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Wie der erste hybride SPD-Bundesparteitag ablief

Mit dem Bundesparteitag haben Lars Klingbeil und Saskia Esken gemeinsam die Führung der SPD übernommen. Norbert Walter-Borjans ist nach zwei Jahren als Vorsitzender verabschiedet worden.
von Vera Rosigkeit · 9. Dezember 2021
Wichtige Weichenstellung: Der SPD-Parteitag am 11. Dezember 2021 entscheidet über die inhaltliche und personelle Aufstellung der Partei.
Wichtige Weichenstellung: Der SPD-Parteitag am 11. Dezember 2021 entscheidet über die inhaltliche und personelle Aufstellung der Partei.

Ein ordentlicher SPD-Bundesparteitag in Berlin wählt am Samstag einen neuen Parteivorstand. Für den SPD-Vorsitz kandidieren die Co-Vorsitzende Saskia Esken und der bisherige Generalsekretär Lars Klingbeil. Norbert Walter-Borjans tritt nicht erneut als Co-Chef an. Für das Amt des Generalsekretärs kandidiert Kevin Kühnert, der frühere Juso-Vorsitzende und bisherige stellvertretende SPD-Chef.

Abschied von Walter-Borjans

„All das, was wir erreicht haben, ist maßgeblich dein Werk. Dafür bin ich dir sehr dankbar, aber auch für die gute gemeinsame Zeit, die wir zusammen hatten. Heute Abend ist der Moment, wo du dir Abschiedsreden anhören musst. Ich wünsche dir ganz viel Glück, eine wunderbare Zeit und hoffe, dass wir in sehr guter Verbindung bleiben“, sagt Saskia Esken zum Abschied über ihren bisherigen Co-Vorsitzenden Norbert Walter-Borjans. Sie erinnert noch einmal an den gemeinsamen Weg der beiden, die Kandidatur für den Parteivorsitz, inklusive 23 Regionalkonferenzen. Als Symbol dafür überreicht sie ihm einen Miniaturbus mit der Aufschrift „Eskabolation“.

Walter-Borjans' Nachfolger Lars Klingbeil ergänzt: „Du hast Eigenschaften, die in Berlin nicht gezwungenermaßen verbreitet sind. Du bist jemand, der kein Blatt vor den Mund nimmst und der klare Werte hat. Die Bilanz, die du hast für zwei Jahre, die haben nicht viele SPD-Vorsitzende. Die SPD hat dir wahnsinnig viel zu verdanken. Dafür ein ganz großer Dank!“

Barley für Europa

Katarina Barley ist neue Europabeauftragte des SPD-Parteivorstandes. In ihrer Bewerbungsrede sagt die stellvertretende Vorsitzende des Europaparlaments: „Der sozialdemokratischen Politik eine Stimme zu geben ist eine der wichtigsten Aufgaben einer SPD-Europabeauftragten.“ Die Rheinland-Pfälzerin weist auf die Probleme innerhalb der Europäischen Union hin: „In Polen können wir nicht mehr von einer unabhängigen Justiz sprechen. Ungarn ist keine Demokratie mehr. Das Wahlrecht hat Orbán so verändert, dass die Opposition die Wahlen fast nicht gewinnen kann. Und selbst wenn sie gewinnen sollte, hat er dafür gesorgt, dass er trotzdem alle wichtigen Positionen in der Hand behält. Die EU ist viel zu lange tatenlos geblieben. Das rächt sich jetzt!“

