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Gerechte Nettolöhne: Wie Lohnsteuerklasse V Frauen benachteiligt

Eine Studie zeigt, dass Steuerklasse V zu Nachteilen beim Nettolohn und bei Arbeitslosen-, Eltern- oder Krankengeld führt. Davon betroffen: vor allem Frauen. Über Vor- und Nachteile unterschiedlicher Steuerklassen ein Interview.
von Vera Rosigkeit · 17. August 2020

Das deutsche Steuerrecht kennt sechs Lohnsteuerklassen. Frau Spangenberg, gemeinsam mit zwei weiteren Wissenschaftlerinnen haben Sie in einer Studie nachgewiesen, dass die Lohnsteuerklasse V eine Geschlechterdiskriminierung darstellt. Warum sind denn so viele Frauen in Lohnsteuerklasse V?

Viele Ehepaare entscheiden sich für die Steuerklassenkombination III/V,  weil so die monatliche Steuerbelastung für den Haushalt am niedrigsten und das Nettohaushaltseinkommen am höchsten ausfällt. Das gilt aber nur dann, wenn die Ehepartner*innen mit dem niedrigeren Einkommen in Steuerklasse V sind. Und das sind aufgrund der deutlichen Einkommensunterschiede zwischen Frauen und Männern meist die Ehefrauen. Nach Zahlen von 2015 verdienen bei den abhängig Beschäftigten, die verheiratet sind und das Ehegattensplitting in Anspruch nehmen, Frauen im Durchschnitt 25.000, Männer 49.000 Euro. Nur in 20 Prozent aller Ehen verdienen Frauen mehr als 60 Prozent des gemeinsamen Einkommens. Das heißt, die Verteilung zwischen den Steuerklassen ergibt sich aus der Verteilung der Einkommen innerhalb der Ehe.

Es hat aber auch mit Rollenverteilungen zu tun. Bekommt ein Ehepaar ein Kind, ist es in der Regel die Frau, die in Elternzeit geht. Dann macht es finanziell Sinn, dass der Mann während dieser Zeit in Lohnsteuerklasse III ist. Geht die Frau zurück in die Erwerbstätigkeit, handelt es sich häufig um eine Teilzeitbeschäftigung, die soweit sie überhaupt steuerpflichtig ist, der Einfachheit halber nach Steuerklasse V besteuert wird.

Nun geht bei Beschäftigten mit Lohnsteuerklasse V viel Geld verloren, wenn sie z.B. in Kurzarbeit sind, Arbeitslosen- oder Krankengeld oder Elterngeld beantragen. Wie kann das sein?

Lohnersatzleistungen orientieren sich am monatlichen Nettoeinkommen. Und das fällt wegen der hohen Steuerabzüge in Lohnsteuerklasse V sehr viel geringer aus. So wird beispielsweise der Grundfreibetrag, der ja die Steuerlast vermindert, in Steuerklasse III berücksichtigt. Dadurch zahlt die Ehefrau einen Teil der Lohnsteuer ihres Ehemannes mit und ihr Nettolohn fällt unverhältnismäßig niedrig aus. Das ungerechte daran ist, dass verheiratete Frauen selbst bei gleichem Bruttolohn und sogar gleichen Beiträgen in die Arbeitslosen- oder Krankenversicherung, erheblich geringere Lohnersatzleistungen beziehen als verheiratete Männer, die in der Regel in Steuerklasse III sind. Die Unterschiede können zu Unterschieden in Höhe von mehreren hundert Euro führen.

Ist das ein Grund, warum verheiratete Frauen auf sozialversicherungspflichtige Jobs verzichten, weil sich das aufgrund des Splittings nicht rechnet?

Es sind mehrere Regelungen, die diesen Trend unterstützen. Das Ehegattensplitting und  die Steuerklasse V führen dazu, dass sich die Erwerbstätigkeit von Ehefrauen finanziell weniger lohnt. Hinzu kommt, dass erwerbsbedingte Kinderbetreuungskosten nur begrenzt absetzbar sind. Gerade bei Paaren, die ein Kind bekommen haben, wählen viele Ehefrauen deshalb erstmal eine geringfügige Beschäftigung, denn die ist steuerfrei und mindert deshalb den Steuervorteil des Ehegattensplittings nicht. Zudem kann die beitragsfreie Mitversicherung  in der Krankenkasse mitgenutzt werden. Aus dieser Minijobfalle wieder heraus zu kommen, ist schwierig. Denn sobald das Einkommen über 450 Euro hinausgeht, muss es nicht nur regulär versteuert werden. Auch der Splittingvorteil sinkt, Sozialversicherungsbeiträge und Kindergartengebühren sind zu zahlen. Häufig stellt sich dann die Frage, ob sich das finanziell überhaupt lohnt.

