Parteileben

Esken und Klingbeil: „Die SPD ist mehr als der Koalitionsvertrag“

Die neuen Co-Parteivorsitzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil wollen die SPD als führende Regierungspartei etablieren – und zu weiteren Wahlerfolgen im kommenden Jahr führen.
von Karin Nink · 14. Dezember 2021
Neue SPD-Doppelspitze Esken und Klingbeil: Wahnsinn, was die SPD gerade alles an historischen Momenten erlebt

Saskia Esken, vor zwei Jahren haben Sie Norbert-Walter Borjans gefragt, ob er mit Ihnen für den Parteivorsitz kandidieren will. Wer hat diesmal wen gefragt?

Saskia Esken: Ich habe als Co-Vorsitzende ein klitzekleines bisschen früher von Norbert erfahren, dass er nicht mehr antreten möchte, und habe deswegen – wieder ich – Lars gefragt. (lächelt)

Lars Klingbeil, nach vier Jahren ­Generalsekretär sind Sie jetzt mit 86,3 Prozent zum ­Parteivorsitzenden ­gewählt worden. Das ist eine ­besondere Karriere in der SPD. Was ist das für ein Gefühl?

Lars Klingbeil: Ich empfinde erst mal Demut. Ich weiß, dass es eine wahnsinnig große Ehre ist, Vorsitzender der SPD zu sein, und ich kann nur sagen, dass ich mich darauf freue, dieses Amt zu prägen. Ich konnte als Generalsekretär viele Dinge mit den beiden Parteivorsitzenden umsetzen. Gerade in den vergangenen zwei Jahren haben wir wirklich eine wahnsinnige Strecke absolviert, die in einer besonderen Woche mündete: am 4. Dezember der Sonderparteitag zum Koalitionsvertrag, an ­Nikolaus die Vorstellung der Bundesministerinnen und -minister, am Tag danach die Unterzeichnung des Koalitionsvertrags und am 8. Dezember die Kanzlerwahl von Olaf Scholz. Es ist Wahnsinn, was die SPD gerade alles an historischen Momenten erlebt. Die Arbeit, die in diese Erfolge gemündet ist, möchte ich als Vorsitzender weiterführen.

Mit Norbert Walter-Borjans zusammen haben Sie in den vergangenen zwei Jahren die Partei stabilisiert, was sicher eine wichtige Grundlage für den Wahlsieg war. Wo sehen Sie jetzt die Aufgabe der Parteiführung?

Esken: Kurzer Rückblick: Wir Parteivorsitzende haben das gemeinsam mit Lars Klingbeil, Olaf Scholz und Rolf ­Mützenich als Team geleistet. Es ist bei uns schnell die Überzeugung gewachsen, dass wir das, was wir uns vorgenommen hatten, nur geschlossen als Partei schaffen können. Das ist uns gelungen. Damit sind der Plan und die Zuversicht entstanden, auf den Wahlsieg und einen Kanzler Olaf Scholz hinzuarbeiten. Als führende Regierungspartei stellt sich die Aufgabe umso mehr, für die SPD auch weiterhin eine vorausschauende Programmatik zu entwickeln für die Herausforderungen, die vor uns liegen und die noch kommen – nicht nur als Regierungspartei, sondern durchaus auch in allen anderen Funktionen, die wir haben. Wir sind ja auch Kommunalpartei, europäische Schwesterpartei und vieles andere mehr.

Welche Schwerpunkte bringen Sie als frisch gewählte ­Parteivorsitzende ein?

Klingbeil: Wir haben einen Leitantrag auf dem Bundesparteitag verabschiedet, der unseren Weg in den nächsten Jahren beschreibt. Der Koalitionsvertrag, den wir verhandelt haben, gibt ganz viele Möglichkeiten, Dinge umzusetzen, die uns sehr wichtig sind. Aber die SPD ist mehr als dieser Koalitionsvertrag.

