Gasimporte

Gaskrise: Wie die Europäische Union gemeinsam Energie sparen will

Benedikt Dittrich26. Juli 2022
Freiwillig minus 15 Prozent: Europa will gemeinsam Erdgas sparen.
Freiwillig minus 15 Prozent: Europa will gemeinsam Erdgas sparen.
Russland will die Gas-Importe weiter reduzieren, die Europäische Union hält nun dagegen: In einem Sondertreffen hat sich der Rat der Europäischen Union auf verpflichtende Einsparziele verständigt. Nur ein Land scherte bei der Abstimmung aus.

Die Gas-Importe aus Russland sind in den vergangenen Monaten immer weiter gesunken, nun dreht Wladimir Putin offenbar den Gashahn noch weiter zu: Ab Mittwoch, dem 27. Juli, soll die Pipeline „Nord Stream 1“ nur noch zu 20 Prozent ausgelastet werden, statt bisher 40 Prozent, wie der russische Staatskonzern Gazprom jüngst angekündigt hatte.

Auf die immer weiter sinkenden Gas-Importe aus Russland reagiert die Europäische Union nun: Die Nationen haben sich gemeinsam darauf verständigt, gemeinsam Gas einzusparen. Jeweils um 15 Prozent wollen die Länder mindestens ihren Gasverbrauch reduzieren, es ist allerdings eine freiwillige Vereinbarung. Ausnahmen soll es unter anderem für Bereiche wie die Lebensmittelproduktion aber auch Länder geben, die keinen direkten Einfluss auf die EU-Energieinfrastruktur haben. Dazu zählen unter anderem Zypern, Irland oder Malta. Dabei ist das 15-Prozent-Ziel nach Aussage der EU-Energiekommissarin Kadri Simson nicht aus der Luft gegriffen: Grundlage für das Ziel sind demnach Berechnungen, wie viel Erdgas gespart werden muss, um durch den kommenden Winter zu kommen. Auch ein vollständiger Lieferstopp sei dabei bereits berücksichtigt, erklärte Simson am Dienstag.

Sparziel Gas: Minus 15 Prozent

Die 15 Prozent beziehen sich auf den Durchschnittsverbrauch der vergangenen Jahre, umgesetzt werden soll der Plan ab August bis zunächst März 2023. Für Deutschland bekräftigte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Vormittag das Einsparziel und stellte auch in Aussicht, dass Deutschland auch mehr leisten könne. Sollten die Einsparziele auf dem Weg nicht erreicht werden, sieht der Beschluss auch eine Möglichkeit vor, verbindliche Einsparziele vorzuschreiben. Dafür muss aber eine Art Alarm in der Union ausgerufen werden, dafür braucht es einen erneuten Beschluss der EU-Länder.

Außerdem verteidigte Habeck im Vorfeld des Treffens die europäische Kooperation. So sei Deutschland auf Flüssiggas-Importe aus Nachbarländern angewiesen, andererseits werde Deutschland auch Gas an EU-Nachbarländer weitergeben, bis in die Ukraine. „Wir müssen zusammenstehen“, so der Minister der Ampel-Koalition. „Was wir brauchen, ist mehr Europa.“ Mit Blick auf die Nachbarländer im Osten ergänzte er: Die Abhängigkeit von russischem Erdgas sei nicht nur ein deutsches Problem, sondern ein mittel- und osteuropäisches.

Chance auf gemeinsame EU-Energiepolitik

Bernd Lange, Außenhandelsexperte der Sozialdemokrat*innen im Europaparlament, lobte im Gespräch mit dem „vorwärts“ den Kompromiss. „Er drückt Solidarität aus“, so Lange. „Wir müssen alles hinkriegen, was geht“, ergänzte er mit Blick auf die Einsparziele. Durch Veränderungen bei der Stromerzeugung und andere Optionen seien Lange zufolge sogar bis zu 25 Prozent möglich.

Trotz der schwierigen Situation sieht er außerdem in der aktuellen Entwicklung auch einen positiven Aspekt: Eine gemeinsame Energiepolitik in der EU sei nun auf dem Vormarsch. Die Energieversorgung sei lange nationalstaatlich gedacht worden, das sei nun vorbei. Für Deutschland hofft er außerdem, dass nun die Erneuerbaren Energien noch schneller ausgebaut und bereits geplante oder schon gebaute Anlagen schneller genehmigt werden können. Dass die EU-Länder sich mit großer Mehrheit auf die Maßnahmen geeinigt hatten, sieht Lange außerdem als gutes Zeichen, dass die Einsparziele ernst genommen werden – trotz freiwilliger Vereinbarung.

