Außen- und Sicherheitspolitik

„Führungsmacht“ Deutschland: Wie Klingbeils Rede in Polen gesehen wird

Karin Nink30. Juni 2022
Treffen in Warschau: SPD-Chef Lars Klingbeil (l.) mit dem Co-Chef der Nowa Lewica, der „Neuen Linken“, Wlodzimierz Czarzasty.
Treffen in Warschau: SPD-Chef Lars Klingbeil (l.) mit dem Co-Chef der Nowa Lewica, der „Neuen Linken“, Wlodzimierz Czarzasty.
Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil hat Litauen und Polen besucht und für eine neue deutsche Außen- und Sicherheitspolitik geworben. Seine Grundsatzrede in der Ebert-Stiftung sorgt auch in Osteuropa für Aufsehen – und Zustimmung.

Die Reise, die SPD-Chef Lars Klingbeil Anfang Ende Juni antritt, ist keine einfache. Litauen und Polen stehen auf dem Programm. Osteuropäische Länder, die schon lange der Meinung sind, Deutschland höre zu sehr auf Russland und zu wenig auf die anderen Länder des ehemaligen Ostblocks.

Eine Rede, die Klingbeil bekannt macht

Eine knappe Woche vor seiner Osteuropa-Reise hat Klingbeil mit seiner Grundsatzrede für eine Neujustierung der Außen- und Sicherheitspolitik international für Schlagzeilen gesorgt, nicht zuletzt, weil er dafür plädierte, dass Deutschland den Anspruch haben müsse, eine „Führungsmacht“ zu sein.

Die Rede war während seiner Antrittsbesuche in Brüssel, Schweden, Spanien und Portugal entstanden und machte auch deutlich, wie wichtig dem neuen SPD-Chef eine der Zeit angemessene, neue sozialdemokratische Außen- und Sicherheitspolitik ist.

Empfang mit offenen Armen

Angesichts seiner klaren Positionierung ist Klingbeil auch im Ausland kein unbekannter SPD-Chef mehr, der nun mit diesem Anspruch nach Osteuropa reist. In Litauen, wo die russische Propaganda die Angst vor einer militärischen Eskalation um Kaliningrad schürt, wird er mit offenen Armen empfangen. Auch von der konservativen Ministerpräsidentin Ingrids Šimonytė und auch von dem Oberbefehlshaber der litauischen Streitkräfte.

Klingbeil trifft hochrangige Sicherheitspolitiker*innen sowie Vertreter*innen der sozialdemokratischen Parlamentsfraktion und besucht die deutsche Truppe, die im Rahmen der der NATO Forward Presence dort stationiert ist. Klingbeils Grundsatzrede ist in Litauen auf viel Wohlwollen gestoßen: vor allem die Passagen, in denen es im Zusammenhang mit Russland selbstkritisch um die Haltung Deutschlands und der SPD zu anderen osteuropäischen Ländern geht. Deutschland mit seiner SPD-geführten Regierung wird in Litauen heute als verlässlicher Partner gesehen.

Die SPD als Vorbild

Das ist in Polen noch anders. Die ultrakonservative Regierungspartei PiS schürt erfolgreich antideutsche Ressentiments, und so sind auch andere Parteien und die Medien nicht vor Vorurteilen und Fehlinformationen gefeit. Dass Deutschland die Ukraine massiv mit schweren Waffen unterstützt und 800.000 ukrainische Flüchtlinge aufgenommen hat, scheint hier unbekannt zu sein.