In seiner Bewerbungsrede als Generalsekretär betont Kevin Kühnert, dass Einigkeit die SPD stark mache, so wie es auf zahlreichen SPD-Traditionsfahnen stehe. „Aber Einigkeit entsteht nicht, indem man behauptet, dass sie da ist, sondern Einigkeit hat Voraussetzungen.“ Dazu gehöre es für die Programmpartei SPD „auf der Höhe der Zeit zu sein“, wie Willy Brandt es einmal sagte. Das sei etwa bei der Entwicklung des Sozialstaatskonzepts gelungen. Es sei ein Beispiel dafür, „wie wir gemeinsam Erfolg haben können“. Daraus könne die SPD lernen „und das möchte ich gerne als Generalsekretär auch tun“, so Kühnert. Dafür wünscht er sich „klare politische Analysen“. Darüber hinaus müsse die Partei „Themen identifizieren, an denen wir noch arbeiten müssen“. Als Beispiele dafür nennt er Zuwanderung und Fachkräftemangel, das Recht auf Arbeit, eine gemeinwohlorientierte Politik bei Grund und Boden sowie die Bürgerversicherung.

Kevin Kühnert: Ich möchte alles geben

„Ich möchte als Generalsekretär Anwalt der Partei, Hüter und Treiber ihrer Programmatik und Kommunikator gegenüber einer demokratischen Öffentlichkeit sein“, betont Kühnert. Das beschreibt er „als Versprechen an die Gesellschaft und an die Medien“. Die SPD müsse ihre Politik immer wieder erklären und kommunizieren. „Wir werden uns nicht einmauern in der Parteizentrale, wir haben nichts zu verbergen“, verspricht er. „Wir werden den Diskurs mit der Gesellschaft suchen und das werde ich auch ganz persönlich tun.“ Das werde bereits für die Landtagswahlen im nächsten Jahr gelten. Die Genossinnen und Genossen in den Landesverbänden würden „die bestmögliche Unterstützung bekommen“ für ihre Wahlkämpfe.

Zum Ende seiner Rede erinnert Kevin Kühnert an eine „kluge Sozialdemokratin“, die der SPD vor zwei Jahren eine wichtige Botschaft mit auf den Weg gegeben habe: „Bleibt beieinander! Und handelt besonnen! Ich hoffe sehr, dass es euch gelingt, Vertrauen und gegenseitigen Respekt wieder zu stärken. … Unser Land braucht eine starke SPD.“ Und Kühnert antwortet ihr auf dem Parteitag: „Liebe Andrea Nahles, wir haben diese Worte damals nicht nur mitgenommen, sondern verstanden, verinnerlicht und umgesetzt.“ Danach werde die SPD auch in der Zukunft handeln und so ihren Erfolg bewahren und ausbauen. „Ich möchte alles dafür geben“, schließt Kühnert seine Rede, „der sozialdemokratischen Partei, ihrer Sache, ihren Beschlüssen und ihren aktuell so stolzen Mitgliedern in den kommenden zwei Jahren als Generalsekretär dienen zu dürfen.“

Geywitz: Von Konkurentinnen zu Kameradinnen

Als stellvertretende Parteivorsitzende der SPD kandidieren Klara Geywitz, Hubertus Heil, Thomas Kutschaty, Serpil Midyatli und Anke Rehlinger. „Vor zwei Jahren sind wir gestartet als Konkurentinnen. Jetzt sind wir Kameradinnen“, gratuliert Geywitz zu Beginn ihres Redebeitrages Saskia Esken zu ihrer Wiederwahl als Parteivorsitzende. „Ich freue mich, im Kabinett für ostdeutsche Interessen miteinzustehen“, sagt die neue Bundesbauministerin Klara Geywitz. Sie betont, es brauche einen Aufbruch beim Bauen, auch um die Klimaziele zu erreichen. „Wir können uns nicht entscheiden, entweder Bauen oder Klimaschutz, sondern wir müssen beides zusammen denken“, sagt Geywitz.