Es ist die Aufgabe der Sozialdemokratie für die nächsten Jahre, bei dem großen Thema Transformation – also Klimawandel, Digitalisierung, Veränderung der Arbeitswelt – Partner an der Seite der Menschen zu sein und sie durch diese Veränderungen zu bringen. Daran werden wir arbeiten. Da muss die Partei der Ort sein, an dem diese gesellschaftspolitischen Debatten geführt werden, auch mit Partnern wie den Gewerkschaften, den Sozialverbänden oder auch mit Arbeitgebern und Umweltaktivisten. Das haben wir beim Sozialstaatskonzept schon geschafft, indem wir eine neue Idee für den Sozialstaat entwickelt haben.

Jetzt geht es um etwas noch Größeres, nämlich eine Idee zu entwickeln, wie wir den Fortschritt auf der einen Seite begrüßen und gestalten, auf der anderen Seite aber auch denen, die unsicher sind, die nicht wissen, wie sie durch den Wandel kommen, eine politische Heimat geben.

Wir haben eine neue, wunderbare Bundestagsfraktion, die ist bunt, vielfältig und jung. Das ist genau die SPD, die wir immer haben wollten und für die wir gearbeitet haben. Die ist jetzt da. Das darf aber nichts Einmaliges sein, es muss selbstverständlich sein, dass Menschen in unseren Reihen eine Migrationsgeschichte haben, dass die junge Generation mitredet in der Partei. Das geht weit über diese Bundestagswahl hinaus. Auch daran werden wir in der Parteizentrale arbeiten.

Esken: Unsere Aufgabe ist es, in diesem Wandel Orientierung und Sicherheit zu geben, aber auch Beteiligung zu ermöglichen und für Zusammenhalt zu sorgen. Das ist eine große Aufgabe, die die deutsche Sozialdemokratie in ihrer historischen Verantwortung immer wieder übernommen hat.

Was soll die Überschrift der SPD in zwei Jahren und in vier Jahren sein?

Klingbeil: In vier Jahren wäre die Überschrift: „Kanzler Scholz mit noch besserem Ergebnis wiedergewählt!“ Ich glaube, das ist das, was wir in vier Jahren sehen wollen und worauf wir hinarbeiten werden. In zwei Jahren brauchen wir die Überschrift: „Die SPD ist der spannendste politische Ort“ – und zwar nicht im Sinne von viel Rambazamba, sondern um zu sagen: Wenn du Politik gestalten willst, dann geh zur Sozialdemokratie. Das ist dafür der bestgeeignete Ort. Die SPD zu einem solchen Ort zu machen, dafür zu sorgen, dass bei uns die großen programmatischen Debatten stattfinden, dass es bei uns das Miteinander gibt, dass die Menschen sich bei uns wohlfühlen und dass sie wissen: Bei uns einzutreten und mitzumachen ist eine Chance, auch das Land zu verändern.

Esken: Hört sich gut an! Ich hoffe und wünsche mir, dass wir die Debatten dann nicht mehr nur digital führen müssen, sondern wieder direkt vor Ort bei den Menschen. Denn die Debatte lebt eben auch von der persönlichen Begegnung. Das gesamte Parteileben lebt davon – bei allen Vorteilen der Digitalisierung, die wir als Digitalpolitiker durchaus zu schätzen wissen.

Die SPD ist als Kanzlerpartei in einer anderen Rolle. Wie definieren Sie das Verhältnis zwischen Partei und ­sozial­demokratisch geführter ­Regierung?

Esken: Ich würde sagen: Ja, wir sind die Partei des Kanzlers, aber wir sind nicht nur Kanzlerpartei, sondern wir sind in ganz vielfältigen Rollen. Wenn ich sage, die SPD ist eigenständige politische Kraft, dann ist sie das auch als führende Regierungspartei. Auch in dieser Rolle muss sie in der Lage sein, Impulse für die Regierung zu geben, die nicht unbedingt aus der Regierungslogik heraus entstehen, sondern aus unseren Debatten.

Für die Parteivorsitzenden muss sich der Führungsstil jetzt nicht ändern?

