Europa

EU-Beschluss: Bei Verstößen gegen Rechtsstaatlichkeit drohen Sanktionen

Vera Rosigkeit05. November 2020
Länder, die gegen demokratische Grundwerte verstoßen, müssen möglicherweie künftig auf EU-Gelder verzichten
Das EU-Parlament hat sich darauf verständigt, die Auszahlung von EU-Geldern an die Einhaltung von Rechtsstaatlichkeit und demokratische Grundwerte zu knüpfen. SPD-Politiker*innen werten die Einigung als Meilenstein.

Bei Verstößen gegen Rechtsstaatlichkeit und demokratische Grundwerte können Staaten künftig EU-Gelder gestrichen werden. Darauf haben sich am Donnerstag das Europäische Parlament unter der Ratspräsidentschaft Deutschlands geeinigt. „Die europäischen Bürger erwarten von uns, dass wir die Auszahlung von EU-Geldern an die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit knüpfen. Der heute vereinbarte Mechanismus tut genau das, erklärte die spanische Europaabgeordnete Gardiazabal Rubial von der Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament nach Abschluss der Verhandlungen in Brüssel.

Verstöße gegen EU-Grundwerte sanktionieren

Ko-Berichterstatter Petri Sarvamaa bezeichnete die Vereinbarung als Meilenstein für den Schutz der EU-Werte. „Zum ersten Mal haben wir einen Mechanismus geschaffen, der es der EU ermöglicht, die Zahlungen an Regierungen einzustellen, die unsere Werte wie etwa die Rechtsstaatlichkeit missachten, sagte der finnische Abgeordnete von der Fraktion der Europäischen Volkspartei.

Vereinbart wurde, dass das Gesetz künftig nicht nur dann angewendet wird, wenn EU-Gelder wie in Fällen von Korruption oder Betrug direkt missbraucht werden. Es soll auch bei systemischen Verstößen gegen die für alle Mitgliesstaaten geltenden EU-Grundwerte angewendet werden. Zu diesen Grundwerten zählen Freiheit, Demokratie, Gleichheit und die Achtung der Menschenrechte, einschließlich der Rechte von Minderheiten. Empfänger*innen von Gelden, wie zum Beispiel Student*innen, Landwirt*innen oder NGOs, die von der Unterstützung der EU abhängig sind, sollen allerdings nicht für das Verhalten ihrer Regierungen bestraft werden. Sie können künftig über eine Internet-Plattform Beschwerden bei der Europäischen Kommission einreichen, um die ihnen zustehenden Beträge zu erhalten.

Rechtsstaatlichkeit ist Fundament Europas

„Die heutige Einigung mit dem Europäischen Parlament auf die Einführung einer Rechtsstaats-Konditionalität ist ein Durchbruch. Zum ersten Mal werden EU-Haushaltsmittel mit Einhaltung rechtsstaatlicher Standards verknüpft. Rechtsstaatlichkeit gehört zum Wertefundament der EU, erklärte Außenminister Heiko Maas auf Twitter.

Michael Roth, Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt, schrieb in einem Tweet: „Neuer Rechtsstaatsdialog im Rat, neuer Rechtsstaatsmechanismus im EU-Haushalt, Fortsetzung der Artikel 7-Verfahren: die deutsche Ratspräsidentschaft ist einer EU verpflichtet, die sich wieder geeint als Werte-/Rechtsgemeinschaft versteht. Danke an die MitstreiterInnen in EP, KOM + Rat.“ Und Bundesjustizministerin Christine Lambrecht kommentierte ebenfalls auf Twitter: „Die Rechtsstaatlichkeit ist ein Fundament Europas, das wir verteidigen müssen.“

Nein gegenüber autoritären Bestrebungen

Der Rechtsstaatsmechanismus war am Dienstagabend auch Thema bei der vorwärts-Digitalkonferenz „Wie stärken wir den Zusammenhalt in Europa?“ SPD-Politikerin Katarina Barley forderte dort ein klareres Nein gegenüber autoritären Bestrebungen und einer Verletzung von Rechtsstaatlichkeit in Europa. Mit sehr großer Sorge sehe sie als Juristin, wie die Unabhängigkeit der Justiz in einigen EU-Staaten angegriffen werde. „Wir können und wollen nicht beeinflussen, welche Regierung in Ungarn gewählt wird, aber wir wollen und müssen beeinflussen, dass sich jede Regierung an die Spielregeln hält.“

Der am Donnerstag vereinbarte Kompromiss muss nun formell vom Europäischen Parlament und dem Ministerrat angenommen werden. Bundesministerin Lambrecht hofft, dass Europaparlament und Europäischer Rat die Einigung bald annehmen. „Dann bekommt die EU ein wirkungsvolles Instrument, wenn europäische Grundwerte infrage gestellt werden.“

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Kommentare

Bei Verstößen gegen Rechtsstaatlichkeit drohen Sanktionen

Die Botschaft hör ich gern, allein mir fehlt der Glaube.

Wenn auch, wie ich hoffe, das EU-Parlament der Regelung zustimmt, aber rechtskräftig beschlossen und wirksam in Kraft ist sie noch lange nicht.

Allzu lange Zeit haben sich die Mitgliedsstaaten, insbesondere auch die EVP, von den Orbans in Ungarn und Polen über den Tisch ziehen lassen, und diese werden weiterhin versuchen, die Regelung zu unterlaufen.

Schon Helmut Schmidt hatte die voreilige Aufnahme der osteuropäischen Länder in die EU kritisiert, und den Schaden, dass die Visegrad-Staaten zwar gerne die Gelder kassieren, aber sich weder an rechtsstaatliche Regeln halten noch Flüchtlinge aufnehmen, haben andere über viele Jahre in Kauf nehmen müssen.

Wenn die Redaktion es genehmigt, darf ich hierzu auf einige Ausführungen in meinem Buch "Ist Europa gescheitert?", das vor vier Jahren erschienen ist, hinweisen.

In dem Zusammenhang müsste

In dem Zusammenhang müsste aber auch die Situation in Deutschland diskutiert werden, ob hier im Lande denn die Rechtsstaatlichkeit besteht und demokratische Grundwerte geachtet werden.

Rechtsstaatsmechanismus

So wird es auch kommen. Im Rahmen des Rechtsstaatsmechanismus werden alle Mitgliedsstaaten auf ihre Rechtsstaatlichkeit hin überprüft.

Wiedervorlage in

12 Monaten ist notiert

Rechtsstaatlichkeit

Ungarn und Polen haben bereits - wie erwartet - Widerstand angekündigt. Wie kann die EU aufgrund des überholten Einstimmigkeitsprinzips Sanktionen gegen Länder, die sich nicht an die Rechtsstaatlichkeitsprinzipien halten, durchsetzen. Die Gründe, die für eine Aufnahme in die EU gelten, müssten gleichermaßen für einen Verbleib in der EU Anwendung finden.

Nicht zuletzt wegen der Probleme, die die EU mit Polen und Ungarn, wo möglich auch mit anderen, hat, sollte sie von der Aufnahme weiterer Staaten, insbesondere Türkei und Ukraine, tunlichst Abstand nehmen.