Hubertus Heil: „Alle Menschen im Blick haben“

Für Bundesarbeitsminister Hubertus Heil ist klar: „Wir sind eine Partei der Arbeit und der arbeitenden Gesellschaft.“ Es gehe ihm um den Respekt vor jeder Arbeit, ob Reinigungskraft, Facharbeiterinnen oder Facharbeiter oder Leitende Angestellte. Drei Dinge gelte es seiner Meinung nach in den Blick zu nehmen: Die Zukunft der Arbeit, die Würde und den Wandel der Arbeit. Dafür müsse Deutschland Weiterbildungsrepublik werden, damit Beschäftigte von heute die Chance haben, die Arbeit von morgen zu machen. Aber auch der Kampf gegen Ausbeutung wie beispielsweise in der Fleischindustrie will Heil weiterhin den Kampf ansagen und für gute Arbeitsbedingungen und Entgelte sorgen. Die SPD solle Pragmatismus und Idealismus verknüpfen und so „Alle Menschen im Blick haben.“

Kutschaty und Rehlinger wollen Ministerpräsident*innen werden

Thomas Kutschaty, Partei- und Fraktionschef der SPD in NRW und Spitzenkandidat bei der Landtagswahl 2022, stimmt die SPD bereits auf das nächste Jahr ein: „Allein im ersten Halbjahr stehen drei schwarze Ministerpräsidenten in Deutschland zur Abwahl an.“ Im Saarland, in Schleswig-Holstein und in NRW. „Das verspreche ich euch: Wir als nordrhein-westfälischer Landesverband und ich persönlich, wir haben uns vorgenommen, dass die letzten fünf Jahre in Nordrhein-Westfalen nur ein Ausrutscher waren. Wir wollen Nordrhein-Westfalen wieder rot regieren!“

„Ich bitte um eure Unterstützung bei der Landtagswahl am 27. März. Die gewonnene Bundestagswahl soll kein One-Hit-Wonder bleiben. Ich will den Erfolg der Bundestagswahl fortsetzen, das Vize aus dem Titel streichen und Ministerpräsidentin des Saarlandes werden“, sagt Anke Rehlinger, die zum zweiten Mal als stellvertretende Parteivorsitzende kandidiert. Mit Blick auf die Landtagswahl sagt sie: „Bei uns demonstrieren IG Metall und Fridays for Future zusammen für eine nachhaltige Stahlindustrie. Sie gehen nicht nur zusammen auf die Straße, sondern auch bei uns auf die Liste zur Landtagswahl.“ 37 Prozent erreichte die SPD bei der Bundestagswahl im Saarland. „Wir empfehlen das zur Wiederholung im kommenden Jahr“, sagt Rehlinger.

Serpil Midyatli: SPD mache „Vielfalt erlebbar“

Serpil Midyatli, die SPD-Vorsitzende in Schleswig-Holstein, betont in ihrer Rede, dass die SPD „eine Partei für alle Menschen“ sein müsse. Die Vielfalt in der neuen Bundestagsfraktion sei dafür ein sichtbares Zeichen, die SPD mache „Vielfalt erlebbar“. Diesen Weg will Midyatli weitergehen. „Ich möchte gerne auch meinen Beitrag dazu leisten. Und ich wünsche mir, dass es mir gelingt eine Diversitätsstrategie für unsere Partei mit auf den Weg zu bringen.“ Das bedeute Junge und Ältere, Männer und Frauen, Menschen mit und ohne Einwanderungsgeschichte zu beteiligen. „Denn wir sind die Partei für alle Menschen in diesem Land und dafür lohnt es sich einzustehen“, so Serpil Midyatli. „Und dafür will ich mich mit euch weiter einsetzen.“

Nietan: auch finanziell „Kräfte zu bündeln“

Er will den Kurs der Konsolidierung weiterführen. Dietmar Nietan kandidiert erneut als Schatzmeister und sieht den Wahlsieg der SPD als zweite Chance den Weg der Konsolidierung zum Ziel zu bringen. Dabei gehe es nicht um „Sparen, Sparen, Sparen“, sondern vielmehr darum, die „Kräfte zu bündeln“, in dem man Synergien schaffe, ist Nietan überzeugt.