Einigung schon in der Nacht

Die EU-Energieminister*innen hatten sich Medienberichten zufolge schon in der Nacht zu Dienstag geeinigt, Details wurden noch beim Treffen vor Ort in Brüssel geklärt. Nur ein Land stimmte gegen den gemeinsamen Plan: Ungarn. Regierungschef Viktor Orbán war allerdings schon in der Vergangenheit bei den EU-Sanktionen gegenüber Russland ausgeschert, hatte auch bei Importen von fossilen Energieträgern blockiert.

Mit Blick auf den Verhandlungsprozess kritisierte Bernd Lange allerdings, dass die Vereinbarung lediglich auf Ebene des EU-Rates, also auf Regierungsebene getroffen wurde. Das EU-Parlament war bisher außen vor. „Ich würde mir wünschen, dass wir bald auch dort eine fundamentale Debatte über die Energie- und Sicherheitspolitik in Europa führen“, so Lange, „statt so etwas wie auf einem Basar auszuhandeln.“

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Kommentare

ja, das hört sich zumindest gut an,

aber wie weit her es sein wird mit der europäischen Solidarität, das zeigt sich erst, wenn es kalt wird. Die Solidarität ist ja eine gute Sache, aber dort wo Deutschland sie einfordert, fällt es den anderen 26 Staaten bekanntermaßen sehr schwer, solidarisch zu sein. Es sind ja insoweit auch keine "gemeinsamen Aktivitäten", sondern nationale Spezialitäten, die wir uns leisten, und die die anderen nur mit -gelinde gesagt- Verwunderung begleiten, aber keinesfalls teilen. Dies gilt für die Einwanderungspolitik ebenso wie für den Atomausstieg. Wir leisten uns was, und die anderen sollen die daraus resultierenden Lasten mittragen? Warum? Ich kann verstehen, dass sie dies nicht tun, so dass die Einwanderungspolitik weiterhin eine nationale Sache ist. es steht zu befürchten, dass es bei der Energieversorgung nicht anders sein wird, zumal wir ja auch noch in der Not - aber ohne Not- die Atomkraftwerke abschalten. Möglich wäre es, und in der Not auch zumutbar, sie weiterlaufen zu lassen und auch die gerade erst abtgestellten- Brokdorf....- wieder in Gang zu setzen. Wenn wir das nicht wollen, dann müssen wir die Folgen ganz allein tragen-

EU-Rat setzt auf Konfrontation statt auf Kooperation

Denn die durch die "Einsparungen" russischen Erdgases benötigten Mengen an Flüssiggas kauft man anderen Ländern weg und treibt dadurch die Preise noch weiter in die Höhe.

Die Russische Föderation könnte übrigens sofort Erdgas über Nordstream 2 nach Deutschland liefern.

Solange mittels der Jamal-Pipeline über Deutschland russisches Gas nach Polen geliefert wird, können wir kein Gas darüber erhalten.

Die Russische Föderation kündigte übrigens an, die gegenwärtig über Nordstream 1 nicht lieferbaren Mengen an Gas über die durch Tschechien laufenden Leitungen zu liefern.

Setzte man im EU-Rat auf diplomatische Kooperation statt auf Konfrontation, dann gäbe es keine Gaskrise.

Man muss übrigens Herrn Bernd Lange deutlich widersprechen, wenn er versucht, den EU-Rat verbal herabzusetzen. Der EU-Rat ist die einzige Institution der EU, die tatsächlich etwas entscheiden kann.

EU-Parlament oder EU-Kommission massen sich ständig Kompetenzen an, die sie nicht haben.

vorwärts

Der vorwärts ist nach eigener Einschätzung nach die Mitgliederzeitung der SPD. Was ich allerdings, nicht nut in diesem Artikel, feststellen muss ist der vorwärts immer mehr eine Zeitung für Regierungsverlautbarung ist. Zur angespannten Situation auf dem Energiemarkt sollte da eher sozialdemokratische Lösungsmöglichkeiten diskutiert werden. Auch Schwedt braucht eine sozialdemokratische Lösung.

da stimme ich zu, und möchte ergänzen, dass

selbst dann doch Regierungspolitik "erklärt" wird, wenn für alle Sehenden längst erkennbar ist, dass sich ebendiese bereits aufmacht in eine Kehrtwende- die dann mit warmen Worten ebenfalls wieder als Regierungspolitik (v)erklärt.

Da hängt eine Fahne im Wind- und das ist mit Blick auf die Regierung schön, hier zählt jede Form von Applaus, mit Blick auf die Partei aber sicher nicht hilfreich.

Selbst das Geplapper von den Grünen- wir hätten ein Wärme- und kein Stromproblem- ist hier schon wiedergegeben worden, dabei wissen wir doch alle, dass auch Wärmepumpen und die nun ausverkauften Heizstrahler mit Strom betrieben werden. Der wurde nun auch noch im Mai- als jenseits des Bedarfs am Abfallprodukt Wärme (Fernwärmenetze)- zu Rekordwerten aus Gas erzeugt wurde. Wir mögen als Publikum ja dumm sein, aber so dumm? Nein, dass nun doch nicht.

