Gestohlene Stolpersteine in Berlin-Neukölln: Wunden im Gehweg
Raphael Huenerfauth/photothek.net
Erst waren es sieben, später 13, nun fehlen bereits 16 im Bezirk Neukölln verlegte Stolpersteine: Die Serie von mit Gewalt aus dem Gehwegpflaster gerissenen Gedenksteinen findet kein Ende. Weil die Steine der Erinnerung an Verfolgte des Nationalsozialismus gewidmet sind und die Serie nur wenige Tage vor dem 79. Jahrestag der Reichspogromnacht am 9. November ihren Anfang nahm, vermuten Anwohner und Polizei rechtsextrem motivierte Täter hinter den Diebstählen.
Zuspruch und Spenden für Stolperstein-Initiative
Während die Suche nach den Verantwortlichen läuft, ist eines jetzt schon klar: Ihr mutmaßliches Ziel, das Gedenken an die Gräueltaten des Nazi-Regimes zu verhindern, haben sie verfehlt. Das Gegenteil ist der Fall: Weil bereits die ersten Meldungen gestohlener Stolpersteine rasante Verbreitung fanden und Boulevardmedien wie die „B.Z.“ den geraubten Stolpersteinen großen Platz einräumten, ist das Gedenken lebendiger denn je. „Wir haben in den vergangenen Tagen sehr viel Zuspruch bekommen. Sicher ist, dass die Finanzierung der gestohlenen Stolpersteine kein Problem darstellen wird“, erklärte dazu Sören Schneider, Mitarbeiter der Koordinierungsstelle Stolpersteine in Berlin. Am Mittwochabend veröffentlichte die Stolperstein-Initiative auf Twitter folgende Meldung:
Zu den ersten, die ihre Solidarität mit der Initiative zum Ausdruck brachte, zählte Sawsan Chebli. Die Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement und Internationales beim Berliner Senat spendete 120 Euro und sicherte somit die Erneuerung eines der Steine.
Die beiden Linken-Politiker und Mitglieder des Abgeordnetenhauses, Anne Helm und Niklas Schrader, taten es ihr gleich, sicherten via Twitter ebenfalls die Finanzierung zweier Steine zu.
Zeitgleich hatte der für das Stolperstein-Projekt verantwortliche Künstler Gunter Demnig angekündigt, die „Wunden im Gehweg“ so schnell wie möglich schließen zu wollen.
Aufruf zum Gedenken
Fritz Felgentreu, SPD-Bundestagsabgeordneter mit Wahlkreis in Berlin-Neukölln, reagierte auf Facebook. Er bezeichnete den Diebstahl der Stolpersteine als Schändung von Gedenkorten und nannte sie eine „zweite Verfolgung derselben Menschen, diesmal ihres Andenkens.“ Felgentreu rief dazu auf, die Gedenkveranstaltung der Bürgerinitiative „Hufeisern gegen Rechts“ zu unterstützen und gemeinsam der Opfer des Nationalsozialismus zu gedenken.
Fortsetzung rechtsextremer Gewaltserie
Aller Solidarität zum Trotz steht fest: Der Berliner Bezirk Neukölln hat ein ernsthaftes Problem mit Nazi-Gewalt. Beobachter sehen in der offenbar koordinierten Aktion gegen die Stolperstein-Initiative die Fortsetzung einer offensichtlich rechtsextrem motivierten Anschlagsserie im Bezirk. So wurden in der Vergangenheit wiederholt Aktivisten aus Zivilgesellschaft und Politik attackiert, Autos angezündet oder Treffpunkte angegriffen. Bei der Suche nach den Verantwortlichen für die Taten tappt die Polizei, die zwischenzeitlich eine Ermittlungsgruppe eingerichtet hatte, weiter im Dunkeln.
Auf einen möglichen Zusammenhang zwischen der Diebstahlsserie und politischen Forderungen der AfD verwies unterdessen der Verband der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA). Demnach hatte die AfD in der Neuköllner Bezirksverordnetenversammlung erst im vergangenen Oktober gefordert, das Bezirksamt solle jegliche Unterstützung für Stolpersteinverlegungen einstellen. Zwar blieb der Antrag erfolglos, dennoch diene die AfD damit als „Stichwortgeber für die Täter aus dem Umfeld der Berliner NPD“, so die VVN-BdA. Die Initiative „Hufeisern gegen Rechts“ ergänzte: „Es ist durchaus denkbar, dass die Neuköllner rechte Szene sich als Vollstreckerin der AfD-Ideen versteht.“