Inland

Im Gespräch mit Windkraft-Pionier: Warum das EEG reformiert werden muss

Enertrag-Chef Jörg Müller spricht sich für eine Reform des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes aus, ist aber gegen eine komplette Abschaffung. Die Zukunftsmissionen der SPD sind aber das richtige Signal, lobt der Windkraft-Pionier. Beschäftigten der Kohle- und Atomindustrie macht er Hoffnung.
von Benedikt Dittrich · 3. März 2021
Seit 2011 betreibt Enertrag in der Uckermark in Brandenburg ein Hybridkraftwerk, in dem aus überschüssiger Windenergie Wasserstoff gewonnen werden kann.
Seit 2011 betreibt Enertrag in der Uckermark in Brandenburg ein Hybridkraftwerk, in dem aus überschüssiger Windenergie Wasserstoff gewonnen werden kann.

Herr Müller, wenn Sie sich ein Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) 2.0 wünschen könnten, was würde da drinstehen?

Wünschenswert wäre wieder mehr Einfachheit. Das EEG ist ja 1991 als Stromeinspeisungsgesetz mit ganz wenigen Seiten gestartet. Die festen Vergütungen für die wenigen Erneuerbaren-Anlagen, die es damals gab, waren die günstigste Lösung. Hätten man damals schon einen CO2-Preis eingeführt, der die Kohlekraftwerks-Förderung ausgeglichen hätte, wäre das viel teurer geworden.

Heute, wo die Erneuerbaren mehr als die Hälfte des Strommarkts ausmachen, sieht das anders aus. Eine Abschaffung des EEG zum jetzigen Zeitpunkt halte ich aber dennoch für bedenklich, weil es die Energiewende gefährden würde. Die Planungssicherheit, die das EEG mit sich bringt, ist sehr wichtig. Aber man könnte von Jahr zu Jahr den Anteil der fest vergüteten Strommengen verringern, bis alle im Markt angekommen sind. Die Kosten der fossilen Energien sind viel höher als die von erneuerbaren Energien. Außerdem werden erneuerbare Energien mit dem zunehmenden Ausbau immer noch günstiger. Denn am Ende muss Strom billig werden und CO2 teurer.

Also müssen fossile Energieträger noch teurer werden?

Ja, es ist das richtige Signal, diejenigen Energieträger zu belasten, die wir loswerden müssen. Seit Dezember gibt es ja erstmals auf alle Energieträger einen CO2-Preis. 25 Euro pro Tonne sind noch nicht viel. Aber der Preis wird noch weiter deutlich steigen müssen, ohne dass dabei Verbraucher mehr belastet werden. Das ist der richtige Weg in ein erneuerbares Energiesystem, das zukünftig ohne CO2 auskommt.

DNR-Präsident Kai Niebert hat im Gespräch mit dem „vorwärts“ vor einer Versorgungslücke gewarnt, wenn Energieunternehmen ihre Kohlekraftwerke deswegen vorzeitig stilllegen wollen. Teilen Sie diese Befürchtung?

Ja, die ist grundsätzlich berechtigt. Wir erzeugen heute zwischen 200 und 250 Terawattstunden erneuerbaren Strom. Wir brauchen aber etwa 1200 Terawattstunden im Jahr 2050 – also etwa das fünffache. Wir brauchen also 5 bis 6 Gigawatt Windenergie und 12 Gigawatt Photovoltaik jedes Jahr zusätzlich. So schleichend, wie der Ausbau gerade vor sich geht, ist das tatsächlich nicht zu schaffen.

Deswegen den Kohleausstieg zu verschieben, nützt uns aber nichts. Wir brauchen einen schnelleren Ausbau und die Politik muss den Mut haben, schneller voranzugehen und endlich mit dem Märchen aufzuräumen, dass erneuerbare Energien teuer seien. Das stimmt einfach nicht. Kohle und Kernkraft sind teuer.

Welche Rolle spielt dabei Wasserstoff, der jetzt in aller Munde ist?

