Inland

Gewalt gegen Frauen: Wenn die eigenen vier Wände zum gefährlichen Ort werden

Weil die eigenen vier Wände zu häufig ein Gefängnis „aus Angst und Scham“ sind, wird jährlich weltweit am 25. Novmber gegen Gewalt an Frauen gekämpft. Auch die SPD ist dabei, denn Frauen „haben das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben frei von Manipulation und Gewalt“, betont Saskia Esken.
von Vera Rosigkeit · 25. November 2020

Fast jeden dritten Tag wird in Deutschland eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet. Und alle 45 Minuten wird – statistisch gesehen – eine Frau Opfer von vollendeter oder versuchter gefährlicher Körperverletzung durch Partnerschaftsgewalt. Für Bundesfrauenministerin Franziska Giffey „unfassbare Zahlen“, die zeigten, dass viel zu häufig die eigenen vier Wände ein gefährlicher Ort, „ein Gefängnis aus Angst und Scham“ seien. Das wolle sie im Bundesfrauenministerium ändern, erklärt die Minsiterin in einer Videobotschaft zum diesjährigen Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen. Mit diesem Vorhaben steht sie nicht alleine. Viele Akteurinnen und Akteure in Deutschland und in aller Welt setzen am Mittwoch ein Zeichen gegen Gewalt an Frauen.

Recht auf ein selbstbestimmtes Leben

Zum Beispiel SPD-Parteichefin Saskia Esken. Gemeinsam mit Generalsekretär Lars Klingbeil und der Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (ASF) Maria Noichl hisst sie vor dem Willy-Brandt-Haus eine Fahne für die Opfer, ein symbolischer Akt. Denn Frauen „haben das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben frei von Manipulation und frei von Gewalt“, so Esken. In der von Bundesministerin Franziska Giffey ins Leben gerufenen Initiative „Stärker als Gewalt“, die Aufklärung, Beratung und Hilfe bündele, sieht sie einen wichtigen Baustein dazu, den Kampf gegen Gewalt gegen Frauen zu verstärken. Hinzu komme das bundesweite Hilfetelefon, der Runde Tisch gegen Gewalt an Frauen und das Investitionsprogramm zum Ausbau der Frauenhäuser und Beratungsstellen. „Die SPD macht sich stark für eine Welt ohne Gewalt gegen Frauen“, betont Esken.

Frauen seien zudem besonders betroffen von digitaler Gewalt durch Hass-Kommentare im Netz, Cyberstalking oder heimlichen Aufnahmen, die online verbreitet werden, betont Lars Klingbeil. „Wir dürfen aber nicht zulassen, dass das Internet zum Angstraum für Frauen verkommt“, erklärt er. Helfen würden von der SPD initiierte Gesetzesinitiativen, „indem sie beispielsweise heimliche intime Aufnahmen wie das so genannte Upskirting verbieten“, sagt Klingbeil und macht klar: „Das Thema betrifft nicht nur Frauen, es geht uns alle an.“ Er fordert auf, einzugreifen, wer Zeuge von Gewalt gegen Frauen werde, sei es im Internet, auf der Straße oder im Hausflur. „Das Schlimmste, was wir den Opfern antun können, ist wegschauen und schweigen. Wer Opfer ist, trägt keine Schuld“, so Klingbeil.

Solidarität mit Frauen in Polen

Maria Noichl weist darauf hin, dass in Zeiten der Corona-Pandemie eine Zunahme der häuslichen Gewalt zu beobachten sei. Sie finde oft hinter verschlossenen Türen im eigenen Zuhause statt und betreffe alle gesellschaftlichen Gruppen und Herkünfte, betont sie. Die gleichstellungspolitische Sprecherin der Europa-SPD kritisiert, dass das Abkommen des Europarates gegen Gewalt an Frauen in vielen Ländern auf Halde bleibe. So verfolge die weitere Verschärfung des Rechts auf Schwangerschaftsabbrüche in Polen ihrer Meinung nach das Ziel, „Frauen wieder an ihren traditionellen Platz, in das Private, zurückzuweisen“. Noichl kündigt an, die Rückschritte nicht schweigend hinnehmen zu wollen. „Wir Schwestern der Frauen in Polen werden an ihrer Seite stehen, bis ihnen und uns keine Grundrechte mehr abgesprochen und genommen werden.“