Sein Dank gilt der Partei, „alle haben mitgemacht. Das Beitragsaufkommen habe sich erhöht, weil einige aus Solidarität mehr zahlen, sagt er. Auch das Willy-Brandt-Haus soll neu aufgestellt werden, dabei sei Personal kein Kostenfaktor, sondern ein Erfolgsfaktor. Im beschlossenen Leitantrag heiße esl: „Wir wollen die SPD zur modernsten und schlagstärksten Mitgliederpartei machen bis 2025.“ Nietan betont: „Das können wir gemeinsam schaffen.“

Großes Lob von DGB-Chef Reiner Hoffmann

Solidarische Grüße vom Deutschen Gewerkschaftsbund: Für DGB-Chef Reiner Hoffmann hat der Koalitionsvertrag Stärken und Schwächen. Es sei ein starkes Signal, dass sich viele Punkte, die es in das Wahlprogramm der SPD geschafft haben, nun auch im Koalitionsvertrag wiederfinden, betont Hoffmann. Gleich zu Beginn stellt er zwei „ganz zentrale Leitsätze“ aus dem Koalitionsvertrag aus gewerkschaftlicher Sicht vor. Zum einen, dass die sozial-ökologische Transformation und die Digitalisierung nur mit den Arbeitnehmer*innen wirksam gestaltet werden könne. Zum anderen, dass jede Arbeit Respekt und Anerkennung verdient, zitiert Hoffmann.

Wichtig sei, dass der Mindestlohn auf 12 Euro angehoben wird. Doch gibt Hoffmann zu Bedenken, dass der Mindestlohn „nur die unterste Haltelinie“ sei. Dagegen würden in Tarifverträgen weit mehr geregelt als nur das Entgelt, nämlich gute Arbeitsbedingungen und vernünftige Arbeitszeiten. Großes Lob gelte deshalb der SPD, die zentrale Elemente zur Stärkung der Tarifbindung wie das Bundestariftreuegesetz in den Koalitionsvertrag hineingeschrieben habe. Auch die Einführung der Nachwirkung von Tarifverträgen bei Betriebsauslagerungen werde die „Tarifflucht der Kapitalisten“ in Deutschland eindämmen, ist Hoffmann überzeugt.

Die Verabredung des Koalitionsvertrags würden aber auch die Mitbestimmung stärken, ebenso dankbar ist Hoffmann auch darüber, dass die Ausbildungsgarantie „endlich kommt“. Hoffmann bedankt sich für die „extrem gute und erfolgreiche Zusammenarbeit“, insbesondere auch bei Norbert Walter-Borjans, der nicht mehr zur Wahl des Parteivorsitzenden antritt.

Mützenich: „Wir haben Wort gehalten“

Der SPD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag Rolf Mützenich weist in der Aussprache nach den Reden der designierten Parteivorsitzenden auf die schwierige Situation hin, als er sein Amt nach dem Rücktritt von Andrea Nahles übenommen hatte: „Ich habe vor zwei Jahren gesagt, wir führen diese Fraktion wieder zusammen und wir haben Wort gehalten, durch erfolgreiche Arbeit, durch Disziplin, aber auch durch Respekt voreinander.“ 

Manuela Schwesig, wieder gewählte Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, nimmt in ihrem Redebeitrag noch einmal Bezug auf die Kanzlerwahl am Mittwoch: „Es war ein wunderbarer Tag und ein Erfolg der gesamten SPD. Uns Norddeutschen sagt man ja immer nach, wir seien nicht so emotional, aber lieber Olaf, das stimmt gar nicht. Es war ein ganz emotionaler Moment.“ Das einzige, was noch fehle, seien ein paar mehr SPD-Ministerpräsident*innen auf der Bundesratsbank. „Dann ist die Sache rund“, sagt Schwesig.

