Kultur

Filmtipp „Wem gehört mein Dorf?“: Wie man dem Tourismus Grenzen setzt

Ein kleines Ostseebad als Lehrstück für globale Zusammenhänge: Am Beispiel von Göhren auf der Insel Rügen zeigt der Dokumentarfilm „Wem gehört mein Dorf?“, was bürgerschaftliches Engagement gegenüber rein ökonomischen Interessen auszurichten vermag.
von ohne Autor · 13. August 2021
Bewahren oder nutzen? Um diese Frage geht es bei Göhrens Naturschätzen immer wieder.
Bewahren oder nutzen? Um diese Frage geht es bei Göhrens Naturschätzen immer wieder.

Wem gehört die Stadt? Diese Frage ist in vielen, zunehmend von ökonomischem Verwertungsdruck geprägten Metropolen seit Jahren zu hören. Im Grunde ist es eine Kampfansage all jener, die sich gegen Gentrifizierung und die Ökonomisierung des öffentlichen Raumes einsetzen. Doch solche Konflikte haben längst auch ländliche Gegenden erfasst. Zumal dort, wo viele Menschen vom Tourismus leben.

Einen dieser Hotspots stellt uns Christoph Eder in „Wem gehört mein Dorf?“ vor. Willkommen im Ostseebad Göhren auf Rügen! Von zwei Seiten ist es vom Meer umschlossen. Rings um das Dorf am Kap nichts als Wald, Wiesen und Felder. Vom Hang aus, den schon Caspar David Friedrich verewigte, ist zu sehen, wie sich Bucht an Bucht schmiegt. Was für ein Paradies. Doch wie lange noch?

Fragwürdige Beziehungen

Eder, der in Göhren aufwuchs, erzählt davon, wie sich ein heruntergekommenes Dorf nach dem Ende der DDR zum Eldorado für Investoren mauserte. Bis heute dominiert ein Multimillionär aus Nordrhein-Westfalen das Geschehen. In den 90er-Jahren kaufte und bebaute Wilfried Horst etliche Grundstücke, vor allem mit Hotels. Dass der Unternehmer das Ortsbild Göhrens völlig umkrempeln konnte, hat er einer Gruppe von Gemeindevertretern zu verdanken. Immer wieder entschieden die „Vier von der Stange“, wie viele sie nennen, bei Bauanträgen zugunsten von „Herrn Horst“, oftmals allerdings nicht zum Wohl der Gemeinde und umso öfter gegen den Willen des Bürgermeisters. Eder lässt daran keinen Zweifel: Diese Beziehung von Wirtschaft und Politik hat mehr als nur ein Geschmäckle. Und: Göhren ist überall.

Wenn die Kamera an den weiß getünchten Hotelfassaden entlangfährt, können Zuschauende kaum glauben, dass sie dasselbe Dorf sehen, das uns Eder zu Beginn als „in Grau gehüllte Goldgrube“ vorstellt. Videoaufnahmen zeigen eine ländliche Welt im Umbruch, aber auch die unbeschwerte Kindheit des 33-jährigen Filmemachers. So ungläubig wie Eder, der Göhren später verließ, verfolgen auch viele Menschen, die geblieben sind, die Entwicklung ihrer Heimat, die ihnen in weiten Teilen fremd geworden ist. Weil sie das Gefühl haben, dass der Immobilienmarkt und die Infrastruktur mehr und mehr auf die dreimonatige Urlaubssaison zugeschnitten werden. Etwa, weil unzählige Mietwohnungen zu Ferienunterkünften wurden.

Spannend wie ein Thriller

Irgendwann hatte eine Gruppe kritischer Bürger*innen genug. Als auch noch der besagte Hang mit Meerblick außerhalb von Göhren mit Neubauten zugepflastert werden soll, gründen sie eine Bürgerinitiative und treten zur Kommunalwahl an. Werden die Frauen und Männer, die die Natur rund um ihr Dorf bewahren wollen und für einen nachhaltigen Tourismus eintreten, die Macht der „Vier von der Stange“ brechen können? Eder räumt diesem Wendepunkt in der Dorfgesellschaft breiten Raum ein. Die Auszählung der Stimmen nach der Wahl wird zum dramatischen Höhepunkt, den wir wie in einem Thriller gebannt verfolgen.

Den von hitzigen Debatten begleiteten „Wahl-Krimi“ schildert „Wem gehört mein Dorf?“ mit einem gelassenen Erzählstil, der den Denkweisen der Auftretenden breiten Raum einräumt. Was ist das Beste für Göhren? Diese Frage wird immer wieder völlig unterschiedlich beantwortet. Nicht alle, die sich vor der Kamera äußern, lassen sich wirklich in die Karten schauen. Und doch beeindruckt ihre scheinbare Unbekümmertheit.

Die Lektion macht Mut

Was sich Eder für den Ort seiner Kindheit wünscht, liegt auf der Hand. Und doch überlässt er es dem Publikum, sich eine Meinung zu bilden. Durch seinen präzisen Blick auf die Hauptpersonen, die er mehr als vier Jahre lang begleitete, entsteht ein schillerndes Gemälde aus Interessen und Idealen. Wünschenswert wäre es allerdings gewesen, noch mehr über die ökonomische und soziale Situation der Göhrener in den Nachwendejahren zu erfahren.

Andererseits setzt Eder gerade mit seinem nach vorne gerichteten Blick auf die ostdeutsche Provinz erhellende Akzente. Hier geht es nicht um Frust und Scheitern. Eder macht unmissverständlich deutlich, welche Möglichkeiten der Kommunalpolitik als jene Erscheinungsform der Demokratie innewohnen, die der „Basis“ am nächsten ist – allen Mühen der langwierigen Gremienarbeit zum Trotz.

Ein Film, der Mut macht sich einzubringen

Eine kleine Gruppe von Engagierten kann genügen, um scheinbar übermächtige Akteur*innen auszubremsen: Auch das ist eine Lektion dieses Films, der weit über sein eigentliches Thema hinaus Mut macht, sich einzubringen. In einer Szene erinnert sich Bernd Elgeti, einer der Gründer der Bürgerinitiative, an die Worte eines Immobilienunternehmers Anfang der Neunziger: „Hier bleibt nichts übrig. Nur die, die standhaft sind.“

 „Wem gehört mein Dorf?“ ist eine, gerade auch auf der Bildebene atmosphärisch dichte Liebeserklärung an ein umkämpftes Paradies, vor allem aber eine Einladung, sich auf das mitunter ziemlich anstrengende Experiment namens Demokratie einzulassen. Göhren zeigt: Es lohnt sich!

Info: „Wem gehört mein Dorf?“ (D 2021), ein Film von Christoph Eder, Kamera: Domenik Schuster, 96 Minuten.

Im Kino

https://jip-film.de/wem-gehoert-mein-dorf

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