1989 Mitinitiator der SDP-Gründung. Als Vorsitzender der Ost-SPD und Außenminister der DDR war er eine der prägendsten Persönlichkeiten der Friedlichen Revolution 1989/1990.

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