Schwesig warnt vor radikalen Kräften

Zugleich mahnt sie: „Das Allerwichtigste ist, dass die deutsche Sozialdemokratie diejenige Kraft bleibt, die das Land zusammen hält.“ In dieser Woche hatten radikale Demonstrant*innen versucht, vor das Haus der Ministerpräsidentin zu gelangen. Der Fackelzug wurde erst 100 Meter davor von der Landespolizei gestoppt. Deswegen sagt Schwesig: „Dieses große Glück der Demokratie, dass wir Themen kontrovers diskutieren können, dürfen wir uns nicht nehmen lassen, von denen, die meinen, Meinung müsste man mit Drohungen und Gewalt auf die Straße bringen.“

Bettina Martin, Wissenschaftsministerin unter Schwesig in Mecklenburg-Vorpommern, fordert die Partei auf, eine stärkere Präsenz in strukturschwachen Regionen zu zeigen. Sie selbst habe bei der Landtagswahl in einem Wahlkreis im Süden Vorpommerns kandidiert, der zuvor noch nie von der SPD gewonnen worden war – mit Erfolg. Martin gewann den Wahlkreis direkt und setzte sich gegen die AfD durch. „Gerade in diesen Regionen versuchen die Hetzer und Rechtspopulisten Land zu gewinnen. Da müssen wir reingehen und dürfen keine Gebiete der AfD überlassen“, sagt die Ministerin.

Warnung vor den Feinden der Demokratie

Die Bundesvorsitzende Jessica Rosenthal nutzt die Aussprache, um sich als „Stimme für Menschen, die nicht gehört werden“ zu positionieren. Sie meint die vielen Migrant*innen, die gegenwärtig an der Grenze zwischen Polen und Belarus ausharren. „Es ist unsere Aufgabe, eine Lösung zu finden“ für diese Menschen, betont Rosenthal. Sie fordert einen Zugang von Medien und Hilfsorganisationen zu den Migrant*innen, die unter menschenunwürdigen Bedingungen und bei eisigen Temperaturen ausharren müssten. Es sei richtig, dass der Parteivorstand dies in einem Antrag zum Parteitag einfordere.

Georg Maier, der SPD-Chef von Thüringen und Innenminister des Landes, warnt in seiner Rede vor der Bedrohung der Demokratie durch Rechtsradikale. In Thüringen sei die AfD bei der Bundestagswahl im September 2021 landesweit stärkste Partei geworden. Deshalb sei es die Aufgabe, „hier die Demokratie ganz unmittelbar zu verteidigen“. Er warnte vor der „toxischen Mischung“ aus „Querdenkern“, „Reichsbürgern“ und AfD, die in der Corona-Krise immer bedrohlicher werde. Maier ruft dazu auf, „den Rechtsstaat gegen die Feinde der Demokratie durchzusetzen.“

Auch Katja Pähle, Fraktionsvorsitzende der SPD im Landtag von Sachsen-Anhalt, ruft dazu auf, für ein positiveres Bild von Ostdeutschland zu Sorgen. Nicht rechtsextreme Fackelträger*innen sollten die Debatte bestimmen, fordert sie. „Als SPD stehen wir für den anderen Osten. Dieser Osten ist jung, dieser Osten ist divers, dieser Osten ist weitgehend rot und dieser Osten ist selbstbewusst, wie es uns Regine Hildebrandt und Reinhard Höppner gelehrt haben“, sagt sie.

Esken: „Wir sind stolz auf unsere alte Tante SPD“

„Hinter uns liegen die großartigsten Wochen, die man sich als SPD-Parteivorsitzende überhaupt vorstellen kann“, sagt die SPD-Vorsitzende Saskia Esken in ihrer Bewerbungsrede. Mit einem Augenzwinkern fügt sie an: „Nikolaus ist GroKo-Aus, so haben die Jusos 2019 geworben und keine zwei Jahre später haben wir geliefert.“ Aus der Parteivorsitzenden spricht Stolz über das Erreichte, das Ergebnis der Bundestagswahl und die Wahl von Olaf Scholz zum Bundeskanzler in dieser Woche. „Die SPD ist wieder da! Wir sind geeint wie seit vielen Jahren nicht mehr“, sagt Esken.