Deutschland ist Gas-Wiederverkäufer

Deutschland verkauft rund die Hälfte des importierten Gases an andere Länder.

Widerspruch

Nicht "Deutschland" ist Gaswiederverkäufer sondern die hier ansässigen Energiekonzerne. Von einer sozialdemokratisch geführten Regierung würde ich erwarten, daß sie zuerst die Versorgung der eigenen Bevölkerung sicherstellt - aber der Finanzkapitalismus erscheint wohl wichtiger.

hier fordern Sie,

eine nationale Komponenten an den Sozialismus anzuhängen. Davor kann ich nur warnen- das geht immer schief. Eine sozialdemokratisch geführte Regierung muss immer die nationale Frage überwinden und grenzübergreifend agieren. Im Übrigen ist der Staat bereits Großanteilseigner der hier so gescholtenen Energiekonzerne. Bei den Banken ist er ja auch eingestiegen. Also, immer gemach gemach ,was die kapitalistenschelte angeht

Nicht "national", sondern rational

Der Aspekt des "nationalen" ergibt sich durch den Geltungsbereich von Rechtsnormen, die durch die legislative Tätigkeit des BT gesetzt werden.

Relevant ist vielmehr, dass in Zeiten einer "Kriegswirtschaft" eine rationale Politik betrieben wird, die die vorhandenen Ressourcen optimal auf die Bevölkerung und die Wirtschaft verteilt. Und genau das ist im Blick auf die Rahmenbedingungen im Energiemarkt notwendig.

Wenn begrenzte Mengen vorhanden sind, dann sollten sie optimal im Interesse der Volkswirtschaft genutzt werden und nicht als "Spekulationsobjekt" den "freien Kräften" von Angebot und Nachfrage unterworfen werden.

Das stößt in der Bevölkerung auf Unverständnis und dürfte perspektivisch das Vertrauen in das Handeln des Staates nicht positiv beeinflussen.

Theoretische Bezüge oder Zurück in die Zukunft?

Die gesamte Diskussion über den ökologischen Umbau der Volkswirtschaft zeichnet sich in einem erschreckenden Maße durch eine "Theorielosigkeit" aus. Diskutierte man noch konträr - auch unser BK Scholz - in den siebziger Jahren die Thesen zum "Stamokap" (vgl. Wiki-Beitrag), so ist mit dem Erschöpfen der "utopischen Energien" (Habermas) eine weitgehende Orientierungslosigkeit vorhanden. Ungeachtet eines erratischen Aufflackern von "Faschismusvorwürfen" an die jeweilige gegnerische Position, die teilweise eine Kritik an Formen des "Kapitalismus" impliziert.

Will sagen, es ist unklar, welches Ordnungsmodell der Staat eigentlich für die Wirtschaft vordenkt und in welchem Rahmen eine "de-globalisierte" Wirtschaft agieren soll. Und dazu wäre eine erneute Theoriediskussion zwingend erforderlich, die aber angesichts einer weit verbreiteten "Theoriemüdigkeit" in weiter Ferne ist. Und so wurstelt man weiter und übt sich in "temporären" und "partiellen" Interventionen in den "Energiemarkt". Ohne die "nichtbeabsichtigen Neben- und Folgewirkungen" mit zu denken, geschweige zu verstehen.

Das erzeugt nicht unbedingt Vertrauen in die Effizienz und Effektivität des "policy-output".

Unverständliche Energiepolitik

Diese "Gaskrise" ist bündnispolitisch erzwungen und die deutschen politischen und medialen Eliten haben sich in das scheinbar unabänderliche gefügt.

Diese Ukraine- bzw. Energie-Krise wird dabei instrumentalisiert, um die Versäumnisse früherer Regierungen beim ökologischen Umbau der Volkswirtschaft zu kompensieren. Allerdings ist die "Brechstange", mit der Habeck zu Werke geht, gefährlich für die Wirtschaft, die politische Stabilität und die soziale Chancengleichheit.

Erstaunlich ist bei der Hysterie, dass nebenbei klar wird, dass durch die seit 2019 eingeführte Zertifizierung von Stromanlagen ein enormer Rückstau vorhanden ist und fertige Solaranlagen nicht ans Netz dürfen. Warum wird da nicht unkompliziert eine vorläufige Betriebserlaubnis erteilt?

Erstaunlich ist zudem, dass der Befüllungsgrad der Gasspeicher diskutiert wird. Und dann ein Habeck im TV am 29.07 erklärt, dass man verhindern muss, dass durch Gaszwischenverkauf im August - hohe Preise an den Spotmärkten - der Befüllungsgrad am Ende vom August niedriger sein könnte.

Wenn man den Bürgern heftige Belastungen auferlegen möchte dann sollte man schnellstens und zuerste die eigenen politischen Hausaufgaben erledigen!