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Geschichte der Gleichberechtigung: Von Peinlichkeit zu Peinlichkeit

Das Gleichberechtigungsgesetz gibt es erst seit 60 Jahren. Der Weg zur gesetzlichen Gleichberechtigung von Frauen und Männern war lang – und gepflastert von Beschämungen.
von Renate Faerber-Husemann · 27. Juni 2018
Frauentag
Frauentag

Erzählt man heute jungen Frauen, wie es in der frühen Bundesrepublik mit der Gleichberechtigung war, reagieren sie mit ungläubigem Kopfschütteln. Zwar stand im Artikel 3 des Grundgesetzes der Satz: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ Doch an den entsprechenden Gesetzen fehlte es noch fast zehn Jahre lang. Erst am 1. Juli 1958, also vor 60 Jahren, konnte ein erstes Gesetz in Kraft treten. Und das war nicht dem Bundestag zu verdanken, sondern dem Bundesverfassungsgericht.

Man habe wichtigere Sorgen, wurde den Frauen bedeutet, die während des Krieges den Alltag in Gang gehalten, die Kinder großgezogen und in Fabriken und in der Landwirtschaft geschuftet hatten. Gerade noch als „Trümmerfrauen“ gepriesen, wurde ihnen nun unterstellt, sie nähmen Familienvätern Arbeitsplätze weg.

Die Politik im gerade zur provisorischen Hauptstadt gewählten Bonn war ein Spiegelbild dieser gesellschaftlichen Realität. Mit Tricks wehrten sich parteiübergreifend viele Politiker, dass im Bürgerlichen Gesetzbuch festgeschrieben wurde, was seit 1949 Verfassungsrang hatte. Erst das höchste Gericht erzwang eine Debatte im Bundestag, an deren Ende 1954 ein Gesetzentwurf stand – der aber dem Grundgesetz erneut Hohn sprach.

Haushaltsführung bleibt Frauensache

Darin wurde zwar bestätigt, dass der Grundsatz der Gleichberechtigung gelte, dann aber kam gleich die Einschränkung, dass dies nicht zum Schaden der Familie gereichen dürfe. Bei Meinungsverschiedenheiten sollte der Ehemann das letzte Wort behalten. Berufstätig durfte die Gattin nur sein, wenn dadurch ihre Pflichten als Mutter und Ehefrau nicht beeinträchtigt würden. Erste Aufgabe der Ehefrau sei die Haushaltsführung, bekräftigte die neunzigprozentige Männermehrheit im Bundestag.

Die Auseinandersetzungen hatten schon im Parlamentarischen Rat während der Arbeit am Grundgesetz begonnen. Statt des klaren Satzes „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ (um den selbst konservative Zeitungen auf Seiten der Frauen kämpften!), hatten die Männer sich folgende schlaue Formulierung ausgedacht: „Das Gesetz muss Gleiches gleich, es kann Verschiedenes nach seiner Eigenart behandeln.“

Doppelverdienergesetz verschärft Ungleichheit

Es war vor allem die „Verfassungsmutter“ Elisabeth Selbert, SPD, die erfolgreich den Widerstand gegen diese Peinlichkeit organisierte. Doch an der Lebensrealität der Frauen, die wie unmündige Kinder behandelt wurden, sobald sie heirateten, änderte sich bis zum 1. Juli 1958 gar nichts. Und auch dieses dann endlich verabschiedete Gesetz wurde vom Bundesverfassungsgericht bald wieder kassiert.

Denn das sogenannte Gleichberechtigungsgesetz war in Wahrheit keines: Der Ehemann konnte das Arbeitsverhältnis seiner Frau kündigen, sie aber umgekehrt zu einer außerhäuslichen Arbeit zwingen. Ein sogenanntes Doppelverdienergesetz erlaubte die Entlassung verheirateter Beamtinnen.

Der Stichentscheid des Ehemannes, der erst 1959 und wieder durch das Bundesverfassungsgericht gekippt wurde, gab Männern das letzte Wort in allen Fragen des gemeinsamen Lebens: Ob man ein Haus baute oder eine Waschmaschine auf Raten kaufte, ob der Wohnort gewechselt wurde oder die Kinder aufs Gymnasium durften, ob pflegebedürftige Angehörige in den Haushalt aufgenommen wurden – stets entschied der Mann, und die Frau hatte sich zu fügen.

Zementierung alter Rollenbilder

Auch wenn es nach dem Urteil von 1959 mit diesem Unsinn vorbei war, wurden weiterhin alte Rollenbilder zementiert. Denn nun hieß es: „Die Frau führt den Haushalt in eigener Verantwortung. Sie ist berechtigt, erwerbstätig zu sein, soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar war.“

In der DDR war man in Sachen Frauenrechten ein ganzes Stück weiter. Schon 1953 wurde dort ein „Gesetz über die Rechte der Frauen“ verkündet, das vor allem den Alltag von Müttern leichter machte. Trotz Kind konnten junge Frauen in Ruhe studieren und dank einer damals schon flächendeckenden Kinderbetreuung arbeiten. Die Verantwortung für die Familie wurde als gesellschaftliche Aufgabe gesehen.

Im westlichen Teil Deutschlands veränderte sich die Frauenwelt erst in den in den späten 60er Jahren. Jugendprotest, Frauenbewegung und die Pille hoben das spießige, frauenfeindliche Familienbild aus den Angeln. Während der sozialliberalen Koalition (ab 1969) wurde das gesamte Ehe- und Scheidungsrecht grundlegend reformiert. Endlich war Schluss mit der gesetzlich normierten Hausfrauenehe.

Kinder, Karriere – und Burnout

Und heute? Auf dem Papier ist alles geregelt. Frauen können Bundeskanzlerin oder Parteivorsitzende werden. Doch wenn sie wirklich Karriere machen und dennoch Kinder haben wollen, leben sie ständig am Rande der Erschöpfung – und mit dem Rabenmutter-Vorwurf. Die frühere Frauen- und Familienministerin Renate Schmidt, SPD, hat das vor vielen Jahren auf den Punkt gebracht. Die Frauenfrage ist für sie eine Männerfrage, denn: „In Schweden kann sich ein leitender Angestellter leisten, um 15 Uhr zu sagen: Ich muss jetzt meine Kinder aus der Kita abholen und das wird akzeptiert. Bei uns wird gesagt: So ein Waschlappen, das soll doch seine Frau machen.“

Autor*in
Renate Faerber-Husemann

(† 2023) war freie Journalistin in Bonn und Erhard-Eppler-Biografin.

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