Lars Klingbeil will ein anderes Bild von Deutschland vermitteln als das von der PiS geprägte. Er trifft in Warschau den Co-Chef der Nowa Lewica, Wlodzimierz Czarzasty. Die „Neue Linke“, bestehend aus der alten SLD und der jungen Partei Wiosna (Frühling), ist eine Schwesterpartei der SPD. Das Linksbündnis ist drittstärkste Kraft im Sejm, dem polnischen Parlament, und hofft auf ein Regierungsbündnis mit der liberal-konservativen Platforma Obywatelska (PO) von Donald Tusk nach der Parlamentswahl 2023. Und so haben die polnischen Genoss*innen genau beobachtet, wie 2021 eine schwächelnde SPD einen erfolgreichen Wahlkampf führte und mit Olaf Scholz stärkste Partei bei der Bundestagswahl wurde.

„Wir haben zu wenig hingehört!“

Klingbeil ist an einem engen und vertrauensvollen Verhältnis zur polnischen Schwesterpartei gelegen. Auch weil er als SPD-Vorsitzender die sozialdemokratische Parteienfamilie in Europa insgesamt stärken möchte. Aber angesichts des Krieges in der Ukraine geht es bei den Gesprächen mit der Schwesterpartei nicht vorrangig um Wahlkampf, sondern vor allem um den Krieg im Nachbarland und die Sorgen Polens vor einer weiteren militärischen Eskalation Putins.

Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz im großen Konferenzraum des polnischen Parlaments wiederholt Klingbeil das, was er schon öfter gesagt hat, was aber sowohl in Polen als auch zuvor in Litauen ein besonderes Gewicht hat: Deutschland und die SPD hätten bei ihrer Russlandpolitik im Umgang mit den osteuropäischen Nachbarn Fehler gemacht. „Wir haben zu wenig hingehört!“

Gleichzeitig betont er, Deutschland sei dabei, sein Verhältnis zu Russland „fundamental“ zu verändern Die Bundesregierung mache „große Schritte“ mit dem 100-Milliarden-Sondervermögen für „Landes- und Bündnisverteidigung“, und mit der Lieferung von Waffen und schweren Waffen in die Ukraine habe Deutschland ein „jahrzehntelanges Prinzip durchbrochen“, keine Waffen in Kriegsgebiete zu schicken.

Ein starkes Deutschland macht keine Angst

Czarzasty würdigt diese Schritte mit klaren Worten, er macht aber auch deutlich, dass in seinen Augen nach der wegweisenden Zeitenwende-Rede von Olaf Scholz Ende Februar zunächst zu wenig Konkretes gefolgt sei. Der von Lars Klingbeil bewusst benutzte Begriff „Führungsmacht“ beunruhigt Czarzasty nicht. Eine starke Position Deutschlands sei auch eine starke Position für die EU und das helfe auch Polen, sagt der Parteivorsitzende.

Der Pressekonferenz war ein gemeinsamer Besuch am Denkmal für die Helden des Aufstandes im Warschauer Ghetto vorangegangen – dort, wo Willy Brandt am 7. Dezember 1970 spontan niederkniete und so im Namen Deutschlands um Vergebung für die Gräueltaten der Nazis bat. Hier begann die Versöhnung Deutschlands mit Polen. Der gemeinsame Auftritt von Klingbeil und Czarzasty an dieser Stelle ist auch ein Zeichen für die Fortführung einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und dafür, dass die deutsche Sozialdemokratie weiter an der Seite der osteuropäischen Nachbarn stehen wird.

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Kommentare

„Deutschland höre zu sehr auf Russland –

und zu wenig auf die anderen Länder des ehemaligen Ostblocks“.

Das war, bevor der deutsche Bundeskanzler versprach, „jährlich 70 bis 80 Mrd.“ in die Bundeswehr zu „investieren“, sie zur „mächtigsten konventionellen europäischen Armee“ zu machen und gleichzeitig das Narrativ zu verfolgen, „Friedenspolitik ... (muss) auch militärische Gewalt als Mittel der Politik sehen“ (Klingbeil). Vor diesem Hintergrund kann „Deutschland (dann) den Anspruch (s)einer Führungsmacht“ beweisen und den Hauptteil der „Aufstockung der Schnellen Nato-Einsatztruppe“ stellen. Die „osteuropäischen Länder“ können also zufrieden sein, denn so kann die Nato 300.000 Mann innerhalb von 10 Tagen an ihre Ostflanke einsatzbereit verlegen. (Immerhin brauchte die Russische Föderation ein Jahr, um auch nur halb so viele Soldaten an der ukrainischen Grenze aufmarschieren zu lassen.) Ob die Nato damit Verträge bricht, spielt keine Rolle, denn offiziell ist Russland der Nato „bedeutendste direkte Bedrohung“ – und, wenn sie nicht inzwischen auch im Südchinesischen Meer nach dem Rechten sehen würde, die einzige.

