Gaskrise: Wie die Europäische Union gemeinsam Energie sparen will
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Die Gas-Importe aus Russland sind in den vergangenen Monaten immer weiter gesunken, nun dreht Wladimir Putin offenbar den Gashahn noch weiter zu: Ab Mittwoch, dem 27. Juli, soll die Pipeline „Nord Stream 1“ nur noch zu 20 Prozent ausgelastet werden, statt bisher 40 Prozent, wie der russische Staatskonzern Gazprom jüngst angekündigt hatte.
Auf die immer weiter sinkenden Gas-Importe aus Russland reagiert die Europäische Union nun: Die Nationen haben sich gemeinsam darauf verständigt, gemeinsam Gas einzusparen. Jeweils um 15 Prozent wollen die Länder mindestens ihren Gasverbrauch reduzieren, es ist allerdings eine freiwillige Vereinbarung. Ausnahmen soll es unter anderem für Bereiche wie die Lebensmittelproduktion aber auch Länder geben, die keinen direkten Einfluss auf die EU-Energieinfrastruktur haben. Dazu zählen unter anderem Zypern, Irland oder Malta. Dabei ist das 15-Prozent-Ziel nach Aussage der EU-Energiekommissarin Kadri Simson nicht aus der Luft gegriffen: Grundlage für das Ziel sind demnach Berechnungen, wie viel Erdgas gespart werden muss, um durch den kommenden Winter zu kommen. Auch ein vollständiger Lieferstopp sei dabei bereits berücksichtigt, erklärte Simson am Dienstag.
Sparziel Gas: Minus 15 Prozent
Die 15 Prozent beziehen sich auf den Durchschnittsverbrauch der vergangenen Jahre, umgesetzt werden soll der Plan ab August bis zunächst März 2023. Für Deutschland bekräftigte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Vormittag das Einsparziel und stellte auch in Aussicht, dass Deutschland auch mehr leisten könne. Sollten die Einsparziele auf dem Weg nicht erreicht werden, sieht der Beschluss auch eine Möglichkeit vor, verbindliche Einsparziele vorzuschreiben. Dafür muss aber eine Art Alarm in der Union ausgerufen werden, dafür braucht es einen erneuten Beschluss der EU-Länder.
Außerdem verteidigte Habeck im Vorfeld des Treffens die europäische Kooperation. So sei Deutschland auf Flüssiggas-Importe aus Nachbarländern angewiesen, andererseits werde Deutschland auch Gas an EU-Nachbarländer weitergeben, bis in die Ukraine. „Wir müssen zusammenstehen“, so der Minister der Ampel-Koalition. „Was wir brauchen, ist mehr Europa.“ Mit Blick auf die Nachbarländer im Osten ergänzte er: Die Abhängigkeit von russischem Erdgas sei nicht nur ein deutsches Problem, sondern ein mittel- und osteuropäisches.
Chance auf gemeinsame EU-Energiepolitik
Bernd Lange, Außenhandelsexperte der Sozialdemokrat*innen im Europaparlament, lobte im Gespräch mit dem „vorwärts“ den Kompromiss. „Er drückt Solidarität aus“, so Lange. „Wir müssen alles hinkriegen, was geht“, ergänzte er mit Blick auf die Einsparziele. Durch Veränderungen bei der Stromerzeugung und andere Optionen seien Lange zufolge sogar bis zu 25 Prozent möglich.
Trotz der schwierigen Situation sieht er außerdem in der aktuellen Entwicklung auch einen positiven Aspekt: Eine gemeinsame Energiepolitik in der EU sei nun auf dem Vormarsch. Die Energieversorgung sei lange nationalstaatlich gedacht worden, das sei nun vorbei. Für Deutschland hofft er außerdem, dass nun die Erneuerbaren Energien noch schneller ausgebaut und bereits geplante oder schon gebaute Anlagen schneller genehmigt werden können. Dass die EU-Länder sich mit großer Mehrheit auf die Maßnahmen geeinigt hatten, sieht Lange außerdem als gutes Zeichen, dass die Einsparziele ernst genommen werden – trotz freiwilliger Vereinbarung.
Einigung schon in der Nacht
Die EU-Energieminister*innen hatten sich Medienberichten zufolge schon in der Nacht zu Dienstag geeinigt, Details wurden noch beim Treffen vor Ort in Brüssel geklärt. Nur ein Land stimmte gegen den gemeinsamen Plan: Ungarn. Regierungschef Viktor Orbán war allerdings schon in der Vergangenheit bei den EU-Sanktionen gegenüber Russland ausgeschert, hatte auch bei Importen von fossilen Energieträgern blockiert.
Mit Blick auf den Verhandlungsprozess kritisierte Bernd Lange allerdings, dass die Vereinbarung lediglich auf Ebene des EU-Rates, also auf Regierungsebene getroffen wurde. Das EU-Parlament war bisher außen vor. „Ich würde mir wünschen, dass wir bald auch dort eine fundamentale Debatte über die Energie- und Sicherheitspolitik in Europa führen“, so Lange, „statt so etwas wie auf einem Basar auszuhandeln.“