Klingbeil: Nein, im Gegenteil. Erst mal unterstreiche ich, was Saskia gesagt hat. Es gibt politische Aufgaben, die vor uns liegen, die sind größer als eine Legislatur. Das heißt natürlich, dass wir in der Partei Debatten führen werden, die über die Koalitionszeit hinausgehen.

Die vergangenen zwei Jahre haben gezeigt, dass wir im Team Politik machen können, dass wir das Gemeinsame und nicht das Trennende nach vorne stellen. Es ist ganz wichtig, dass wir das nach diesem Wahlerfolg auch verinnerlichen: Es gibt nicht „die Regierungs-SPD“ und die „Nicht-Regierungs-SPD“ oder die „Ost-SPD“ oder die „West-“ oder die „Seeheimer-“ „oder die „Netzwerker-SPD“. Es gibt eine SPD!

Sich immer wieder zu fragen, was ist eigentlich das gemeinsame Ziel, das wir haben, das muss gelingen. Ich traue uns zu, diesen Weg erfolgreich weiterzugehen, weil ja mit Saskia, mit Rolf, mit Olaf, mit mir von den Fünfen, die das über zwei Jahre geschafft haben, vier weiter dabei sind, wenn auch zum Teil in anderen Rollen.

Esken: Wir kriegen von Mitgliedern auch genau dazu ganz viel positives Feedback. Das ist genau wie der Wahlerfolg Teil des neuen Stolzes auf die SPD. Nur so konnte die SPD stark werden und als stolze Partei aus der Wahl hervorgehen.

Ist das auch ein Beleg dafür, dass die Erneuerung der Partei in der ­Regierung möglich ist? Das war ja durchaus umstritten.

Klingbeil: Ja, das haben wir doch gezeigt. Wir haben regiert in schwierigsten Zeiten. Dabei sind wir in der Partei vielleicht von sehr unterschiedlichen Punkten aus losgelaufen, aber wir waren – und das eint uns wiederum – alle heilfroh, dass in dieser Pandemie Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten mit Verantwortung in der Regierung getragen haben. Auch das hat uns beim Wahlerfolg geholfen.

Sie haben auf dem Parteitag gesagt: „Ein Wahlsieg reicht mir nicht,auch wenn er noch so toll war.“ – Auf ­welche Wahlsiege setzten Sie im nächsten Jahr und darüber hinaus?

Klingbeil: Wir haben vier Landtagswahlen. Und als Niedersachse wünsche ich mir natürlich, dass Stephan Weil im Oktober Ministerpräsident bleibt. Wir haben auch eine Chance, im Saarland mit Anke Rehlinger die Ministerpräsidentin zu stellen, mit Thomas ­Kutschaty in NRW und Thomas Losse-Müller in Schleswig-Holstein die Staatskanzlei zurückzugewinnen. Dann kämen noch vier weitere sozialdemokratische Ministerpräsidenten hinzu. Wenn ich mir die aktuellen Umfragen angucke, dann gibt’s da wirkliche Chancen.

Es liegt jetzt auch an uns. Wenn wir das gut hinkriegen in der Regierung, wenn wir genau mit dem Selbstbewusstsein, auch mit der Demut und in dem Stil, wie wir uns als Partei jetzt aufgestellt haben, wie wir Koalitionsverhandlungen geführt und die Regierung gebildet haben, weitermachen, dann haben wir eine große Chance das zu schaffen.

Esken: Und wir haben 2024 die Europawahl, wo wir uns mit einer jungen und diversen Mannschaft aufstellen werden. Als starke Europa-Partei wollen wir unsere Begeisterung für die europä­ische Idee auf Wählerinnen und Wähler  übertragen und zeigen, wie viel wir in Europa gestalten können.

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Karin Nink

ist Chefredakteurin des "vorwärts" und der DEMO – Das sozialdemokratische Magazin für Kommunalpolitik sowie Geschäftsführerin des Berliner vorwärts-Verlags.

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