Geschichte

Erinnerung an Peter Struck: „Volksvertreter“ war für ihn das Größte

Bestürzung und Trauer waren groß, als Peter Struck am 19. Dezember 2012 nach einem Herzinfarkt starb. Viele Weggefährten hatten ihn noch zwei Tage zuvor bei der Wiederwahl zum Vorsitzenden der Friedrich-Ebert-Stiftung voller Energie erlebt.
von Norbert Bicher · 14. Dezember 2022
Starb mit 69 Jahren am 19. Dezember 2012: Spd-Politiker Peter Struck
Starb mit 69 Jahren am 19. Dezember 2012: Spd-Politiker Peter Struck

Das Mitgefühl über den frühen Tod des damals 69-jährigen Peter Struck ist zehn Jahre später einem fast liebevollen Erinnern gewichen. Der Mann mit der hohen Stirn, dem Schnauzbart und der Pfeife ist erstaunlich präsent im öffentlichen und medialen Bewusstsein. Als es vor einem Jahr bei den Koalitionsverhandlungen der Ampel um die Ressortverteilung ging, warb die „Süddeutsche Zeitung“ dafür, dass die SPD endlich mal wieder den Zugriff auf das Verteidigungsministerium beanspruchen sollte und titelte den Kommentar „Ein neuer Struck bitte!“

Struck und die Bundeswehr

Bei der Truppe bekommen immer noch viele – auch jene, die diese  Zeit nur vom Hörensagen kennen – leuchtende Augen, wenn von der knappen Amtszeit Strucks von 2002 bis 2005 die Rede ist. Ein Minister, der die Herzen der Soldat*innen mit seiner Geradlinigkeit, Offenheit und Menschlichkeit im Sturm gewann, obwohl ihm alles Militärische fremd war und er viel lieber Fraktionsvorsitzender geblieben wäre, als ihn Bundeskanzler Gerhard Schröder in die Pflicht nahm. In eine Pflicht, in der er die Armee für die Herausforderungen intensiver Auslandseinsätze umstrukturieren musste und aneckte mit seinem Leitsatz: „Deutschlands Sicherheit wird auch am Hindukusch verteidigt.“

Struck und die Bundeswehr, die Bundeswehr und Struck, das war Liebe auf den zweiten Blick. Er fühlte sich wohl als Chef im Berliner Bendlerblock. Und die Truppe mochte ihn. Als im Oktober 2005, genau am Tag der Kommandeurstagung zu 50 Jahre Bundeswehr im alten Plenarsaal in Bonn bekannt wurde, dass das Ministerium in der großen Koalition an die CDU gehen würde, gestatteten sich die Spitzen-Militärs der Bundeswehr einen beispiellosen Gefühlsausbruch: Mit stehenden Ovationen dankte die gesamte Führungsriege Peter Struck für seine Arbeit. Emotionale Bestätigung für Strucks Akzeptanz als Chef im Verteidigungsministerium.

Das „Strucksche Gesetz“

Dennoch hat ihn der Abstecher in die Exekutive nie daran zweifeln lassen, dass seine wahre Berufung stets das Parlament war. „Volksvertreter“ – das war für ihn das Größte. Die Führung der Fraktion: Krönung seines Abgeordnetenmandats. Und das gleich zweimal – von 1998 bis 2002 in der rot-grünen Koalition unter Gerhard Schröder und von 2005 bis 2009 in der großen Koalition unter Angela Merkel („Ich mag sie nicht, und sie mag mich nicht“).

Nie hat er es an Loyalität zu den Regierungschef*innen fehlen lassen, dennoch lehrte er sie, dass das Parlament immer das letzte Wort habe. Das „Strucksche Gesetz“, nach dem kein Gesetzentwurf der Regierung das Parlament so verlasse, wie es in die Beratungen hineinkam, ist über alle Fraktionsgrenzen zum Lehrsatz geworden.

Peter Struck gab in der Fraktion manchmal harsch den Wehner, kümmerte sich aber auch liebevoll um die Themen seiner Abgeordneten. Oft saß er abends im Parlament, um sich die privaten und politischen Sorgen seiner Kolleg*innen anzuhören. Das Parlament war in fast drei Jahrzehnten sein politisches Zuhause, die Fraktion seine Heimat. Struck konnte in der Fraktion poltern und grummeln, in Debatten auch kräftig austeilen. Vor allem aber konnte er versöhnend die Hand ausstrecken. „Ein feiner Kerl“, das durchgängige Urteil.  

„Muss zur Arbeit.“

Ausschweifende Debatten waren nicht seine Sache. Er mochte es kurz, knapp und zielführend. Wenn in Fraktionssitzungen der Beitrag eines MdB allzu lang ausfiel, knurrte er missmutig  ins Mikrophon: „Ist gut jetzt.“ Und Ruhe war. Im Parteipräsidium, wenn er das Gefühl hatte, es sei zur Sache alles gesagt, nur eben noch nicht von allen, zog er sich auch mal mit der Bemerkung zurück: „Muss zur Arbeit.“ Talkshows! Je länger er im Amt war, desto geringer die Lust, sich diesen Auftritten zu unterziehen. Und wenn doch, verriet seine Mimik schon nach kurzer Zeit den Ärger, die Einladung akzeptiert zu haben.

Für die Vertiefung in den letzten Spiegelstrich von Programmen hatte er keinen Sinn. Er brauchte sie nicht, um den Menschen zu zeigen, wofür sein sozialdemokratisches Herz schlug. Und die Menschen erlebten ihn immer als einen der Ihren. Niemals abgehoben, nie arrogant, nie kam ihnen der promovierte Jurist von oben herab. Sie fühlten sich von ihm vertreten, über Parteigrenzen hinweg.

Als Politiker und Mensch unvergessen

Zehn Jahre ist Peter Struck tot. Erstaunlich wie präsent er als Typ immer noch im Berliner Betrieb ist, wie häufig noch Journalist*innen von ihm erzählen, wie sie fast schwärmerisch daran erinnern, wenn er sie nach wenig vorteilhaften Berichten anfrotzelte: „Was habt Ihr da wieder für einen Scheiß geschrieben.“

Peter Struck ist für Genoss*innen und Wähler*innen als ein besonderer Politik-Typ im Gedächtnis geblieben. Für seine Mitarbeiter*innen in Fraktion und Ministerium war er ein überaus menschlicher Chef. Für seine Sicherheitsbeamten, mit denen er abends gern einen Skat kloppte, ein unvergessener Kumpel. In welchem Team auch immer kursieren unzählige „Weißt Du noch“- Geschichten. Einmal im Jahr kommt sein engstes Umfeld aus dem Leitungsgremium des Verteidigungsministeriums zu einem Wochenende zusammen. Alles andere als eine Selbstverständlichkeit im schnelllebigen Berliner Politikbetrieb.

Peter ist als Politiker und Mensch unvergessen: Er lebt in den Köpfen und Herzen der Menschen.

Autor*in
Norbert Bicher

arbeitete in den 1980er und 1990er Jahren frei für den „Vorwärts". Danach war er Parlamentskorrespondent, Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und des Verteidigungs­ministeriums.

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