Europawahlen 2019: So wurde in Österreich und Italien gewählt
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Wien – Eigenmarketing-Rückstand der Sozialdemokraten
von Barbara Toth
Wien – Eigenmarketing-Rückstand der Sozialdemokraten„Sebastian Kurz ist ein egoistischer Politiker, warum soll er länger Kanzler sein?“ Mit diesen Worten gab am Wahlabend Andreas Schieder, der Spitzenkandidat der österreichischen Sozialdemokraten für die EU-Wahl, den Grundton für die anstehenden vorgezogenen Neuwahlen im September dieses Jahres aus. Kurz, der Machttaktiker, der nur an seinen persönlichen Vorteil denkt und Österreich zum zweiten Mal binnen zwei Jahren in Neuwahlen treibt, so will die SPÖ den populären Konservativen jetzt zeichnen.
Testwahl für die Nationalwahlen
Die EU-Wahlen waren in Österreich die Testwahl für die Nationalwahlen, alles drehte sich um die Ibizaaffäre, die eine Woche zuvor geplatzt war und zum Rücktritt des FPÖ-Parteichefs Heinz-Christian Strache geführt hatte – und in Folge zum Bruch der Koalition durch Kurz. Doch bei den EU-Wahlen verlor die FPÖ nur zwei Prozent, Kurz ging mit 35 Prozent als klarer Sieger hervor und die SPÖ gewann nichts dazu.
Die Lehren daraus sind aus sozialdemokratischer Sicht schmerzhaft. Österreichs Rechtspopulisten konnte der Ibiza-Skandal wenig anhaben, im Gegenteil, er half bei der Mobilisierung ihrer EU-skeptischen Wählerschaft. Die Täter-Opfer-Umkehr funktionierte, die FPÖ-Offensive, die Strache als Opfer einer Verschwörung darstellte, verfing. Auch Kurz kam mit seiner Erzählung vom Kanzler, der zuerst die blauen Eskapaden erduldete und das Land dann davon befreite, durch. „Genug ist genug“, sagte er, als er Neuwahlen ausrief, und das traf erst einmal die Stimmung im Land. In Folge warb er für sich auch noch überzeugend als Garant für Stabilität. Dabei war er es doch, der die Koalition zuerst gegründet und dann aufgekündigt hatte.
Neuwahlen in vier Monaten
Es zählt nicht, was der Wahrheit am nächsten ist, sondern welche Wahrheit am überzeugendsten an die Wählerschaft verkauft wird. FPÖ und ÖVP haben hochprofessionelle eigene TV- und Social Media Kanäle, Kurz und Strache jeweils fast 800.000 Facebook-Follower. Die SPÖ kann da nicht mithalten. Wie sie ihren Eigenmarketing-Rückstand in den nächsten vier Monaten bis zur Wahl aufholen soll, ist unklar.
Rom – Triumph für die Rechtspopulisten
von Michael Braun
Die rechtspopulistische Lega Nord von Matteo Salvini triumphiert mit 34 Prozent, die zur S&D-Fraktion gehörende sozialdemokratische Partito Democratico (PD) schafft nach dem Wahldesaster von 2018 die Trendwende, die Fünf Sterne brechen dramatisch ein: Auf diese Formel lässt sich der Ausgang der Europawahlen in Italien bringen.
Gewinne für Lega Nord
In Rom regiert seit dem 1. Juni 2018 eine Koalition des Movimento5Stelle (M5S – 5-Sterne-Bewegung) unter Luigi Di Maio und der Lega Nord unter Matteo Salvini. Bei den Wahlen vom März 2018 hatte das M5S knapp 33 Prozent, die Lega gut 17 Prozent der Stimmen gewonnen.
Di Maio und Salvini sind in der Regierung unter dem parteilosen Giuseppe Conte als Vizepremiers vertreten, Di Maio ist außerdem Wirtschafts- und Arbeitsminister, Salvini Innenminister. Salvini nutzte dieses Amt, um sich als starker Mann der Regierung zu profilieren. Vorneweg setzte er auf rigide Flüchtlingsabwehr und rief die Politik der „geschlossenen Häfen“ aus; zudem trieb er Law-and-order-Kampagnen voran. Beides erwies sich als sehr populär, ebenso wie die Rhetorik gegen das „Europa der Juncker, Merkel und Macron“. Die mit Marine Le Pens Rassemblement National und der AfD verbündete Lega konnte binnen eines Jahres ihren Stimmenanteil verdoppeln und geht als weitaus stärkste Partei aus der Wahl zum Europaparlament vom Sonntag hervor.
Sozialdemokratische PD legt zu
Spiegelbildlich musste das M5S, das Salvini gewähren ließ und außer der Einführung der Grundsicherung keine breiter wahrgenommenen Akzente setzen konnte, eine Halbierung der Stimmen auf nur noch 17 Prozent hinnehmen. Die ideologisch amorphe („weder rechts noch links“) Bewegung geht einer schweren Krise entgegen; auch die Führungsrolle Di Maios dürfte gefährdet sein. Zudem wächst die Versuchung für die Lega, die Koalition zu beenden und mit einer reinen Rechtsallianz zu Neuwahlen zu schreiten.
Solche Neuwahlen kämen für die sozialdemokratische PD zu früh. Unter ihrem neuen Vorsitzenden Nicola Zingaretti präsentierte sich als eindeutig proeuropäische Kraft mit geschärftem sozialem Profil. Darüber gelang es ihr, sich von den miserablen 18,7 Prozent der nationalen Wahlen 2018 auf jetzt knapp 23 Prozent zu verbessern. Dies stärkt die Autorität Zingarettis an der Spitze erheblich. Noch aber ist die PD weit davon entfernt, die Rechte schlagen zu können.
Beide Beiträge erschienen im ipg-journal, einer Debattenplattform für Fragen internationaler und europäischer Politik.