EU-Taxonomie: Warum Atomkraft jetzt nachhaltig sein soll
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Die EU-Kommission hat zum Jahreswechsel einen Vorschlag zur neuen EU-Taxonomie gemacht. Darin wird geregelt, welche Investitionen als nachhaltig eingestuft werden dürfen. Bei der Stromerzeugung soll dazu künftig auch Atomenergie und Gas gehören. Das sorgte in den vergangenen Tagen für massive Kritik und Unverständnis unter Aktivist*innen und Klimaschützer*innen – besonders aus Deutschland. Doch worum geht es eigentlich, wenn in der EU von Taxonomie gesprochen wird?
Was regelt die EU-Taxonomie eigentlich?
Die EU-Taxonomie legt fest, welche Investitionen in Europa als nachhaltig eingestuft werden dürfen. Der große Zankapfel ist dabei bereits seit vielen Monaten schon, ob Gas- und Atomkraft dazugehören und dann im Sinne einer nachhaltigen Energieerzeugung auch subventioniert werden dürfen.
Genau das hat nun die EU-Kommission zum Jahreswechsel vorgeschlagen. Sowohl Erdgas als auch Atomenergie könnten damit ein „grünes Etikett“ bekommen, was Investitionen und Subventionen für diese Energiesparte bedeuten könnte. Eingesetzt hatten sich dafür unter anderem Frankreich und Belgien, die viel Strom über Atomkraftwerke erzeugen, aber auch die polnische Regierung, die einen Einstieg in die Kernkraft plant, um ihre Klimaziele zu erreichen.
Wie steht Deutschland zu dem Vorschlag?
Die Bundesregierung begrüßt einerseits die Entscheidung zu Gas als Brückentechnologie, andererseits hagelt es Kritik aus den Ampel-Parteien, vor allem zum Atomkraft-Vorschlag. Und zwar nicht nur von den Grünen: Auch SPD-Energieexperte Matthias Miersch kritisierte den Vorschlag scharf. „Atomkraft ist nicht nachhaltig und absolut unwirtschaftlich“, so der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion. Ohne massive Subventionen seien neue Atomkraftwerk-Projekte überhaupt nicht finanzierbar. „Das gilt auch für die Folgekosten der Endlagerung.“ Er fordert deswegen: „Deutschland sollte alle Möglichkeiten ausschöpfen, um auf europäischer Ebene eine Förderung dieser Technologie zu verhindern.“
Auch die energiepolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion, Nina Scheer, kritisiert den Vorschlag. Aus ihrer Sicht schadet es der Stärkung nachhaltigen Investitionen.
Welche Argumente haben die Pro-Atom-Staaten?
Staaten wie Frankreich, Belgien und Polen, aber auch viele andere befürworten den Bau neuer Atomreaktoren um ihre Klimaziele zu erreichen. Argumentiert wird damit, dass während des Betriebs keine CO2-Emissionen anfallen, die Kraftwerke wenig Platz benötigen und verlässlich Strom produzieren, unabhängig von Wind oder Sonne. Außerdem gibt es Hoffnungen, dass die Forschung vorangetrieben werden kann und eine neue Generation von Atomkraftwerken entwickelt werden könnte, die kleiner und effizienter sind und bei denen möglicherweise weniger bis gar kein Atommüll mehr anfällt.
Befindet sich Deutschland mit der Windkraft und Photovoltaik also auf einem Irrweg?
Diese neue Atomreaktoren existieren aber bisher vor allem auf dem Papier, nur ein neuartiger Reaktor ist in China im Bau. Ob mit neuer Technik also jemals günstiger und wirklich grüner Atomstrom produziert werden kann, ist fraglich. Hinzu kommen die bekannten Risiken der Kernkraft.
Allerdings greift auch das Argument mit der CO2-Bilanz zu Kurz: Klimaschutzer*innen kritisieren, dass bei der Kernkraft auch der Uran-Abbau, Anreicherung und Transport, Zwischen- und Endlagerung des Atommülls sowie Rückbau der Kraftwerke einberechnet werden müssten – und dann ist Atomkraft nicht mehr so nachhaltig und obendrein riskant. Denn ein Endlager gibt es auch nach jahrzehnten der nuklearen Stromerzeugung immernoch nicht.
Hinzu kommt: Jeder Euro, der in Richtung Kernenergie fließt, könnte an anderer Stelle fehlen, beispielsweise beim Ausbau der Erneuerbaren Energien. Auch bei Kraftwerken, die bereits im Bau sind, explodieren die Kosten. Auch Miersch fürchtet eine Wettbewerbsverzerrung bei der Energieerzeugung. „Die Zukunft darf nur den Erneuerbaren gehören – vor allem auch auf Ebene der EU.“
Die Energiewende, der Ausbau der Erneuerbaren, könnte mit der neuen EU-Taxonomie also ausgebremst werden. Erst recht, wenn die Hoffnungen, die in die Forschung neuer Reaktoren gesetzt werden, nicht erfüllt werden können. Es könnte viel Zeit und Geld verschwendet werden, die beim Ausbau von Windkraft und Photovoltaik gebraucht wird.
Wie geht’s weiter?
Noch ist nichts beschlossen. Deutschland und andere EU-Staaten können Widerspruch einlegen. Der hätte aber nur Aussicht auf Erfolg bei einer Mehrheit – und danach sieht es derzeit nicht aus.
Allerdings: Selbst wenn die EU-Taxonomie in der Form beschlossen wird, ist unklar, welche Auswirkungen sie tatsächlich haben wird. Erstmal wird damit eine Möglichkeit zur Förderung eröffnet. Ob dann tatsächlich mehr Atomkraftwerke gebaut werden, ist unklar. Auch weil solche Projekte trotz Subventionen noch riskant sind, viel Zeit und Geld kosten. Am Ende könnten Windkraftanlagen und Photovoltaik also trotzdem das Rennen machen, denn schon jetzt wird der Ausbau nicht nur von Deutschland, sondern auch von Ländern wie Dänemark, Spanien oder Italien stark vorangetrieben.
Wirtschaftsweise Veronika Grimm beschreibt allerdings, dass ohne einen effektiven Emissionshandel auf EU-Ebene mit Instrumenten wie der EU-Taxonomie dem Lobbyismus Tür und Tor geöffnet wird. Sie erklärt es in einem mehrteiligen Beitrag auf der Plattform Twitter:
Nur eines scheint klar: Deutschland wird wohl unabhängig von der Entscheidung auf EU-Ebene nicht wieder in die Atomkraft einsteigen. In keinem anderen Land in Europa war und ist der Widerstand gegen die Atomkraft so groß wie in Deutschland, der Atomausstieg war 2011 nach der Katastrophe in Fukushima besiegelt. Seither gab es keine nennenswerte Debatte über einen Wiedereinstieg in die Kernkraft, nicht einmal von Seiten der Energieunternehmen. Zum Jahresende gingen in Deutschland weitere Kernkraftwerke außer Betrieb, 2022 werden auch die verbliebenen drei vom Netz gehen.