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Nach ihrer Analyse werden aber nicht nur verheiratete Frauen, sondern auch unverheiratete Eltern und Alleinerziehende benachteiligt. Können Sie das erklären?

Nehmen wir als Beispiel das Elterngeld, das Eltern die Möglichkeit geben soll, ihre Erwerbstätigkeit zu unterbrechen oder einzuschränken, egal ob alleinerziehend oder verheiratet. Das Elterngeld ersetzt dabei den wegfallenden Lohn des Elternteils, der in Elternzeit geht. Ehepaare haben hier die Möglichkeit die Steuerklassen zu tauschen und können so das später wegfallende Einkommen der Person mit dem geringeren Einkommen, also in der Regel der Ehefrau fiktiv erhöhen. Damit steigt auch das Elterngeld, weil es nach Steuerklasse III berechnet wird. Das klingt gut für verheiratete Frauen. Aber Frauen, die ein Kind bekommen ohne verheiratet zu sein, haben diese Option nicht. Das Elterngeld für das erste Kind wird nach Lohnsteuerklasse I, das zweite dann nach Lohnsteuerklasse II für Alleinerziehende berechnet. Hier fällt das Elterngeld bei gleichem Bruttolohn aber immer geringer aus als in Lohnsteuerklasse III.

So fließen über die Berechnung von Lohnersatzleistungen anhand der Steuerklasse ehebezogene Vorteile aus dem Steuerrecht in die Berechnung von Sozialleistungen ein, obwohl sie dort nichts zu suchen haben. Damit werden unverheiratete Eltern und Alleinerziehende benachteiligt. Ein Verstoß gegen den Schutz der Familie in Artikel 6 des Grundgesetzes.

Was schlagen Sie vor?

Wir schlagen vor, die Lohnsteuerklasse V zu streichen, damit Frauen den Nettolohn erhalten, der ihrem individuellen Bruttolohn entspricht. Zudem sollen Lohnersatzleistungen künftig anhand von Lohnsteuerklasse I oder IV berechnet werden, damit Elterngeld, Krankengeld oder Arbeitslosengeld bei gleichem Bruttolohn und gleichen Beiträgen gleich hoch ausfallen, egal ob jemand alleinerziehend oder verheiratet, Mann oder Frau ist. Das ist übrigens nicht unüblich. Bei Selbständigen wird das Elterngeld bereits jetzt schon fiktiv über die Steuerklasse IV berechnet, unabhängig davon, ob sie verheiratet sind oder nicht. Das ist eine gerechtere Berechnung von sozialen Leistungen.

Gibt es dazu Beispiele aus anderen Ländern?

Beim Ehegattensplitting schaut man z.B. nach Großbritannien und häufig nach Schweden oder auch Österreich, die eine Individualbesteuerung eingeführt haben. Zahlen belegen, dass die Erwerbstätigkeit von Frauen in diesen Ländern sehr viel höher ist.

Das Ehegattensplitting ist also eine Bremse?

Es ist eine Bremse durch die negativen Erwerbsanreize. Wir haben in unserer Studie aber nicht auf die Erwerbsanreize geschaut, sondern darauf, was im Portemonaie ankommt. Und das ist sehr ungerecht. Es wird zwar häufig behauptet, dass es egal ist, wer das Geld verdient, weil es in eine gemeinsame Kasse fließt. Aber in vielen Ehen macht es doch einen Unterschied, wie hoch der individuelle Lohn und das individuelle Arbeitslosengeld sind.

Unsere Reformvorschläge würden auf sehr einfache Weise zu gerechteren Nettolöhnen und Lohnersatzleistungen führen, auch ohne das Ehegattensplitting abzuschaffen. Die Reform des Lohnsteuerverfahrens hat derzeit wohl sehr viel mehr Chancen auf Erfolg, als die Reform des Ehegattensplittings.


*Ulrike Spangenberg ist promovierte Juristin und arbeitet seit 2003 als Wissenschaftlerin, Beraterin und Dozentin zu gleichstellungs- und antidiskriminierungsrechtlichen Anforderungen im nationalen, europäischen und internationalen Recht. Zu ihren Arbeitsschwerpunkten gehören u. a. die Themen Steuern und Soziale Sicherung. 

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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