Die Partei besetze wieder sozialdemokratische Kernthemen. Die SPD sei gleichermaßen erfahren, jung, weiblich, männlich, divers und vor allem wieder attraktiv. „Wir haben uns vor zwei Jahren ein Herz gefasst und gemeinsam entschieden, wie es besser gehen kann. Das Ergebnis haben wir diese Woche gesehen: Wir sind Kanzler. Wir sind einfach nur stolz auf unsere alte Tante SPD“, sagt Esken. Der Wahlsieg ihrer Partei in diesem Jahr sei das vielleicht größte Comeback in der deutschen Parteiengeschichte. Nun gelte es, neue Antworten für eine neue Zeit zu finden.

An ihren scheidenden Co-Vorsitzenden Norbert Walter-Borjans gerichtet, mit dem sie sich vor zwei Jahren bei einer Mitgliederbefragung zum SPD-Parteivorsitz durchgesetzt hatte, sagt sie: „Lieber Norbert, das war eine wunderbare Zeit, und unser Erfolg ist ein wahres Gemeinschaftswerk. Und deshalb schmerzt uns Dein Abschied! Was bleibt, ist dein riesengroßer Anteil an diesem Erfolg. Was bleibt, ist unsere tiefe Dankbarkeit dafür.“

Klingbeil: Brücken bauen für eine gute Zukunft

Für ihn gehe es heutzutage in der Politik und in der Gesellschaft darum, Brücken zu bauen, denn keiner könne die anstehenden Aufgaben, die vor uns liegen, alleine lösen, sagt Lars Klingbeil. Seiner Meinung nach „führt der Weg in eine gute Zukunft über Brücken, geht nicht durch Gräben“. Gute Führung wiederum mache aus, die richtigen Fragen zu stellen und neue Antworten auf neue Situationen zu finden. „Das ist ein kraftvoller Prozess, und das ist mein Weg“, erklärt Klingbeil in seiner Vorstellungsrede als Parteivorsitzender.

Kraftvoll ist auch seine Rede. Beginnend mit dem großen Erfolg bei der Bundestagswahl, obwohl man noch ein Jahr zuvor „mit dem Rücken zur Wand“ gestanden habe. Aber man habe Bestehendes in Frage gestellt, sei neue Wege gegangen und „wir haben uns nie aufgegeben“, sagt er mit Blick auf vergangene Jahre.

Zusammenhalt als Grundlage für Fortschritt

Nun habe man das erste Mal seit 16 Jahren auf einem SPD-Parteitag wieder einen sozialdemokratischen Kanzler. Klingbeil: „Lasst uns das genießen.“ Überzeugt ist er auch, dass die SPD mit diesem Sieg das Land nach „16 Jahren vom Muff der Konservativen entfesselt habe“. Nun müsse es darum gehen, die bevorstehende Transformation der Wirtschaft zu gestalten, dabei aber den „Menschen im Wandel“ zur Seite zu stehen. Alle müssten wissen, dass sie mit der Sozialdemokratie einen Partner in diesem Veränderungsprozess haben, betont Klingbeil.

Gemeinsam mit vielen Akteurinnen und Akteuren, von den Gewerkschaften über die Unternehmen bis hin zu den Kulturschaffenden wolle man Ideen erarbeiten, „wie die großen Umbrüche dieser Zeit gemeistert werden können“. Klingbeil spricht in diesem Zusammenhang von einem Brückenschlag zwischen den Beschäftigten eines Start-ups in Mainz und Arbeitnehmer*innen in der Lüneburger Heide. Denn die „Grundlage für Fortschritt ist Zusammenhalt“, ist er überzeugt.

Darum gehe es in den nächsten Jahren. Denn Klingbeil hat auch als künftiger SPD-Chef noch viel vor: Ein Sieg bei einer Bundestagswahl reiche ihm nicht, lässt er die Anwesenden im Saal und die Delegierten vor den Bildschirmen wissen. „Ich will mehr!“ Er trete heute gemeinsam mit Co-Chefin Saskia Esken an, damit dieser erfolgreiche Weg weitergehe.

Norbert Walter-Borjans: Danke zum Abschied!