Neu am Wasserstoff ist eigentlich nichts. Aber ich hätte vor 30 Jahren nicht mit erneuerbaren Energien angefangen, wenn ich nicht gewusst hätte, dass wir mit Wasserstoff eine günstige Möglichkeit zur langfristigen Energiespeicherung haben. Wir brauchen zwar die Stromleitungen in den Süden, um die Atomkraftwerke, die dort wegfallen, zu ersetzen. So viel Potenzial für Erneuerbare, insbesondere Windenergie, haben wir dort vor Ort nicht. Aber die Fluktuation der Erneuerbaren müssen wir sinnvoll für die Wasserstoffherstellung nutzen. Wasserstoff kann viel günstiger als Strom transportiert werden. Außerdem kann man die Energie nirgends so günstig speichern wie in Wasserstoff.

Nun ist das Hybridkraftwerk, mit dem Enertrag grünen Wasserstoff herstellt, vergleichsweise klein. Was wäre nötig, um im industriellen Maßstab grünen Wasserstoff zu produzieren?

Die technischen Voraussetzungen dafür haben wir. Es fehlt aber die richtige Balance: Strom ist ungerechtfertigter Weise mit hohen Abgaben und Umlagen belastet, Erdgas kaum. Deswegen können wir uns mit Wasserstoff-Elektrolyse aus erneuerbaren Energien am Markt noch nicht behaupten. Die Voraussetzung ist wieder: CO2 muss teurer und der grüne Strom zur Wasserstoffherstellung muss billiger werden

Dieser Wandel bedeutet auch, dass die Arbeitsplätze in der fossilen Energieerzeugung verloren gehen. Gibt es für die Beschäftigten eine Zukunft bei den Erneuerbaren?

Den typischen Steinkohlekumpel, der am Presslufthammer stand, den gibt’s ja schon lange nicht mehr. In der fossilen Energiewirtschaft arbeiten heute gut ausgebildete Leute. Die brauchen wir auch bei den Erneuerbaren. Wir haben genauso Generatoren, Maschinen und Transformatoren im Einsatz. Außerdem brauchen wir sogar mehr Beschäftigte, weil wir die Energie dezentral auf der Fläche gewinnen und nicht zentral in einer Grube. Wir verlagern sogar Arbeitsplätze ins Inland, weil wir zurzeit noch einen Großteil der Energieträger in Form von Gas und Öl importieren. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand, der etwas von Energie versteht, in einer erneuerbaren Welt keine Zukunft hat.

Stichwort Zukunft: Windkraftanlagen sind in den vergangenen Jahren immer größer und effizienter geworden. Ist da noch Luft nach oben oder haben wir das Ende erreicht?

Wir sind mit Anlagen gestartet, die 0,2 Gigawatt pro Jahr erzeugt haben. Jetzt bauen wir Maschinen, die schaffen 20, also hundert Mal mehr. Ich denke, wir werden noch Anlagen sehen, die 30 schaffen. Ob es dann noch weitergeht, das weiß ich nicht. Wenn wir aber ganz grob rechnen, dass wir von der künftig benötigten Energiemenge die Hälfte aus Windkraftanlagen gewinnen und jede Anlage 20 Gigawatt produziert, dann brauchen wir nur etwa so viele Anlagen, wie wir jetzt schon haben.

Trotzdem ist ja noch viel zu tun. Hätten Sie sich mit Blick auf die Zukunftsmissionen an irgendeiner Stelle noch mehr Unterstützung von der SPD erhofft?

Erstmal ist es sehr gut, was da passiert. Energiewende und Klimapolitik in den Mittelpunkt zu stellen, ist genau das Richtige für unser Land. Wir müssen uns um den Klimawandel kümmern. Daher sind die Ziele für die Stromerzeugung bis 2040 notwendig. Was wir uns noch wünschen würden, wäre ein genaueres Verständnis für die notwendige Akzeptanz vor Ort. Es reicht nicht, den Kommunen Geld zu geben. Es wäre viel wichtiger, den Menschen in der Nähe von Wind- und PV- Anlagen günstig Energie anzubieten. Warum sollen die, die täglich die Anlagen sehen, nicht direkt davon profitieren? Wenn zum Beispiel die Heizkosten durch die Nutzung von Windstrom zur Wärmeerzeugung halbiert werden, dann ist das spürbar.

Zur Person: Jörg Müller ist Vorstandsvorsitzender der Enertrag AG. Das 1993 in Brandenburg gegründete Unternehmen baut, betreibt und überwacht Windkraftanlagen mit Schwerpunkt in Deutschland und Europa.

Autor*in
Benedikt Dittrich

war von 2019 bis Oktober 2022 Redakteur des „vorwärts“.

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