„Deutschland hört zu sehr auf Russland_2

Der Spiegel schafft es mit zwei Sätzen, unsere (öffentliche) Beurteilung dieser Sachlage einzufangen: „Die Nato will massiv aufrüsten“, Bedrohung daraus abzuleiten ist aber „Putins Nato-Paranoia“.

Die Russische Föderation wird darauf reagieren (müssen).
Da sie eine Landgrenze von 20.000 km zu sichern hat, wird sie die an ihrer Nato-Grenze stationierten Soldaten nicht beliebig verstärken können. Da sie wirtschaftlich nicht in der Lage ist, die konventionelle Aufrüstung der Nato mitzugehen (- allein die Bundesrepublik steckt mit 70/80 Mrd. € so viel in ihre Armee wie die Russische Föderation (nominal) -), bleibt ihr nur, ihre atomaren Fähigkeiten zu verstärken und die Hemmschwelle für deren Einsatz zu senken. Wollen das die Osteuropäer wirklich? Können wir das wollen?
Und als wäre es nicht schon genug, die atomare Weltmacht Russische Föderation zu unserer „bedeutendsten direkten Bedrohung“ zu haben, gehen wir auch noch zu China auf Konfrontationskurs. Wer denkt sich eigentlich einen solchen Unsinn aus?

Wo bleiben die Sozialdemokraten mit Vernunft und Augenmaß?
(Namen wage ich schon gar nicht mehr zu nennen.)

Nachrichten

Wenn ich Nachrichten höre, dann kommt da als erstes Russland/Outin ist böse, die BRD steckt zig Milliarden in Rüstung ......, die nächste Nachrich lautet dann 14 Millionen Deutsche unterhalb der Armutsgrenze, 20% der Kinder von Armut betroffen, Lehrermangel, Energiearmut .....
Merken die Regierenden hier denn gar nichts ?

Wünsch dir was?

Der Vater des Gedankens an eine allgemeine Zustimmung zum Krieg als Mittel der Politik scheint mir nur der Wunsch der Autorin zu sein. Mal abgesehen davon, dass Osteuropa nicht in Kiew endet.
Jeffrey D Sachs hat gestern in der Berliner Zeitung den Ukraine-Krieg als neueste Katastrophe der amerikanischen Neocons bezeichnet.
Seine Schlussfolgerung. "Anstatt diese Katastrophe zu riskieren, besteht die wahre Lösung darin, die neokonservativen Fantasien der letzten 30 Jahre zu beenden und die Ukraine und Russland an den Verhandlungstisch zurückzuholen, wobei sich die Nato verpflichtet, ihr Engagement für die Osterweiterung um die Ukraine und Georgien im Gegenzug für einen tragfähigen Frieden zu beenden, der die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine respektiert und schützt!"
Dazu gibt es aus meiner Sicht keine vernünftige Alternative. Der Krieg ist nämlich nicht das Ergebnis von zu viel, sondern von zu wenig Entspannungspolitik. Und nicht von zu wenig, sondern von zuviel Rüstung.
In einem stimme ich zu: Wir haben zu wenig hingehört. Warum aber machen wir damit weiter und hören nur noch "NATO-Freunden" zu?

Ja!

Mehr ist dazu nicht zu sagen!

sieh mal an,

es geht doch!