Das zivilgesellschaftliche Bündnis Istanbul-Konvention (BIK) kritisiert, dass trotz wichtiger Initiativen des Bundesfrauenministeriums es noch immer an ganzheitlichen politischen Maßnahmen und einer Koordinierungsstelle zur Umsetzung der Istanbul-Konvention mangele. Das Bündnis aus über 20 der wichtigsten Frauenrechts- und Gewaltschutzorganisationen setzt aber große Hoffnung in die Monitoringstelle, mit der das Bundesfrauenministerium die Vorgaben der Istanbul-Konvention noch gezielter umsetzen will und deren Konzept gerade entwickelt werde. Die Bundesregierung fordert das Bündnis auf, Gewaltschutz über die Ressorts hinweg zur politischen Priorität zu machen.

Covid-19-Pandemie: Anstieg häuslicher Gewalt befürchtet

Die Frauengruppe (Bund) der Gewerkschaft der Polizei (GdP) beklagt, dass drei Jahre nach Ratifizierung der Istanbul-Konvention weiterhin flächendeckende Beratungsstellen fehlten. Zur Einrichtung von Gewaltschutzambulanzen bedürfe es einer eigenständigen bundesgesetzlichen Regelung, die derzeit nicht gegeben sei, erklärt Elke Gündner-Ede, Mitglied des Geschäftsführenden GdP-Bundesvorstandes. Sie fordert: „Insbesondere für die von Gewalt betroffenen Migrantinnen müssen Regelungen getroffen werden, die unabhängig vom Aufenthaltsstatus, die Unterbringung in einer Schutzeinrichtung sicherstellen“. Die GdP-Bundesfrauenvorsitzende Erika Krause-Schöne betont, dass häusliche Gewalt keine Privatsache sei, sondern eine Straftat: „Zwar liegen noch keine bestätigten Zahlen von Fällen häuslicher Gewalt während des Lockdowns in diesem Jahr vor, jedoch ist ein massiver Anstieg häuslicher Gewalt insbesondere in diesem Zeitraum zu befürchten“, sagt sie.

Auch die Vorsitzende des Marie-Schlei-Vereins, Christa Randzio-Plath, geht davon aus, dass die Covid-19-Pandemie Gewalt gegen Frauen verschärfe. „Jeden Tag soll eine Frau in lateinamerikanischen Staaten an Partnergewalt sterben“, heißt es hierzu in einer Pressemitteilung. Frauen in Peru oder Nicaragua setzten auf Widerstand durch Netzwerke und eigene Projekte. „Sie empowern sich und lassen sich nicht wegdrängen.“ In Afrika seien Frauen in der Covid-19-Krise inzwischen Mittlerinnen des Wandels, sagt die ehemalige Entwicklungsministerin.

ILO-Konvention 190: Gegen Gewalt am Arbeitsplatz

Stefanie Nutzenberger vom Vorstand der Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di kritisiert, dass einige Länder in der EU eine Beschlussfassung gegen Gewalt am Arbeitsplatz blockierten. Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) hatte 2019 mit ihrer „Konvention 190“ erstmals ein internationales Übereinkommen gegen Gewalt am Arbeitsplatz beschlossen, das eine weltweit gültige Definition von sexualisierter Belästigung und Gewalt festgelegt habe. „Der Europäische Rat der Staats- und Regierungschefs muss die EU endlich ermächtigen, die ILO-Konvention zu ratifizieren“, fordert ver.di. Denn gerade berufstätige Frauen seien zusätzlicher Aggressivität am Arbeitsplatz sowie Zuhause ausgesetzt.

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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