Norbert Walter-Borjans eröffnet den SPD-Bundesparteitag und verabschiedet sich zugleich von den Delegierten als Parteivorsitzender. „Es ist Einstieg und Abschluss, Anfang und Ende, aber es ist auch Zufriedenheit und Dank. Und auch eine Träne im Knopfloch“, so der scheidende Parteichef. Er erinnert an die schwierige Lage der SPD vor zwei Jahren, als er das Amt des Parteivorsitzenden übernahm. Der SPD sei damals viel Skepsis, auch Häme entgegengebracht worden, mancher habe sie auch belächelt. Welch „ein Kontrast“, so Walter-Borjans, zur jetzigen Lage als stärkster Partei im Bundestag mit einem sozialdemokratischen Kanzler. „Die SPD ist wieder da!“

Das habe viel mit ihrer neuen Einigkeit zu tun. 96 Prozent Zustimmung für Olaf Scholz als Kanzlerkandidat, 99 Prozent für den Koalitionsvertrag, das zeige: „Diese SPD ist eine Einheit“. Das werde so bleiben, „wenn wir in der Spur bleiben, und die Sorgen und Nöte, aber auch das Streben aller Menschen im Land nach Glück ernst nehmen und zum Maßstab für unsere Politik machen.“ Im Rückblick auf die letzten zwei Jahre benennt Walter-Borjans die aus seiner Sicht entscheidenden Gründe für den Erfolg der SPD: Das neue Miteinander innerhalb der SPD-Führung und zwischen Parteispitze und Basis. „Lasst uns alles dafür tun, das weiterzuentwickeln.“

Der scheidende Parteichef verabschiedet sich mit den Worten: „Ich bin dankbar dafür, dass ich in den beiden vergangenen Jahren, meinen Beitrag dazu leisten konnte. Diese Partei hat mir viel gegeben und es war mir wichtig, den Versuch zu unternehmen, ihr davon etwas zurückzugeben. Ich hoffe, das ist mir ein Stückchen gelungen.“ Dass dies so ist, zeigt der langanhaltende stehende Applaus, den Norbert Walter-Borjans am Ende seiner Rede erhält.

Wichtige Wahlen auf der Tagesordnung

Auf der Tagesordnung stehen weitere wichtige Wahlen: Etwa für die stellvertretenden Parteivorsitzenden, sowie für die Ämter des/der Schatzmeister/s/in und des/der Verantwortlichen des Parteivorstandes für die Europäische Union. Auch die Beisitzer*innen im Parteivorstand werden neu gewählt.

Als stellvertretende Parteivorsitzende stellen sich zur Wiederwahl: Klara Geywitz, Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen, Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Soziales, Serpil Midyatli, Vorsitzende der SPD Schleswig-Holstein und Anke Rehlinger, Vorsitzende der SPD Saar und stellvertretende Ministerpräsidentin des Saarlandes. Thomas Kutschaty, Vorsitzender der SPD in NRW und Chef der SPD-Landtagsfraktion, tritt erstmals an. Dietmar Nietan, Schatzmeister der SPD, stellt sich zur Wiederwahl.

Erste Rede von Scholz als Kanzler vor der SPD

Die Parteispitze und die sozialdemokratischen Mitglieder der Bundesregierung sowie die SPD-Ministerpräsident*innen versammeln sich im CityCube der Berliner Messe, die rund 600 Delegierten sind aufgrund der Corona-Pandemie digital zugeschaltet. Nach dem Parteiengesetz dürfen Personalwahlen nicht digital stattfinden. Damit steht das Ergebnis der digitalen Wahlen unter dem Vorbehalt der Bestätigung durch den Parteitag im Wege der anschließenden Briefwahl durch die Delegierten.

Der Parteitag wird darüber hinaus einen Leitantrag zur künftigen Politik der SPD beraten und verabschieden. Mit Spannung wird auch die erste Rede des neu gewählten Bundeskanzlers Olaf Scholz auf dem Parteitag erwartet.

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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